07.06.2016
Für gute Forschung und Lehre - Argumente gegen die Exzellenzinitiative
Originalwortlaut des Petitionstextes:
"Die sogenannte Exzellenzinitiative, mit der Bund und Länder deutsche „Spitzenforschung“ fördern wollen, ist auf dem besten Weg, unser Hochschulsystem auf problematische Weise umzugestalten. Seit 2005 wurden die Universitäten in bisher zwei Runden aufgefordert, sich mit Forschungs- und Strukturplänen um beträchtliche Mittel zu bewerben; nun sollen die Wettbewerbe im Sieben-Jahres-Rhythmus verstetigt werden. Zu vergeben sind 533 Millionen Euro pro Jahr, die acht bis elf erfolgreichsten Bewerber können sich „Exzellenzuniversität“ nennen. Das erklärte Ziel lautet, die „vertikale Differenzierung“, also die Ungleichheit zwischen den Hochschulen auszubauen. Wir meinen, dass dies keine gute Nachricht ist. Eine verschärfte Prestigekonkurrenz und Umverteilung von unten nach oben werden Forschung und Lehre in Deutschland insgesamt schaden. Als wissenschaftlich Arbeitende, die davon zum Teil massiv betroffen sind und die ein faires Hochschulsystem der Prestigekonkurrenz vorziehen, wenden wir uns gegen die Exzellenzinitiative. Statt der vermeintlichen „Spitze“ sollten die bestehenden, gegenwärtig bedrohten Vorzüge des deutschen Hochschulsystems gefördert werden: ein hohes Lehrniveau an allen Standorten und breit gestreute Freiräume für innovative Forschung.
Im Einzelnen spricht besonders Folgendes gegen das Programm:
- Die Exzellenzinitiative befördert den Trend zu Pseudo-Märkten im Hochschulsektor. Statt für eine solide Grundfinanzierung zu sorgen, treibt die Wissenschaftspolitik die Forschenden in eine künstlich inszenierte Dauerkonkurrenz um staatliche Mittel. Sie verstärkt damit eine Fassadenkultur der Antragstellung, die Orientierung am Mainstream und prekäre Projekt-Arbeitsverhältnisse in der Wissenschaft.
- Die Situation des wissenschaftlichen „Nachwuchses“ in Deutschland wurde durch die Exzellenzinitiative weiter verschlechtert, weil sie die Zahl der befristeten Stellen unterhalb der Professur vermehrt hat. Wenn zukünftig eher Tenure-Track-Stellen als Projektstellen geschaffen werden, ließe sich der Schaden an den Exzellenz-Standorten eindämmen – allerdings um den Preis, dass sich die dauerhafte Förderung bei einer kleinen Gruppe von Nachwuchsforschenden bündelt, während die schlechte Lage aller anderen durch den Wettbewerb legitimiert wird.
- Bei der angestrebten Hierarchisierung des deutschen Hochschulsystems wird es vor allem Verlierer geben. Die traditionelle Stärke dieses Systems besteht darin, dass an prinzipiell jeder Hochschule auch international sichtbare Spitzenforschung möglich ist. Wird sie an wenigen Standorten gebündelt, drohen die nicht erfolgreichen Hochschulen dauerhaft ihren Status als Forschungsinstitutionen zu verlieren. Grundsätzlich wird die Befreiung einiger Forschender von der Lehre durch erhöhte Lehrbelastung aller anderen erkauft.
- Eine Hierarchisierung der Hochschulen verstärkt soziale Ungleichheit. Internationale Vergleiche zeigen, dass Spitzenhochschulen gewöhnlich der Oberschicht zur Reproduktion dienen. Dass auch beim Lehrpersonal unter Wettbewerbsdruck und verstärkt prekarisierten Beschäftigungsverhältnissen die soziale Herkunft wichtiger wird (und Nachteile von Frauen keineswegs ausgeglichen werden), zeigen neue Studien zu Schließungstendenzen in der Professor/innenenschaft und bei den Juniorprofessuren.
- Schließlich ist der Diskurs der Exzellenz selbst weitgehend wissenschaftsfremd (da er sich vorrangig an äußerlichen Erfolgsindikatoren orientiert) und undemokratisch. Die Selbstverwaltung der Wissenschaft und ihre Selbstkontrolle durch Kritik werden schleichend durch die Anpassung an Märkte, eine Rhetorik des Ausgezeichneten und starker Führung ersetzt.
Begründung:
Wir halten in dieser Situation die Beteiligung am Exzellenzwettbewerb für falsch. Faktisch können sich ihm viele von uns kaum entziehen, weil wir von Hochschulleitungen und Landesregierungen abhängig sind, die erhebliche Hoffnungen und Mittel in Exzellenz-Bewerbungen investieren. Wer sinnvolle Projekte entwickelt und Mitarbeitende fördern will, ist oft darauf angewiesen, dies im Rahmen solcher Strategien zu versuchen. Durch unsere Erklärung wollen wir aber sichtbar machen, dass die Exzellenzinitiative von vielen Forschenden, Lehrenden und Studierenden in Deutschland klar und deutlich abgelehnt wird.
