Dissertationsvorhaben
Dass die Rezeption von Comics an den Lesenden ganz andere Herausforderungen stellt als die Lektüre reiner Schrifttexte ist unumstritten: Da die meisten Comics ihre Geschichten in einer Kombination aus Bild und Schrift erzählen, werden bei ihrer Rezeption sowohl die Bildwahrnehmung als auch die Schriftlektüre gefordert. Während die Lektüre von Schrift sequentiell und auf Basis einer erlernten Konvention erfolgt, spielen bei der primär simultanen Rezeption von Bildern Konventionen eine weniger maßgebliche Rolle. Hinzu kommt, dass sich Schrift und Bild im Comic teilweise annähern: So vermittelt Schrift hier nicht nur sprachliche Inhalte, sondern kann durch die grafische Gestaltung des Schriftbildes zusätzlich synästhetische Qualitäten haben (z.B. die Vermittlung von Lautstärke durch größere oder kleinere Buchstaben). Auf der anderen Seite können ursprünglich ikonische Elemente durch Konventionalisierung der Schrift angenähert werden (z.B. um den Kopf kreisende Sterne als Zeichen für Ohnmacht). Zu den Rezeptionsanforderungen der beiden Zeichensysteme im Einzelnen tritt außerdem die Wahrnehmung der verschiedenen Verknüpfungsmöglichkeiten von Schrift und Bild: „Je nachdem, wie Kombinationen zwischen Schrift/Sprache und Bild in Comics gestaltet sind, können sie narrative Zusammenhänge eindeutiger machen und das Verständnis erleichtern oder Komplexität generieren und zusätzliche Leerstellen schaffen, die es im Rezeptionsprozess zu füllen gibt.“ (Schüwer 2008: 319) Und zuletzt ist – neben den bereits erwähnten Anforderungen – auch das Erfassen der durch die aneinandergereihten Bild-Schrift-Kombinationen ausgedrückte Narration und deren ganz eigener „Grammatik“ (vgl. Cohn 2013) sowie das damit verbundene imaginative Füllen des Zwischenraums zwischen den einzelnen Panels eine Aufgabe, die der Comic an den Lesenden stellt.
Wie Schüler und Schülerinnen mit all diesen Herausforderungen umgehen, soll im Rahmen dieses Dissertationsprojektes untersucht werden. Dazu sollen die Sinnbildungsprozesse beim Lesen von Comics mit Hilfe der Methode des Lauten Denkens rekonstruiert und analysiert werden. Die Ergebnisse werden zudem mit Hilfe eines Fragebogens zur Erfahrung der Schülerinnen und Schüler mit Comics sowie zur übergreifenden Lesemotivation kontextualisiert. Grundlage der Datenerhebung sind die ersten Seiten dreier Comics bekannter deutscher Autor*innen, in denen die Verknüpfungsmöglichkeiten von Schrift und Bild auf jeweils unterschiedliche Weise realisiert werden.
Literatur:
Schüwer, Martin: Wie Comics erzählen. Grundriss einer medialen Erzähltheorie der grafischen Literatur, Trier: WVT 2008.
Cohn, Neil: Visual Narrative Structure, In: Cognitive Science 34 (2013), S. 413-452.
Die Diskussionen zum materialgestützten Schreiben entzünden sich oft an einer Formulierung aus den Bildungsstandards für die Allgemeine Hochschulreife, die diesen Aufgabentyp beschreiben als „Aufgaben, die keine vollständige Textanalyse erfordern, da das vorgelegte Material auf der Grundlage von Rezeption und kritischer Sichtung für eigene Schreibziele genutzt werden soll“ (BS AHR 2012: 24). Es stellt sich damit die Frage, welche Rolle und Funktion die beiden Tätigkeiten Lesen und Schreiben in diesem Aufgabenformat einnehmen sollen. So wird einerseits mit dem Format die Intention verbunden, dem Schreiben im Deutschunterricht wieder stärkeres Gewicht beizumessen (Becker-Mrotzek 2017). Andererseits ist die Kritik zu vernehmen, dass durch eine starke schreibdidaktische Fokussierung das Lesen aus dem Blick gerät, da die Materialien lediglich als eine Art Steinbruch für die eigene Textproduktion dienen. Recht konsensuell wird jedoch betont, dass das polytextuelle Lesen im Kontext des materialgestützten Schreibens, welches sich durchaus an einem vollständigen Verstehen orientiere, neue, besondere Herausforderungen an die Lernenden stellt (u.a. Abraham et al. 2015; Feilke et al. 2016). In ersten Studien zeigt sich, dass insbesondere das selektive und textvergleichende Lesen den Lernenden Schwierigkeiten bereitet und sich dies stark auf die Qualität der Zieltexte auswirkt (Schüler 2017).
