Abschlusskonferenz
Abschlusskonferenz "Občanská odvaha a demokracie / Zivilcourage und Demokratie"
Wie steht es um die deutsch-tschechischen Beziehungen in der Grenzregion? Wie können wir im Bildungsbereich noch besser zusammenarbeiten, wie Zivilcourage in den Schulen fördern. Um diese Fragen ging es bei der Abschlusskonferenz im Projekt CouReg, die am 13. Mai 2022 an der Universität Ústi nad Labem stattfand. Vladimír Lipský, Vertreter der Euroregion, und Lukáš Novotný (UJEP) begrüßten die zahlreichen Gäste – Studierende, Wissenschaftler:innen und Praktiker:innen der Demokratiearbeit.
Patrick Reitinger, historisch arbeitender Geograph von der Otto-Friedrich-Universität Bamberg, eröffnete den inhaltlichen Teil der Konferenz mit einem Vortrag zu den deutsch-tschechischen Beziehungen. Er präsentierte bedeutende historische Meilensteine wie die Gründung der Ersten Tschechoslowakischen Republik, den Zweiten Weltkrieg oder das Ende des Kalten Krieges und ihre Bedeutung für die Gegenwart. Zentral für die Demokratien beiderseits der Grenze, so Reitinger, sei vor allem eines: Streit. Nur, wenn wir uns austauschen und diskutieren, können wir auch Verständnis für unterschiedliche Perspektiven gewinnen, die oft durch unterschiedliche historische Erfahrungen entstanden sind. Und nur dann, wenn wir miteinander reden, uns füreinander interessieren, nur dann wächst eine starke Zivilgesellschaft.
Reitinger betonte, dass wir formal bis zum Ende des Kalten Krieges, praktisch aber auch darüber hinaus, nicht eine deutsche Perspektive haben – sondern zwei. Er fokussierte sich dann vor allem auf die westdeutsche Perspektive, genauer auf die bayrisch-tschechischen Beziehungen seit 1918. Mit der Gründung der Ersten Tschechoslowakischen Republik stellte sich im Grenzgebiet die Frage der nationalen Zugehörigkeit. Das Münchener Abkommen von 1938 führte zur Vertreibung der tschechoslowakischen Bevölkerung aus dem Sudetenland, das die Erste Tschechoslowakische Republik an das Deutsche Reich abtreten musste. Der Zweite Weltkrieg war geprägt von Vertreibung und nationalsozialistischen Gräueltaten. Die Einteilung in Nationalitäten aber, so Reitinger, sei absurd. Kontrahenten waren nicht „die“ Deutschen gegen „die“ Tschechen, sondern Unterstützer:innen und Widerständige. Die Nachkriegszeit war geprägt durch die Beneš-Dekrete, die eine Vertreibung der Deutschen aus der Tschechoslowakei sowie ihre Enteignung festlegten.
Die Zeit des Kalten Krieges war die Zeit einer Systemgrenze: Bayern auf der einen Seite, die Tschechoslowakei und Sachsen auf der anderen Seite. Das wirkt bis heute nach. Mit dem Ende der Sowjetunion und der friedlichen Auflösung der Tschechoslowakei in zwei Länder 1992 begann eine neue Ära, die in der deutsch-tschechischen Erklärung von1997 und dem EU-Beitritt der Tschechische Republik im Jahr 2004 gipfelte: Mit diesen Meilensteinen etablierten sich Formate des Austauschs. Die Beziehungen zu Bayern blieben jedoch weiter angespannt. Erst im Jahr 2010 erfolgte ein offizieller Besuch eines bayrischen Ministerpräsidenten in Prag.
Für Reitinger ist klar: Wir brauchen einen gemeinsamen Blick in die Zukunft, einen, der die unterschiedlichen Perspektiven miteinbezieht. So kann das friedliche Zusammenleben im deutsch-tschechischen Grenzgebiet auch ein Vorbild für andere von Konflikten betroffene Grenzregionen sein.
