Kunst und Lehre
an der TU Dresden in den 1990er-Jahren
Die Sonderausstellung "Kunst und Lehre an der TU Dresden in den 1990er-Jahren ist eine Kooperation der Kustodie (Gwendolin Krämer), der Professur für Gestaltungslehre Architektur (Prof. Niels-Christian Fritzsche) und der Kunstpädagogik (Dr. Christin Lübke, Karen Packebusch). Zu sehen ist sie vom 12. Mai bis 7. Juli 2023 in der Galerie der Kustodie im Görges-Bau, Technische Universität Dresden.
Die Recherche des künstlerischen Lehrpersonals aus den 90er Jahren, die damit verbundenen Gespräche und die Betrachtung künstlerischer Arbeiten hat uns auf eine Art innehalten lassen. Wir haben den Blick zurückgeworfen in eine Zeit, die keinesfalls abgeschlossen hinter uns liegt.
Die Ausbildung der Lehramtsstudierenden für das Unterrichtsfach Kunst wurde 1990 von der Pädagogischen Hochschule „Karl Friedrich Wilhelm Wander“ in die neu gegründete Philosophischen Fakultät ans Institut für Kunst- und Musikwissenschaft umgesiedelt. Das Studium fand nun in den frisch eingerichteten Werkstätten und Arbeitsräumen der August-Bebel-Straße 20 in einem Nebengebäude der ehemaligen Militärakademie „Friedrich Engels“ statt. Der ortsbezogene und institutionelle Wechsel zog eine Reihe von personellen Übergängen, Veränderungen und Neuausrichtungen nach sich, die sich ansatzweise auf Grundlage der Aktenbestände der PHD, von Vorlesungsverzeichnissen aus den 1990er Jahre und verschiedenen Telefonverzeichnissen der TUD rekonstruieren lassen. Für das qualitative Verständnis der künstlerischen Lehre in dieser Zeit hat es sich jedoch als besonders bedeutsam erwiesen, mit Künstler:innen in Kontakt zu treten und bezüglich der Bedeutung von Kontinuitäten und Umbrüchen ins Gespräch zu kommen.
Dabei ist deutlich geworden, dass da ganz viel nachwirkt., bzw. dass Grundlagen gelegt wurden, die die aktuelle Lehre nach wie vor formen und bedingen. Fragen wie „Was war damals anders? Was ist heute immer noch so? Was hat sich für uns verändert? Was war euch wichtig? Was galt es zu bewahren? Was galt es zu verwerfen? Was ließe sich anders gestalten? Wo sollte es eigentlich hingehen?“ bildeten eine Orientierung für diese Gespräche und haben es möglich gemacht, die aktuelle Ausbildungspraxis im Kontext ihres So-Geworden-Seins neu zu verstehen.
Die künstlerische Lehre in der Kunstpädagogik ist an der TUD nach wie vor von der Auffassung geprägt, dass sich die Qualität des nach dem Studienabschluss durchzuführenden Kunstunterrichts bereits in der Ausbildung anlegen und formen lässt. Denn die Studierenden werden selbst zu aktiv und tatkräftig Lernenden, die in Resonanz auf künstlerische Lehre Ideen und Konzepte entwickeln, welche wiederum mit Konsequenz, Muße und Agilität im Denken und Handeln im späteren Kunstunterricht zum Tragen kommen. Eine solche Lehre fällt nicht vom Himmel, sondern wurde bereits in den 1990er-Jahren von den Lehrkräften variantenreich konzipiert und wird bis heute mit viel Engagement weiterentwickelt.
Vier Füße Zwei Treppen. Über eine Situation im Hier und Jetzt
Im Interview: Christin Lübke[1] und Karen Packebusch[2]
Als Lehrer für Kunst kam und komme ich mir immer vor, als ginge ich mit beiden Füßen zwei verschiedene Treppen hinauf und müsse arg balancieren, um das Gleichgewicht zu behalten (...). ~ GEORG GROSZ[3]
FRAGEANTWORT[4]
CHRISTINKAREN
Auf welchem Gebiet lehrst du?
Aktuell lehre ich Kunstpraxis und Kunsttheorie im Fachbereich Kunstpädagogik an der Technischen Universität Dresden.