Das Dissertationsprojekt will der Frage nachgehen, welche Herausforderungen an die Lernenden beim polytextuellen Lesen im Kontext materialgestützter Schreibaufgaben gestellt werden, und dabei die unterschiedlichen Leistungsniveaus der Schülerinnen und Schüler mit in den Blick nehmen. Untersucht werden soll, wie diese Anforderungen durch die Komplexität der Materialien geprägt werden, inwieweit den Lernenden ein selektives, an der Aufgabe orientiertes Lesen gelingt sowie in welcher Weise sie Zusammenhänge zwischen den Materialien herstellen und die Lektüreergebnisse in den Zieltext integrieren.
Den Kern der explorativen Studie bildet die Bearbeitung einer materialgestützten Schreibaufgabe durch Lernende unterschiedlicher Leistungsniveaus, wobei Teilaufgaben und integrierte kooperative Arbeitsformen einen Zugang zu den Prozessen des polytextuellen Lesens schaffen und die Strategien der Lernenden zur Erschließung und Verarbeitung der vielfältigen Materialien offenlegen. Die dabei entstehenden Daten, welche sich aus Zwischenprodukten, Zieltexten und Transkripten der Arbeitsgespräche zusammensetzen, werden qualitativ-inhaltsanalytisch ausgewertet.
Ausgehend von den Befunden sollen Überlegungen zur differenzierten Förderung der entsprechenden Lesefähigkeiten entwickelt werden.
Literatur:
Abraham, Ulf; Baurmann, Jürgen; Feilke, Helmuth (2015): Materialgestütztes Schreiben. In: Praxis Deutsch (251), S. 4–12.
Becker-Mrotzek, Michael (2017): Das Schreiben zurückholen - Anmerkungen zur Funktion des materialgestützten Schreibens in den Bildungsstandards. In: Didaktik Deutsch (42), S. 4–11.
Feilke, Helmuth; Lehnen, Katrin; Rezat, Sara; Steinmetz, Michael (2016): Materialgestütztes Schreiben lernen. Grundlagen - Aufgaben - Materialien: Sekundarstufen I und II. Unter Mitarbeit von Björn Bergmann. Braunschweig: Schroedel.
Kultusministerkonferenz (Hg.) (2012): Bildungsstandards im Fach Deutsch für die Allgemeine Hochschulreife. In: http://www.kmk.org/ fileadmin/ Dateien/veroeffentlichungen_beschluesse/2012/2012_10_18-Bildungsstandards-Deutsch-Abi.pdf. Abgerufen am 12.03.18.
Schüler, Lisa (2017): Materialgestütztes Schreiben argumentierender Texte. Untersuchungen zu einem neuen wissenschaftspropädeutischen Aufgabentyp in der Oberstufe. 1. Auflage. Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren (Thema Sprache - Wissenschaft für den Unterricht, 25).
