"Rassisten, Extremisten, Vulgärdemokraten!" Hat sich PEGIDA radikalisiert?
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Veröffentlichung
25.02.2016, Dresden, Professur für Politische Systeme und Systemvergleich
Zusammenfassung
Eine Forschergruppe um den Dresdner Politikwissenschaftler Prof. Dr. Werner J. Patzelt hat in nunmehr drei Studien mit insgesamt vier Befragungswellen (Januar, April, Mai 2015, Januar 2016) die Einstellungen, Vorstellungen und soziographischen Merkmale von PEGIDA-Demonstranten erfasst. Diese Datengrundlage erlaubt es nun, ein differenziertes Bild der Entwicklung des PEGIDA-Phänomens zu zeichnen. Es zeigt sich, dass sich zwar durchaus Radikalisierungstendenzen ausmachen lassen. Von einer allgemeinen Entwicklung von PEGIDA hin zum Rechtsradikalismus kann aber nur bedingt gesprochen werden. PEGIDA-Demonstranten sind mehrheitlich ferner keine Gegner des Demokratieprinzips; viele von ihnen haben aber dessen bundesrepublikanischer Gestalt innerlich gekündigt. Und der AfD gelingt es immer besser, im Lager der Pegidianer und ihrer Sympathisanten Fuß zu fassen. Wichtige Befunde, die bislang nur aus Realkontakt-Interviews bekannte Sachverhalte bestätigen, zeigten sich bei erstmals abgefragten Einstellungen: Typische Pegidianer sympathisieren mit Russland, stehen den USA skeptisch gegenüber, sind globalisierungskritisch und halten Deutschland für sozial ungerecht. Abgesehen vom ausgeprägtem „deutschen Patriotismus“ der Pegidianer zeigen sich hier große inhaltliche Schnittmengen mit klassisch linken Positionen.
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Zentrale Befunde
(1) Folgende Veränderungen von Ansichten und Einstellungen der Demonstranten vom Januar 2015 über April und Mai 2015 bis hin zur letzten Befragung im Januar 2016 lassen sich quantitativ belegen:
- Es zeichnet sich ein nennenswertes, auch größer gewordenes Ausmaß an Radikalität unter jüngeren PEGIDA-Demonstranten ab. Im Zusammenhang damit lässt sich eine radikalisierende Mobilisierungswirkung des Internet erkennen.
- Viele Demonstranten haben sich bis zur inneren Kündigung gegenüber unserem Staatswesen verhärtet.
- Der Anteil jener Demonstranten, welche die Teilnahme an der nächsten Bundestagswahl verweigern wollen, fiel von 32% auf 11%. Zugleich wollen viel mehr Demonstranten die AfD wählen: Der Anteil stieg von 58% auf 82%.
- Die Bereitschaft zur Aufnahme von Bürgerkriegsflüchtlingen und Asylbewerbern ist gesunken: Der Anteil fiel zwischen Januar 2015 und Januar 2016 von 73% auf 51%.
- Es gibt noch weniger Bereitschaft, sich einen friedlichen Islam oder friedliche Muslime als zu Deutschland passend vorzustellen: Der Anteil fiel zwischen Januar 2015 und Januar 2016 beim „friedlichen Islam“ von 33% auf 14%, bei „friedlichen Muslimen“ von 43% auf 30%.
(2) Folgende Veränderungen seit dem Januar 2015 lassen sich qualitativ belegen:
- Viele ehedem „besorgte Gutwillige“ sind zu „empörten Bürgern“ geworden. Unter ihnen haben sich nicht wenige von unserem Staat innerlich abgewendet.
- Es hat die Selbstverständlichkeit zugenommen, sich klar xenophob und islamophob zu äußern.
- Es hat sich ein Denk- und Empfindungszusammenhang herausgebildet, von dem aus sich bruchlos auf rechtsradikale Positionen gelangen lässt, falls man sein Denken und Reden nicht diszipliniert.
- Bei den PEGIDA-Reden ist der Ton schriller geworden. Die Kritik an der politisch-medialen Klasse klingt rüder, die Darstellung von Geflüchteten sowie Muslimen viel grober als noch zu Beginn der PEGIDA-Demonstrationen. Auch wurden bisweilen nicht nur Grenzen des Anstands überschritten, sondern strafrechtliche Grenzen zumindest berührt.