Statt weiter überproportional in die Prestigekonkurrenz zu investieren, sollte die Hochschulpolitik tiefer liegende Probleme angehen: Mittel gegen die strukturelle Unterfinanzierung der Hochschulen bereitstellen, gesicherte Berufsaussichten für Forschende und Lehrende schaffen, Überbelastungen in der Lehre und eigene Forschung verhindernde Hochdeputatsstellen abbauen, Freiraum für wissenschaftliche Innovationen schaffen, soziale Ungleichheiten im Hochschulzugang und auf weiteren Qualifikationsstufen ausgleichen und die demokratische Selbstverwaltung der Wissenschaft stärken. Eine solche Politik käme Forschung und Lehre selbst zugute, statt vorrangig ihre Selbstdarstellung in Anträgen und Erfolgsindikatoren zu unterstützen. Sie könnte unser Hochschulsystem wirklich herausragend machen.
Erstunterzeichnende (in alphabetischer Reihenfolge)
Prof. Dr. Thomas Alkemeyer
Felix Anderl, M.A.
Prof. Dr. Clemens Arzt
AStA der Goethe-Universität Frankfurt a. M.
Prof. Dr. Brigitte Aulenbacher
Sevda Can Arslan, M. A.
PD Dr. Johannes M. Becker
Jonas Becker
Prof. Dr. Thomas Bedorf
Prof. Dr. Bernd Belina
PD Dr. Sebastian Berg
Prof. Dr. Uwe Bittlingmayer
Prof. Dr. Manuela Boatcă
Prof. Dr. Ulrich Brand
Prof. Dr. Elmar Brähler
Prof. Dr. Ulrich Brinkmann
Prof. Dr. André Brodocz
Prof. Dr. Ulrich Bröckling
Prof. em. Dr. Micha Brumlik
Prof. Dr. Sonja Buckel
Bundeskonferenz der Sprachlehrbeauftragten
Jan Cloppenburg, B. A.
Prof. Dr. Michael Corsten
Prof. Dr. Nina Degele
Apl. Prof. Dr. Alex Demirović
Prof. Dr. em. Christoph Deutschmann
Marie Diekmann, Dipl. jur.
Prof. Dr. Silke van Dyk
Prof. Dr. Aladin El-Mafaalani
freier zusammenschluss von student*innenschaften (fzs) e.V.
Dr. Michael Frey
Dr. Angela Graf
Dr. Stefanie Graefe
Prof. Dr. Andreas Gruschka
Linda Guzzetti
Prof. i. R. Dr. Michael Hartmann
Prof. Dr. Sabine Hark
Prof. em. Dr. Jürgen Helmchen
Hilfskraft-Initiative Frankfurt a. M.
Assistant Prof. Dr. Jana Hönke
Prof. Dr. Jochen Hörisch
Dr. Philip Hogh
Dr. habil. Klaus Holz
Initiative Berliner Privatdozenten
Initiative „Für Gute Arbeit in der Wissenschaft“ in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie
PD Dr. Anne Maximiliane Jäger-Gogoll
Prof. Dr. Reiner Keller
Prof. Dr. Fabian Kessl
Prof. Dr. Oliver Kessler
Prof. Dr. Klaus Peter Kisker
Dr. Kai Koddenbrock
Prof. Dr. Matthias Kohring
Dr. des. Julia König
Prof. Dr. Cornelia Koppetsch
Prof. Dr. Stefan Kühl
Prof. Dr. Verena Krieger
Dr. Andrea Lange-Vester
Prof. Dr. Thomas Lemke
Dr. Katharina Lenner
Dr. Martin List
Prof. Dr. Ingrid Lohmann
Dipl. Pol. Sascha Lohmann
Dr. Daniel Loick
Prof. Dr. Michael Lüthy
Dr. Jens Maeße
Prof. Dr. Margit Mayer
Prof. Dr. Gisela Mettele
Daniel Meyer
Mittelbauinitiative Dresden (mid)
Mittelbauinitiative Universität Leipzig (MULE)
Dr. Christina Möller
Dr. Jan Müller
Prof. em. Dr. Richard Münch
Netzwerk „Prekäres Wissen“
Dipl.-Ing. Dr. Wolfgang Neef
Jannik Pfister, M. A.
Prof. em. Dr. Ludwig Pongratz
Prof. Dr. Clemens Pornschlegel
Dr. Heike Raab
Dr. habil. Dagmar Rayanagam
Prof. Dr. Tilman Reitz
Prof. Dr. Birgit Riegraf
Prof. Dr. Steffi Richter
Jan-Christoph Rogge M.A.
Prof. Dr. Roland Roth
Prof. em. Dr. Werner Ruf
Prof. em. Dr. Fritz Sack
Dr. Martin Seeliger
Prof. Dr. Christoph Scherrer
Prof. Dr. Werner Schiffauer
Prof. Dr. Felicitas Schmieder
Dr. des. Thomas Schroedter
Prof. Dr. Evelyn Schulz
Georg Simmerl
Prof. Dr. Thomas Sokoll
Prof. Dr. Urs Stäheli
Anja Teebken
Dr. Felix Trautmann
Prof. Dr. Christian Uhl
Dr. Dr. Peter Ullrich
Unter_bau, Initiative Hochschulgewerkschaft Frankfurt a. M.
Prof. em. Dr. Michael Vester
Prof. Dr. Anne Waldschmidt
Dipl.-Soz. Anja Weber
Dorothea Wehrmann, M. A.
Prof. Dr. iur. Felix Welti
Prof. Dr. Michael Wimmer
Prof. Dr. Aram Ziai
Im Namen aller Unterzeichner/innen.
Jena, 27.04.2016 (aktiv bis 26.07.2016)"