Die (moderne) Parabel ist eine Kurzprosagattung, die traditionell im Unterricht der späten Sekundarstufe I oder in der Sekundarstufe II behandelt wird. Trotz oder gerade wegen ihrer relativen Kürze stellt sie an die Lernenden hohe Verstehensanforderungen (vgl. Winkler, 2006, S. 582, Nickel-Bacon 2012), bietet aber zugleich ein hohes erkenntnisförderndes Potential, wie Härter mit Blick auf die ihr inhärente Wirkungsstruktur betont: „Kaum eine literarische Gattung exponiert so deutlich das gleichermaßen sinnbildende wie bildverwirrende Potential poetischer Rede wie die Parabel.“ (Härter, 2003, S. 17)
Die Parabel kann zudem als eine Textsorte betrachtet werden, die „grundlegend für das Verstehen Literarischer (sic) Texte insgesamt“ (Winkler, 2006, S. 582) ist, da sie in besonderer Weise zu spezifischen Deutungsprozessen auffordert, die oft als „Übertragung“ des Erzählten auf die Lebenswirklichkeit beschrieben werden. Der der Parabel inhärente Appellcharakter lässt sich auf die spezifische Redeweise zurückführen, die durch globale Uneigentlichkeit gekennzeichnet ist (vgl. Zymner 1991, 2003). Gerade für literarische Noviz*innen stellt die Parabel eine Anforderungsstruktur dar, die zunächst zu Irritation führen kann, da eine globale Kohärenzetablierung typischerweise zunächst erschwert oder gestört sein kann, da sich die PaFrabel einer einfachen Deutung bzw. Sinnzuschreibung entzieht. Zugleich kann infolgedessen, etwa wegen mangelnder Volition oder wenn zu wenig Inferenzen gebildet werden (können), ein Abbruch der Sinnbildung erfolgen. Andererseits kann die uneigentliche Struktur der Parabel gerade ein Auslöser dafür sein, die Sinnbildungsversuche zu intensivieren. In diesem Fall fungiert „die ‚Störung‘ [...] nicht als Aufforderung zur Korrektur oder gar zur Zurückweisung als unverständliche Äußerung [...], sondern als Aufforderung, trotzdem Sinn in die Sache zu bringen, indem nach anderen als den standardisiert üblichen semantischen Verknüpfungsmöglichkeiten, nach neuen Möglichkeiten der lexikalischen Solidarisierung gesucht wird.“ (Zymner, 2003, S. 143)
Die Parabel ist also insgesamt eine Textsorte, die ein hohes Maß an rezipientenseitigen Aktivitäten und Wissensbeständen erfordert. Spinner stellt in diesem Zusammenhang fest, dass es ein Anliegen vieler Lehrpersonen sei, dass ihre Schüler*innen (insbesondere in der Sekundarstufe II) auch die parabolische Sinndimension erfassen, dass diese aber oft daran scheitern (vgl. Spinner 2010, S. 55). Dies kann vor allem für moderne Parabeln angenommen werden.
Ziel des Dissertationsvorhabens ist es deshalb, die Verstehensprozesse bei modernen Parabeln näher zu untersuchen. Insbesondere soll untersucht werden, welche Strategien Schüler*innen verfolgen, um bzw. wenn sie auf eine parabolische Sinnebene (zu) gelangen.
Um diese Prozesse in den Blick nehmen zu können, sollen die Schüler*innen im Sinne eines verzögerten, textnahen Lesens (vgl. Frommer 1981, Paefgen 1998, van den Broek et al., 2016, S. 175) Notizen zur ersten Textlektüre einer modernen Parabel anfertigen, welche sie anschließend mit einer Partnerin/einem Partner besprechen. Erst anschließend soll durch eine weitere Aufgabe die parabolische Ebene des Textes fokussiert werden.
Die entstehenden Notizen sowie die transkribierten Gespräche sollen mit Hilfe der inhaltlich strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse (vgl. Kuckartz 2016) ausgewertet werden, um davon ausgehend Schlussfolgerungen für eine gelingende Auseinandersetzung mit modernen Parabeln im Deutschunterricht ziehen zu können, die sich insbesondere auf die Phase der ersten Textbegegnung(en) beziehen.
Literatur:
van den Broek, Paul / Mouw, Joulien M. / Kraal, Astrid (2016): Individual differences in reading comprehension. In: Afflerbach, Peter (Hrsg.): Handbook of individual differences in reading. New York / London: Routledge, S. 138–150.
Frommer, Harald (1981): Verzögertes Lesen: Über Möglichkeiten, in die Erstrezeption von Schullektüren einzugreifen. In: Der Deutschunterricht. Jg. 33/ H. 2, Leseprozesse im Unterricht. Seelze: Friedrich, S. 10–27.
Härter, Andreas (2003): Eine wahrhaft ungeheuere Reise: Zur Parabel und ihrer Reflexion bei Kafka. In: Härter, Andreas / Kunz, Edith Anna / Weidmann, Heiner (Hrsg.): Dazwischen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, S. 117–138.