Eben jene Zusammenarbeit stand im Fokus des folgenden Slots. Bei der von Cathleen Bochmann vom Aktion Zivilcourage e.V. moderierten Podiumsdiskussion ging es um verschiedene Aspekte der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, insbesondere um die Kooperation im Schulwesen. Auf dem Podium saßen Expert:innen aus verschiedensten Bereichen: Markéta Meissnerová, Generalkonsulin der Tschechischen Republik in Dresden, Vladimír Handl, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Internationale Beziehungen der Karlsuniversität in Prag, der sich in seiner Arbeit besonders mit den deutsch-tschechischen Beziehungen beschäftigt sowie Rüdiger Kubsch von der Euroregion Elbe aus Dresden und die Studentin Bianca Brendel vom deutsch-tschechischen Jugendforum.
Schnell wurde klar: Die Frage, wie gut die Beziehungen eigentlich sind, ist gar nicht so leicht zu beantworten. Meissnerová und Brendel sahen insbesondere vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie eine gute, ausgeprägte Zusammenarbeit, wenngleich sich viele Aktivitäten generelle in der Zusammenarbeit auf den Grenzraum fokussierten, so Brendel. Kubsch hingegen relativierte die Beziehungen: Nur etwa 10 Prozent der Deutschen hätten überhaupt irgendeine Beziehung zur Tschechische Republik, diese fände auch medial in Deutschland kaum Beachtung. Gerade im Alltag der Menschen sei die grenzübergreifende Zusammenarbeit ein kleinteiliger Prozess, der oft durch Sprachbarrieren erschwert wird. Man müsse zwischen verschiedenen Ebenen unterscheiden, so der Prager Forscher Handl: Die pragmatische, dezentrale, entpolitisierte Zusammenarbeit sei bereits sehr gut. Politisch hingegen sei sie wenig konsistent und oft zu sehr von nationalen Interessen geprägt.
Wie aber können wir unsere Zusammenarbeit und unsere Beziehungen künftig gestalten? Bei dieser Frage ging es erneut um die problematischen Sprachbarrieren. Das Podium war sich einig, dass aktuell vor allem der Ukrainekrieg und das damit verbundene Flüchtlingsaufkommen herausfordernd sind, aber auch Themen wie Demokratie, wirtschaftliche Entwicklung, Digitalisierung und Klimawandel zukünftig die Beziehungen prägen werden. „Es wird Streit geben“, so Bochmann zum Schluss der Podiumsdiskussion, „aber es ist wichtig, konstruktiv zu streiten, Transformation als Aushandlungsprozess zu begreifen.“ Dafür seien Vertrauen und das „Kennen der Spielregeln“ erforderlich.
Nach der Mittagspause widmete sich Jan Charvát (UJEP) in seinem dem Thema „Hate speech vs. Zivilcourage im Kontext der sozialen Kohäsion“. Er Teilergebnisse des Projekts „Smart for Democracy and Diversity“ an dem sieben Partnerorganisationen aus sechs europäischen Ländern beteiligt sind. Im Rahmen von Erasmus Plus interviewten die Forscher:innen Personen, die Erfahrungen mit Hate Speech haben. Diese kamen aus der Tschechischen Republik, Deutschland, den Niederlanden, Portugal und Italien. Nachdem Jan Charvát verdeutlichte, dass es nicht eine Definition von Hate Speech gibt, präsentierte er kurz die tschechische Rechtslage sowie die Diskussion, ob von Hate Speech betroffene Opfer sind. Anschließend verdeutlichte er, dass häufig Menschen, die sichtbar anders sind, Ziel von Hate Speech sind. Die Befragungen haben gezeigt, dass Hate Speech zu Stress und Machtlosigkeit führt. Wichtig anzuerkennen, so Charvát, sei auch: Hate Speech findet sowohl online als auch offline statt.