- Außerdem hat sich unter nicht wenigen Kundgebungsteilnehmern eine raue, ja aggressive Stimmung gegenüber echt oder vermeintlich Andersdenkenden entwickelt, die sich vereinzelt auch in entsprechendes Handeln umsetzt.
(3) Gegen die These einer „allgemeinen Radikalisierung“ von PEGIDA spricht:
- Es gibt keinen belegbaren „Rechtsruck“ von PEGIDA seit dem Januar 2015: „rechts der Mitte“ positionierten sich damals 27%, ein Jahr später 29%. Der „Rechtsruck“ blieb also aus, obwohl sich inzwischen viele Befürchtungen der Demonstranten bewahrheitet hatten: Masseneinwanderung ohne Grenzkontrolle, islamistische Anschläge, große Kosten der Einwanderung bei geringer Beschäftigungswirkung, zerreißender gesellschaftlicher Zusammenhalt …
- Methodische Anmerkung: Da Rechtsradikale eher ein Interview verweigerten als weniger rechte Demonstranten, werden die Anteile von „sehr rechten Pegidianern“ zwar höher liegen. Es gibt aber keinen guten Grund zur Annahme, der „Lügefaktor“ habe im Januar 2015 anders gewirkt als ein Jahr später. Deshalb bleibt aussagekräftig, dass sich nur wenig verändert hat.
- Es gibt keine Zunahme einer Akzeptanz der Präsenz von Rechtsradikalen bei den Demonstrationen, sondern weiterhin eine überwältigende Ablehnung: Der Anteil stieg zwischen Januar 2015 und Januar 2016 sogar leicht von 73% auf 76%.
- Es gibt keine Zunahme der – ohnehin schon heftigen – Kritik am Funktionieren unserer Demokratie: Der Anteil der Unzufriedenen sank zwischen Januar 2015 und Januar 2016 sogar leicht von 75% auf 70%.
- Es gibt keine Hinweise darauf, zu PEGIDA kämen inzwischen …
- mehrheitlich Rassisten. Eindeutige Rassisten, nämlich auch „biologische Rassisten“, sind wohl 5-8% der Demonstranten.
- mehrheitlich Rechtsradikale. Deren Anteil ließ mit etwas über 19% errechnen. Wegen er Stichprobenverzerrung dürfte er etwas höher liegen.
- viele Rechtsextremisten. Deren Anteil – enthalten in dem der Rechtsradikalen – lässt sich auf rund 6% schätzen.
(4) Zu den weiteren politischen Einstellungen von PEGIDA-Demonstranten gehört:
- Patriotismus: Sie fühlen sich mehrheitlich als „deutsche Patrioten“ (82%).
- Demokratie: Sie kritisieren nicht mehrheitlich das Prinzip der Demokratie (21%), sondern deren deutsche Praxis (69%).
- Gerechtigkeit: Sie halten mehrheitlich die wirtschaftlichen Verhältnisse in Deutschland für ungerecht (78%).
- Globalisierung: Sie meinen mehrheitlich, die Globalisierung bringe eher Nachteile für Deutschland (75%) und für die Welt (80%).
- Russland: Sie meinen mehrheitlich, Russland werde in Deutschland oft zu Unrecht kritisiert (88%).
- USA: Sie meinen mehrheitlich nicht, Deutschlands solle sich auch weiterhin außenpolitisch eng mit den USA abstimmen (69%)
Mit Ausnahme des „deutschen Patriotismus“ werden alle diese Einstellung in Deutschland oft auch von „Linken“ geteilt. Diese Einstellungen hängen unter den befragten Demonstranten eng mit jedem Thema zusammen, das den Pegidianern wichtig ist: Kritik an der bestehenden Demokratie, Einwanderung, „Islamisierung“. Dabei ist ein umso „typischerer Pegidianer“, wer globalisierungskritischer, amerikaskeptischer, russophiler und kritischer ob der sozialen Gerechtigkeit in Deutschland ist.