Kuckartz, Udo (2016): Qualitative Inhaltsanalyse: Methoden, Praxis, Computerunterstützung. 3., überarbeitete Auflage. Weinheim / Basel: Beltz Juventa (= Grundlagentexte Methoden ).
Nickel-Bacon, Irmgard (2013): Von Lessing bis Kunert. Textseitige Vorgaben und Rezeptionsanforderungen des parabolischen Erzählens. In: Frickel, Daniela A. / Rupp, Gerhard / Boelmann, Jan M. (Hrsg.): Literatur – Lesen – Lernen. Frankfurt am Main: Peter Lang Edition, S. 273–291.
Paefgen, Elisabeth K. (1998): Textnahes Lesen: 6 Thesen aus didaktischer Perspektive. In: Belgrad, Jürgen / Fingerhut, Karlheinz (Hrsg.): Textnahes Lesen. Baltmannsweiler: Schneider-Verlag Hohengehren, S. 14–23.
Spinner, Kaspar H. (2010): Symbolisches Verstehen als Kernkompetenz poetischen Verstehens. In: Winkler, Iris / Masanek, Nicole / Abraham, Ulf (Hrsg.): Poetisches Verstehen. Baltmannsweiler: Schneider-Verlag Hohengehren, S. 55–67.
Winkler, Iris (2006): Parabel. In: Kliewer, Heinz-Jürgen / Pohl, Inge (Hrsg.): Lexikon Deutschdidaktik: M-Z, Band 2, Schneider-Verlag Hohengehren, S. 582.
Zymner, Rüdiger (1991): Uneigentlichkeit: Studien zu Semantik und Geschichte der Parabel: Zugl.: Freiburg/Schweiz, Univ., Diss., 1990. Paderborn u. a.: Schöningh (= Explicatio).
Zymner, Rüdiger (2003): Uneigentliche Bedeutung. In: Jannidis, Fotis / Lauer, Gerhard / Martínez, Matías / Winko, Simone (Hrsg.): Regeln der Bedeutung. Bd. 1. Berlin / Boston: De Gruyter (= Revisionen ), S. 128–168.
Ziel des Dissertationsvorhabens ist es, die fach- und berufsbezogenen Überzeugungen der literaturwissenschaftlich Lehrenden zu rekonstruieren. Im Fokus stehen dabei Überzeugungen zum Fach, zu fachspezifischen Lehr-Lern-Prozessen ebenso wie damit verknüpfte Überzeugungen zur fachlichen Lehrerbildung. Anknüpfend an den Forschungsdiskurs zu teacher beliefs (Reusser & Pauli 2014) sowie Erhebungen von Überzeugungen Studierender des Lehramts Deutsch (z.B. Winkler 2015) versucht das Vorhaben, diese bisher kaum berücksichtigte Perspektive in die deutschdidaktische Lehrerbildungsforschung einzubringen. Zugleich schließt das Dissertationsvorhaben an Forschungen zur wissenschaftlichen Enkulturation an (vgl. Huber 1991), da literaturwissenschaftliche Sozialisationsprozesse bisher kaum in den Blick genommen wurden (außer z.B. Glaser 2005; Schädlich 2009).
Im Rahmen des Vorhabens werden Überzeugungen ‒ anlehnend Reusser & Pauli ‒ verstanden als affektiv geprägte und für wahr gehaltene Vorstellungen der literaturwissenschaftlich Lehrenden über Struktur, Inhalte und Erkenntnisprinzipien des Faches, die Natur der fachlichen Lehr-Lernprozesse sowie die Rolle von Lehrenden und Lernenden (vgl. Reusser & Pauli 2014, S. 642). Bedeutsam erscheint deren Rekonstruktion vor dem Hintergrund der Annahme, dass sie als Filter und Orientierungsrahmen Wahrnehmungen und Entscheidungen der Lehrenden beeinflussen und somit auch die Gestaltung universitärer Lehr-Lern-Situationen mitprägen (vgl. z.B. Fives/Buehl 2012). Insofern stellen sie einen Einflussfaktor im Enkulturations- wie Professionalisierungsprozess von Lehramtsstudierenden dar und sollen insbesondere angesichts der Herausforderungen von universitären Lehrerbildung in den Blick genommen werden.