Was aber kann man im Umgang mit Hate Speech tun? Konflikte vermeiden, Counter-Speech, also verbale Verteidigung, um Hilfe bitten. Online kann man eine Nachricht mit Hate Speech veröffentlichen und so nicht nur den Angreifer aus der Anonymität holen, sondern auch beweisen, dass überhaupt ein verbaler Angriff stattgefunden hat. Charvát wies auch auf die zahlreichen negativen Konsequenzen von Hate Speech hin – machte aber auch klar, dass man diese kollektiv teilen und damit sogar zum Empowerment beitragen kann. Abschließend spannte Charvát den Bogen zurück zur Zivilcouarge: „Betroffene wünschen sich Schutz von Umstehenden, sie wollen, dass diese sich einbringen, die Situation ernst nehmen und empathisch mit den Betroffenen umgehen.“
Wie gehen Schüler:innen damit um, wenn sie im Klassenchat mit Hate Speech konfrontiert werden – einem sozialen Raum also, der für Erwachsene nicht zugänglich ist? Unter anderem darum ging es im Vortrag von Agnes Scharnetzky, Mitarbeiterin an der JoDDiD, TU Dresden. Sie präsentierte ein Schulmodul zur Demokratieerziehung, bei dem die Schüler:innen ihre Toleranzgrenze diskutieren. Sie bekommen Grafiken, die auf echten Beispielen beruhen und digitale Posts, Memes und Nachrichten darstellen: Mal wird ein antisemitisches Meme gezeigt, mal ein Spruch der Identitären Bewegung. Mal handelt es sich um Verharmlosungen, mal um handfeste Straftaten. Zuerst einmal müssen die Schüler:innen die Botschaften überhaupt decodieren – und dann diskutieren, wie sie damit umgehen würden: Ignorieren/ konsumieren, reagieren, Erwachsenen melden, vielleicht sogar anzeigen? Ziel ist es, die Schüler:innen zu sensibilisieren und zu ermutigen, problematische Inhalte zu melden und anzusprechen. Das Modul soll ein Bewusstsein dafür schaffen, dass (soziale) Regeln, die im analogen Zusammenleben bestehen, auch im digitalen Raum gelten.
Vom öffentlichen Raum Schule ging es im nächsten Vortrag in den öffentlich-privaten Graubereich der häuslichen Gewalt. Martina Vojtíšková (Interventionszentrum, Ústí nad Labem) konzentrierte sich in ihrem Vortrag „Häusliche Gewalt – Kinder – Schulen“ auf die unterschiedlichen Definitionen von häuslicher Gewalt, die tschechische Rechtslage, sowie die aktuelle Situation in Tschechien. In jeder fünften bis sechsten Familie, so die Beraterin, spiele häusliche Gewalt eine Rolle. Wie viele Fälle publik werden, hänge aber auch stark von Ausbildung und Schulung der Polizist:innen sowie dem sozialen Umfeld in Schulen und Kindergärten ab. Deshalb seien die Zahlen in verschiedenen Regionen der Tschechischen Republik sehr unterschiedlich – obwohl eigentlich eher von einer Gleichverteilung auszugehen sei. Häusliche Gewalt, so Vojtíšková, müsse von einer breiten Öffentlichkeit wahrgenommen werden. „Dafür brauchen wir eine einheitliche Definition und ein einheitliches Verständnis von häuslicher Gewalt.“
Zum Abschluss präsentierten Vertreterinnen vom Aktion Zivilcourage e.V. die Ergebnisse des Projekts. Cathleen Bochmann stellte zunächst die wissenschaftlichen Befunde vor: Sowohl auf sächsischer als auch auf tschechischer Seite könne man Demokratiedefizite feststellen - gerade deshalb sei das Kernanliegen von CouReg, die Förderung der Demokratie, so wichtig. Ein wesentliches Element sei hier Zivilcourage, die in Anlehnung an Gerd Mayer als spezifischer Typus sozialen Handelns verstanden wird: Wenn eine Person (seltener eine Gruppe) freiwillig für die legitimen, primär nicht-materiellen Interessen und die personale Integrität vor allem anderer Personen, aber auch des Handelnden selbst, eintritt und sich dabei an humanen und demokratischen Prinzipien orientiert – dann ist das Zivilcourage. Sie kann in spezifischen Situationen in unterschiedlichen sozialen Kontexten und Öffentlichkeiten stattfinden.
Ausgehend von diesem Grundverständnis stellten Sarah Junghans und Yvonne Bonfert die einzelnen Bausteine des Projekts vor: digitale und analoge Zivilcourageausbildung der Studierenden, ein Blockseminar in Ústí, Exkursionen noch Most und Dresden sowie die Schulworkshops, die unter Anleitung des Aktion Zivilcourage e.V. von den Studierenden vorbereitet und gehalten wurden. Auch der Vortrag selbst hatte Workshop-Charakter. Die Teilnehmenden diskutierten etwa, wann sie das letzte Mal mutig waren und was für sie eigentlich zivilcouragiertes Handeln ist. Auch wenn es hier in Detailfragen Unterschiede gab, so war doch allen klar: Wir brauchen Zivilcourage, gerade in der Grenzregion.