(5) Es lassen sich fünf Gruppen von PEGIDA-Demonstranten unterscheiden:
- Rechtsradikale: 19%, darunter etwa 5% Rechtsextremisten
- islamophobe Zuwanderungskritiker: 19%
- kulturkonservative Zuwanderungskritiker: 31%
- gutwillige Zuwanderungskritiker: 23%
- bundesdeutscher Mainstream: 8%
Das bestätigt und differenziert die Befunde der Vorgängerstudien. Wegen der Stichprobenverzerrung wird der Anteil von Rechtsradikalen etwas höher liegen.
(6) Ansonsten erhärten die Befunde das bisherige soziographische Wissen über die PEGIDA-Demonstranten: typischerweise Männer aus Dresden und Umgebung, verheiratet, älter, konfessionslos, (früher) berufstätig, gute (praxisorientierte) Bildung, durchschnittliches bis unterdurchschnittliches Einkommen.
Methoden
Datengrundlage: Die präsentierten Befunde basieren auf Daten aus insgesamt vier Befragungswellen vom Januar, April und Mai 2015 sowie vom 18. Januar 2016, die mit (weitgehend) gleichen standardisierten Fragebögen durchgeführt wurden. Bei der aktuellen letzten Befragung wurden 386 Interviews geführt; die Ausschöpfungsquote lag bei 37 Prozent. 70 Prozent der Befragten hatten bis dahin an keiner solchen Studie teilgenommen. Zu den Kennzahlen der vorherigen Studien...
Stichprobe: Die Auswahl der Befragten wurde nach Alter und Geschlecht quotiert; den Interviewern wurden Sektoren auf dem Demonstrationsplatz und in der Marschkolonne zugewiesen. Die Stichprobe ist dahingehend verzerrt, dass zumal jüngere, erfahrungsgemäß viel rechtsradikaler eingestellte Demonstrationsteilnehmer die Teilnahme verweigerten.
Repräsentativität: Zwar ist aus praktischen Gründen die Ziehung einer Zufallsstichprobe bei solchen Befragungen nicht möglich. Deshalb lässt sich Repräsentativität auch nicht garantieren. Jedoch ermöglicht das o.g. Auswahlverfahren eine (weitgehend) repräsentative Stichprobe dahingehend, dass nicht einfach irgendein Teil der Demonstranten befragt wurde, der sich von der Gesamtheit der Demonstranten dann beliebig unterschiede. Beleg dafür sind einesteils die konvergierenden Befunde der Studien von Vorländer (Dresden), Rucht (Berlin), Walter (Göttingen) und Patzelt. Andernteils blieben die meisten Häufigkeitsverteilungen und Zusammenhangsmaße über alle bisherigen Umfragen des Forscherteams um Prof. Patzelt ziemlich gleich. Das wäre höchst unwahrscheinlich, wenn nicht alle Stichproben tatsächlich bestehende Merkmalsverteilungen und Zusammenhänge widergespiegelt hätten. Die Studie ist also repräsentativ in einem praktischen Sinne; und weil ihre systematische Verzerrung bekannt ist, lässt diese sich interpretativ bei Aussagen über PEGIDA als Ganzes berücksichtigen.
Ausblick
Diese Demonstrantenbefragung ist Teil von viel umfassenderen Forschungsarbeiten, deren Ergebnisse in einigen Wochen im Dresdner Universitätsverlag erscheinen werden:
- Werner J. Patzelt / Joachim Klose, Hrsg.: PEGIDA. Warnsignale aus Dresden. Dresden 2016 (Thelem Universitätsverlag), ca. 450 Seiten
In den Kapiteln dieses Buches werden – nach einem Gesamtporträt von PEGIDA – die folgenden Themenbereiche behandelt: PEGIDAs Programmatik; die bei PEGIDA gehaltenen Reden; die bisherigen empirischen Ergebnisse zu den Demonstranten, eingebettet in bundesweit repräsentative demoskopische Befunde; die Auseinandersetzungen von Pegidianern und ihren Gegnern auf Facebook; die lokalen, regionalen und gesamtgesellschaftlichen Ursachen von PEGIDA; der „Deutungskampf um PEGIDA“; sowie realistische Handlungsmöglichkeiten angesichts des Durchhaltevermögens von PEGIDA und des Aufwachsens der AfD.
Ansprechpartner
Emeritus
NameProf. Dr. Werner J. Patzelt
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