Eleonora von Aquitanien und die Renaissance des 12. Jahrhunderts
Lehrkraft | André van der Goes |
Termin | Do., 2. DS |
Ort | ABS/114/U |
Beginn | 18.04.2024 |
Anmeldung | |
Module |
PhF-KG-MA-PW-B MAKU-KG-VT 1 PHF-SEMS-KU-KG3 |
Inhalt der Lehrveranstaltung
Modern research shows us the Middle Ages less dark and less static, the Renaissance less bright and less sudden, than once was supposed.
(Charles Homer Haskins, The Renaissance of the Twelfth Century. 1927)
Der Zeitraum zwischen 1060 und 1160 wird durch Haskins als ein Jahrhundert charakterisiert, in dem sich eine Renaissance vollzog, die auf die antike Kultur zurückgriff und diese fortführte. Sie hat Eingang gefunden in die moderne Betrachtungsweise dieses Zeitraums – wobei der Terminus „Renaissance“ heute vorsichtiger gebraucht wird und man auch den Begriff „Renewal“ Erneuerung verwendet, um diese kulturelle Blütezeit des 12. Jahrhunderts zu beschreiben.
Auf das dunkle, eiserne Zeitalter, das nach dem Chaos des Zusammenbruchs des karolingischen Reiches und den darauffolgenden tiefgreifenden Umwälzungen, Einfällen und Einsiedlungen verschiedener Völker folgte, brach für Europa im 11. Jahrhundert eine neue Blütezeit an, das Hochmittelalter. Während damit die Grundlagen für die spätere Formierung Europas gelegt waren, blühte in der zweiten Hälfte des elften Jahrhunderts Europa ökonomisch, politisch und kulturell auf.
Das Erbe des römischen Altertums wurde bewusst gesucht und genutzt, um Erneuerungen einzuführen, die nahezu alle Belange des Zusammenlebens betrafen. Die ersten Universitäten wurden gegründet, wo ebenso wie in vielen Klöstern das römische Recht ebenso wie die Wissenschaft und die Philosophie der Antike aufgegriffen wurden. Städte entwickelten sich zu Handelszentren. Neue Ackerbautechniken bescherten der zunehmenden Bevölkerung mehr Nahrung. Fürsten begannen souveräne, mehr säkular ausgerichtete Staaten zu gründen. Die Kirche als Institution leitete eine Blütezeit in der Architektur ihrer Gotteshäuser ein, als die Romanik in die Gotik überging. Die höfische Kultur blühte auf und stellte einen wichtigen Beitrag für den Kultivierungsprozess dar – allen voran der Adel. Es war die Zeit, der Bernard van Clairvaux, Suger, Abélard und Thomas Becket ihren jeweiligen Stempel aufdrückten als Kämpfer für Kirche oder weltliche Macht, von befreiender Philosophie oder von christlichen Werten und Dogmen.
Europa platze förmlich aus allen Nähten. Die Kreuzzüge in das Heilige Land und die Reconquista in Spanien waren sowohl Äußerungen eines energisch-militanten Christentums als auch eine Suche nach Vermögen und Land von vielen Glücksrittern. Die Kontakte die dadurch mit der arabischen Welt entstanden waren aber von großem Einfluss auf die europäische Kultur.
Im Mittelpunkt dieser Entwicklungen stand eine außergewöhnliche Frau, deren zeitgenössische Bewertungen äußerst ambivalent waren, deren Leistungen jedoch für sie sprechen: Eleonora von Aquitanien.
Im Alter von nur 13 Jahren wurde sie Königin von Frankreich. Damit begann ein Lebenslauf, der viele Zeitgenossen mit Staunen, Verwunderung und oft auch Entsetzen erfüllte. Ausgestattet mit einer großen Intelligenz und einem eigensinnigen Charakter, übte sie Einfluss auf die Politik ihrer königlichen Ehemänner aus, unterstützte den Aufstand drei ihrer Söhne gegen deren Vater – ihren zweiten Ehemann – Heinrich II. von England, war als 70-Jährige für ihren Sohn Richard II. während dessen Kreuzzug und Gefangenschaft Regentin und spielte mit ca. 80 Jahren eine aktive Rolle in der Niederschlagung des Aufstandes gegen ihren Sohn Jan Ohneland.
Sie begleitete ihren ersten Ehemann, König Ludwig VII. von Frankreich auf seinem Kreuzzug und führte ein Heer von Amazonen, nicht kämpfenden übrigens, an. Von 1168-1173 war ihr Hof in Poitiers ein Zentrum höfischer Kultur und trug wesentlich bei zur Entwicklung und Verbreitung dieser europäischen Strömung mit seiner zivilisierenden Wirkung auf die Gesellschaft. Diese umtriebige Frau kannte die großen Geister ihrer Zeit persönlich, so wie sie auch selbst eine Rolle bei vielen bedeutenden historischen Ereignissen spielte oder ihnen beiwohnte: Beispielsweise war sie als Königin von Frankreich bei der Weihe der neuen Abteikirche von Saint-Denis, dem Gründungsbau der gotischen Architektur, im Jahr 1144 anwesend.
Ihr Lebensweg führte sie nicht nur als Königin in die Metropolen Paris und London, sondern auf ihren Reisen besuchte sie nahezu alle wichtigen Zentren der christlichen Welt: Konstantinopel, Antiochia, Jerusalem, Rom und Palermo sowie Kastilien und das Deutsche Reich.
- Nach einem Rückblick auf die vorhergehende Epoche des Mittelalters wird in diesem Seminar ein Überblick über die Kultur und die Geschichte des 12. Jahrhunderts auch im Kontext des Lebenslaufes Eleonores von Aquitanien geboten. Es wird hinterfragt, ob der Begriff „Renaissance“ für das 12. Jh. mit Recht benutzt werden kann und wie diese Renaissance sich zu anderen Renaissance-Strömungen verhält.
- Haskins hat sich in seiner Studie bewusst auf die Bereiche Literatur, Recht, Philosophie, Wissenschaft und die Universitäten beschränkt. Wir aber gehen auch auf die Spurensuche des Einflusses der Antike auf die bildende Kunst des 12. Jahrhunderts, denn gerade hier, in der Sprache der Formen, sind andere Faktoren wirksam als in der Welt der Sprache und der Literatur.
- Kunstwerke, die in dieser Periode entstanden, zeigen eine hohe handwerkliche Qualität und die Verarbeitung mit komplizierten Techniken sowie in der Architektur die Verwendung neuer Formen beim Bau der Kathedralen. Hierin zeigen sich klare Einflüsse anderer Kulturen, besonders aus den arabischen Ländern und der Kultur, die Europäer im „Outre-Mer“, den Kreuzfahrerstaaten, kennen lernten.
Literatur
- Charles T. Wood. The Age of Chivalry. London, 1970
- Steven Runciman. A History of the Crusades (3 Vol.). Cambridge, 1954.
- Amy Kelly. Eleanor of Aquitaine and the Four Kings.Cambridge/Massachusetts, 1950.
- Georges Duby. Dames du XXIIe siècle (3 Vol.). Paris, 1995-1996. (Édition 1 Vol. Paris, 2020)
- Georges Duby. William Marshal. The Flower of Chivalry. London, 1986
- Trésors médiévaux. Quand les Anglais parlaient français, Ausstellungskatalog Collection Al Thai, Éditions du patrimoine, Paris 2023