Entsprechend des Anliegens des Forschungsvorhabens wird auf qualitativ-rekonstruktive Verfahren zurückgegriffen: Zur Erhebung der Überzeugungen wurden problemzentrierte Interviews (Witzel 2000) mit Fachwissenschaftler*innen aus literaturwissenschaftlichen Disziplinen an mehreren Universitäten Deutschlands geführt. Die Rekonstruktion der expliziten wie impliziten individuellen Überzeugungen erfolgt mittels Dokumentarischer Methode (Nohl 2012), um im anschließenden Fallvergleich sowohl Spannungsfelder als auch Konvergenzen aufzeigen zu können.
Die Dissertation entsteht im Rahmen des vom BMBF in der „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ geförderten Projektes TUD-Sylber.
Literatur:
Fives, Helenrose; Buehl, Michelle M. (2012): Spring Cleaning for the „Messy“ Construct of Teachers’ Beliefs. What are they? Which have been examined? What can they tell us? In: Harris, Karen R.; Graham, Steve; Urdan, Tim (Hg.): Educational Psychology Handbook. Vol. 2 Individual differences and cultural and contextual factors. Washington, DC: American Psychological Association, S. 471–499.
Glaser, Marie Antoinette (2005): Literaturwissenschaft als Wissenschaftskultur. Zu den Praktiken, Mechanismen und Prinzipien einer Disziplin. Hamburg: Verlag Dr. Kovac.
Huber, Ludwig (1991): Sozialisation in der Hochschule. In: Hurrelmann; Klaus, Ulich, Dieter (Hg.): Neues Handbuch der Sozialisationsforschung. 4., völlig neubearb. Auflage. Weinheim: Beltz, S. 417-441.
Nohl, Arnd-Michael (2012): Interview und dokumentarische Methode. Anleitungen für die Forschungspraxis. 4., überarb. Auflage. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Reusser, Kurt; Pauli, Christine (2014): Berufsbezogene Überzeugungen von Lehrerinnen und Lehrern. In: Terhart, Ewald; Bennewitz, Helga; Rothland, Martin (Hg.): Handbuch der Forschung zum Lehrerberuf. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. Münster/New York: Waxmann, S. 642-661.
Schädlich, Birgit (2009): Literatur lesen lernen. Literaturwissenschaftliche Seminare aus der Perspektive von Lehrenden und Studierenden. Eine qualitativ-empirische Studie. Tübingen: Narr.
Witzel, Andreas (2000). Das problemzentrierte Interview. In: Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 1(1), Art. 22, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0114-fqs0001228.
Winkler, Iris (2015): Durch die Brille der anderen sehen. Professionsbezogene Überzeugungen im Lehramtsstudium Deutsch. In: Mitteilungen des Deutschen Germanistenverbandes, 62 (2), S. 192-208.
Immer wieder wird von Deutschlehrer:innen moniert, dass ihre Schüler:innen nicht über das Wissen verfügten, das sie für einen kompetenten Umgang mit Literatur bräuchten oder wenn sie es denn haben, nicht verstehensförderlich damit umgehen könnten. Obwohl wissensbezogene Fragestellungen zu Beginn des 21. Jahrhunderts zunächst aufgrund der Kompetenzorientierung infolge der PISA-Studie in den Hintergrund des literaturdidaktischen Interesses gerieten, setzte sich bereits kurz darauf die Einsicht durch, dass sich Gegenstands- und Kompetenzorientierung keineswegs als Gegensatzpaar gegenüberstehen. Im Gegenteil sind speziell Wissensfragen gerade durch die Kompetenzorientierung wieder verstärkt in den Blick zu nehmen. Während zu Beginn dieses neuen Wissensdiskurses hauptsächlich die Relevanz von fachlichem Wissen für das literarische Textverstehen sowie die Modellierung kompetenter Wissensapplikationen im Sinne einer Problemlösetauglichkeit diskutiert wurden (vgl. Pieper/Wieser 2012), beschäftigt sich der jüngere Diskurs zunehmend mit den konkret zu erwerbenden Wissensqualitäten im Literaturunterricht und der damit einhergehenden Frage nach der didaktischen Gestaltung von Vermittlungs- und Lernsituationen (vgl. Möbius/Steinmetz 2016; Köster 2015).