Wie bist Du dazu gekommen?
Zuerst wollte ich Lehrerin werden. Dann nicht mehr. Jetzt bin ich es doch. An der Universität. An Schulen. Aktuell in Deutschland; auch in Brasilien und Mosambik.
Ich habe zuerst Kunst- und Geschichtspädagogik studiert und bin dann an die Kunsthochschule gewechselt.
Ich habe in meiner künstlerischen Arbeit schon immer aktuelle Debatten und gesellschaftliche Prozesse verfolgt, bin ein Teil davon. Das fließt in meine Lehre ein und hat mich zurück an die TU Dresden, an euer Institut, gebracht.
Ich sehe mich immer als Künstlerin, die lehrt.
Kannst Du Themen selber vorschlagen oder bestimmen?
Ja.
Welchen Charakter haben Deine Themen?
In der Praxis: Entwickeln einer Idee und deren Realisation, die Zeichnung und Ästhetische Forschung.
In der Theorie: Zusammenspiel von Kunst und sozialen Bewegungen weltweit, besonders in Lateinamerika und Afrika-Subsahara, Kunst- und Kunsttheorie nach Auschwitz und Feministische Theorie.
Wie konkret sind die Vorgaben?
Sie bestehen in Modulanforderungen und Prüfungsleistungen.
Welche Rolle spielt die Kunstpraxis in deiner Lehre?
Die Antwort darauf ist schwierig. Ausgangspunkt ist für mich: künstlerisches Schaffen ist unweigerlich mit gesellschaftlichen Verhältnissen verbunden.
Zum Einen erfährt die Arbeit von Künstler:innen eine Wertschätzung. Zum Anderen wird ihre Lehre auf deren Nutzen geprüft.
Aktuelle Diskurse um die Notwendigkeit kultureller Bildung fokussieren sich vermehrt auf Handlungsstrategien von Künstler:innen. Fragen um Identität werden laut. Mir scheint, als stünde die Freiheit der:des Einzelnen als Schaffende:r, Denkende:r, Kreative:r dem Ruf nach dem Kollektiv gegenüber.
Als Künstlerin in der Lehre bewege ich mich im Spagat: da ist zum einen das Vermitteln grundlegender Techniken und ein Weiterführen dieser in einen künstlerischen Code. Zum Anderen der Zwang, durch die eigene Lehrtätigkeit die eigene Reproduktion zu sichern.
Da bleibt kaum noch Zeit für mich, eigene Kunst zu produzieren. Es ist ein schwieriger Abwägungsprozess zwischen praktischer künstlerischer Tätigkeit und Lehre, erfordert Disziplin und muss immer wieder neu entschieden werden.
Das spiegelt sich in den Inhalten meiner Seminare zum Künstlerischen Arbeiten und Kunsttheorie.
Arbeitest Du mit jemandem zusammen? Wie läuft das aus Deiner Sicht?
Ja. Mit dir. In unseren Seminaren mit den Erstsemestler:innen.
Das Zusammenspiel zwischen dir und mir, also Fachdidaktik und Bildende Kunst, gestaltet sich gut.
Lehrst Du gerne?
Ja.
Verfolgst Du dabei gezielt bestimmte Ideen?
Ja.
Welche?
Denken und in die Welt schauen.
Was denkst Du, kannst Du als Künstlerin vermitteln?
Dass Kunst ein spezieller Code ist, sich der Welt zu nähern und diese zu verstehen. Dass innerhalb der künstlerischen Arbeit die größte Freiheit herrscht. Dies allerdings muss erlernt werden. Das ist mein Ansatz, Ziel meiner vermittelnden Tätigkeit. Und wichtig für den Beruf der Kunstlehrer:in.
Wie wirkt sich das Unterrichten auf Deine eigene Arbeit aus?
Zeitmangel.
Kannst Du die Lehre als einen Teil Deiner Arbeit betrachten?
Teilweise. Die Probleme der Studierenden, mit ihrem Alltag zurechtzukommen, sich selbst gerecht zu werden, die permanente Versagensangst versus Tempo halten – also auf Linie bleiben. Das fließt in meine künstlerische Arbeit ein.
Wie stellst du dich Fragen der Studierenden nach Anwendbarkeit der Inhalte deiner Lehrveranstaltungen in Ihrem zukünftigen beruflichem Leben als Lehrer:in?
Prinzipiell denke ich, egal, ob in Schule oder Universität oder in anderen Bereichen des Lebens: Menschen spüren, ob du was zu sagen hast und das auch weitergeben kannst. Dann entsteht ein Diskurs.
Ich ermuntere die Studierenden, Fragen nicht nur um des Fragenwillens zu stellen: Was tangiert euch wirklich?
Dann kommen wir ins Warum. Dies in Rückkopplung mit den eigenen ästhetischen Bildfindungsprozessen - ist manchmal schwierig, aber wir arbeiten daran.
Für spezielle didaktische Rückfragen habe ich meine Kolleg:innenschaft der Fachdidaktik. Wir tauschen uns oft aus. Das ist wichtig – gerade für mich als Künstlerin.
Was hast du in den Gesprächen mit dem künstlerischen Lehrpersonal aus den 90er Jahren gelernt? Für deine eigene Lehre?
Wir waren uns einig: Wie aus Studierenden das Künstlerische herauskitzeln? Geht es um ein Vermitteln von Techniken oder um den eigenen künstlerischen Begriff? Ist letzteres nicht unwahrscheinlich naiv?
Jede Zeit hat ihre Debatte(n), doch Fragestellungen scheinen sich im Grunde zu ähneln: Wie sieht die Situation aus, in der sich Künstler:innen in der Vermittlung von Kunst wiederfinden? Welche Ansprüche verfolgen Sie? Unter welchen Bedingungen arbeiten sie? Mit welchen Erwartungen sehen sie sich konfrontiert? Und vor Allem: Ist Kunst lehrbar?
Diese Diskussion wird aus meiner Sicht nie beendet sein.
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KARENCHRISTIN
Auf welchem Gebiet lehrst du?
Ich habe meinen Schwerpunkt in der Kunstdidaktik, lehre aber auch in der Kunst- und Medientheorie.
Wie bist Du dazu gekommen?
Ich habe in Dresden Kunst auf Lehramt studiert, war dann an der Schule. Dann bin ich als wissenschaftliche Mitarbeiterin an die Uni gekommen und habe zu Ausdrucksformen von Körper und Leib in der Performancekunstvermittlung promoviert. Nun vertrete ich die ehemalige Professur von Marie-Luise Lange.
Was lehrst Du?
Ich erarbeite mit den Studierenden individuelle Lehrkonzepte, in denen die Produktion, Rezeption und Reflexion von Kunst in einen spannungsvollen Dialog miteinander treten. Sprich, die fachdidaktische Ausbildung der zukünftigen Kunstlehrer:innen – dafür brennt mein Herz.
Kannst Du Themen selber vorschlagen oder bestimmen?
Na klar, das macht Spaß. Es gibt immer wieder Spielraum, was Neues auszuprobieren, neu zu justieren und an aktuelle Fragestellungen/Diskurse anzupassen.
Welchen Charakter haben Deine Themen?
Gern gehe ich von einem spezifischen Gegenstand aus und beginne an diesem ästhetische Wahrnehmungen zu schärfen und zu explorieren. Das können beispielsweise der Körper als Material, das Staunen als Prozess oder auch digitale Bildkulturen sein.
Welche Rolle spielt die Kunstpraxis in deiner Lehre?
Sie spielt insofern eine wesentliche Rolle, als dass ich die individuelle Praxis der Studierenden als wichtigstes Repertoire für die Entwicklung ihrer eigenen künstlerischen Vermittlung- und Unterrichtskonzepte erachte. Ich möchte, dass die Studierenden sich trauen, etwas ausprobieren und den Arbeitsprozess ernst nehmen. Die Erweiterung ihres Repertoires (Was kann ich alles einbringen? Was möchte ich können? Was kann ich lernen?) ist in der Vielschichtigkeit der Lehre zentral. Aus diesem Repertoire können sie schöpfen, hier haben sie etwas entwickelt, dass sie vertreten und mit Schüler:innen ideenreich transformieren können. Deshalb spielt die Verzahnung von Kunstpraxis und Kunstdidaktik eine große Rolle in meiner Lehre.
Wie konkret sind die Vorgaben?
Es gibt neben den formalen Prüfungsanforderungen inhaltlich viel Spielraum, aber eigentlich immer zu wenig Zeit, um so richtig in die Tiefe zu gehen.
Arbeitest Du mit jemandem zusammen? Wie läuft das aus Deiner Sicht?
Am Institut für Kunst- und Musikwissenschaft treffen spannende Perspektiven aufeinander. Meine Kolleg:innen in der Kunstpädagogik sind dabei ganz wichtig, aber auch der Austausch und die Zusammenarbeit mit den Kolleg:innen aus der Kunstgeschichte und Musikwissenschaft bereichern meine eigene Lehre.
Lehrst Du gerne?
Na klar! Die Lehre fokussiert mich und lässt mich immer wieder danach fragen, was eigentlich wichtig ist.
Wie wirkt sich das Unterrichten auf Deine eigene wissenschaftliche Arbeit aus?
Oft nehme ich das Unterrichten als Kerngeschäft meiner Tätigkeit an der Universität wahr, da ich in meinen Seminaren Lehre und Forschungsschwerpunkte miteinander verknüpfen kann. Da gibt es erkenntnisreiche Rückkopplungen und Symbiosen.
Verfolgst Du dabei gezielt bestimmte Ideen? Welche?
Die Ausbildung und Vorbereitung der Studierenden aufs Referendariat und eine spätere Praxis – primär im schulischen Bereich – liegen in meinem Aufgabengebiet, rahmen darüber hinaus jedoch auch mein Erkenntnisinteresse. Dabei interessiert mich, was Studierende explorieren, erfahren und erkennen können, um selbstreflexiv, selbstwirksam, innovativ, resilient und gestaltend qualifiziert in einer Schule existieren können.
Was hast du in den Gesprächen mit dem künstlerischen Lehrpersonal aus den 90er Jahren gelernt? Für deine eigene Tätigkeit in der Kunstpädagogik?
Die Gespräche mit dem künstlerischen Lehrpersonal aus den 90er Jahren haben meine Sicht auf die Geschichtlichkeit der aktuellen Personalsituation und heutigen Ausbildungsstruktur erweitert. Das bewusste, wenn auch fragmentarische Nachdenken und Sprechen über Kontinuitäten, Leerstellen, Brüche und Übergänge in einer Zeit, die mir fern ist und zu der ich selten einen Zugang finde, hat mir gezeigt, das es wichtig ist, sich Zeit für Dialoge und Begegnungen zu nehmen. Künstlerische Praxis ist in diesem Zuge ein wunderbar spannungsvolles Feld, innerhalb dessen sich diese Dialoge und Begegnungen verorten können.
[1] Dr. Christin Lübke vertritt aktuell die Professur für Theorie künstlerischen Gestaltens in der Kunstpädagogik. Sie forscht mit qualitativ-empirischen Schwerpunkten zu Ausdrucksformen von Körper und Leib im Kunstunterricht mit einem besonderen Fokus auf Schnittstellen analoger und digitaler Materialitäten. Sie lehrt hauptsächlich in der Kunstdidaktik und betreut zukünftige Kunstlehrer:innen in ihrer ersten Ausbildungsphase.
[2] Karen Packebusch ist weltweit freischaffend als Künstlerin und als Dozentin für künstlerische Praxis an Universitäten tätig. Ihre Arbeiten sind zwischen Videoperformance, Zeichnung, Sound, Fotografie, Objekt und Installation zu verorten und befinden sich in den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden und in Privatsammlungen. Aktuell ist sie Wissenschaftliche Mitarbeiterin für Kunstpraxis und Kunsttheorie an der Technischen Universität Dresden im Fachbereich Kunstpädagogik. Karen Packebusch ist gewerkschaftlich aktiv und setzt sich für eine angemessene Vergütung von Künstler:innen ein.
[3] Grosz, George, Ein kleines Ja und ein großes Nein – Sein Leben von ihm selbst erzählt. Rohwolt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg, 1974, S.261
[4] Nach: Dörte Meyer, https://docplayer.org/31206609-Kuenstler-lehre-doerte-meyer.html