Für die prominente Wissensdomäne des Gattungswissens, die am Beispiel der Kurzgeschichte den Gegenstand der Untersuchung bilden soll, stehen Sinn und Nutzen einer Vermittlung beispielsweise aus lesepsychologischen Erkenntnissen heraus außer Frage (Winkler 2007b: 71); jedoch ist weit weniger klar, wie vernetztes und flexibles, mithin potenziell verstehensförderliches, Gattungswissen im Literaturunterricht vermittelt und erworben werden kann. Zu berücksichtigen ist dabei zudem, dass Kurzgeschichten als Lerngegenstände und -medien im Deutschunterricht auch jenseits gattungsdidaktischer Ziele vielfältig zum Einsatz kommen (vgl. Quinten 2010). Im Rahmen des Dissertationsprojektes soll deshalb der auf Exploration und Deskription zielenden Forschungsfrage nachgegangen werden, wie der unterrichtliche Umgang mit Kurzgeschichten im Allgemeinen sowie die Vermittlung, der Erwerb und die Anwendung von Gattungswissen im Speziellen im Literaturunterricht der Sekundarstufe I didaktisch modelliert werden. Rückschlüsse auf die Gestaltung der Lehr- und Lernsituation erlauben neben dem großen Feld der Unterrichtsforschung insbesondere Lehrwerke mit ihren didaktischen Modellierungen sowie Lehrpersonen mit ihren entsprechenden Überzeugungen.
Lehrwerke gelten noch immer als zentrale Medien der Wissensvermittlung im Unterricht (vgl. Möbius 2016: 115). Indem sie die Lehrplaninhalte in didaktisierter Form konkretisieren, werden sie zu aufschlussreichen Untersuchungsgegenständen in Hinblick auf die Lehr- und Lernsituation. Zunächst werden deshalb jüngere Deutschlehrwerke kriterienbasiert analysiert, um die didaktischen Modellierungen zum unterrichtlichen Umgang mit Kurzgeschichten im Allgemeinen (vgl. Quinten 2010) und die Vermittlung, den Erwerb und die Anwendung von Gattungswissen im Literaturunterricht im Speziellen (vgl. Winkler 2007a und Frickel 2012) zu rekonstruieren. Die Lehrwerksanalyse, die zum einen u. a. Lern- und Kompetenzhorizonte, Kompositionsprinzipien und Kanonisierungstendenzen bei der Behandlung der Kurzgeschichte, zum anderen aber z. B. auch die Modellierung und Präsentation von Gattungswissen, dessen Perspektivierung in Aufgabenstellungen und den Grad an Kumulativität und Progression im Umgang mit diesem Wissen untersucht, erlaubt im Rahmen eines Verständnisses von Lehrwerken als Materialisierungen (vgl. Pieper 2017: 65) wichtige Befunde zu den darin enthaltenen didaktischen Transformationsprozessen und Modellierungen bzgl. ihren Potenzialen und Schwachstellen. Weil Lehrkräfte die Lehrwerke z. B. im Rahmen ihrer Unterrichtsplanung nutzen, ist anzunehmen, dass die lehrwerksseitigen didaktischen Modellierungen die Unterrichtspraxis im Rahmen externer didaktischer Transposition (vgl. Pieper 2017: 65) wenigstens mittelbar beeinflussen.
Gleichsam dürfte jedoch klar sein, dass die Lehrkräfte die Lehrwerksangebote nicht ungefiltert oder bruchlos übernehmen, sondern sich u. a. auf der Basis ihrer Überzeugungen zum Umgang mit (Gattungswissen zu) Kurzgeschichten im Literaturunterricht zu ihnen verhalten, wenn sie Unterricht planen und durchführen. In ihrer Funktion als Mittler:innen zwischen den Lehrwerksangeboten und den jeweiligen Lerngruppen treffen sie Auswahlentscheidungen, arrangieren oder modifizieren Lehrwerksinhalte in spezifischer Form und gestalten die Begegnung der Lernenden mit den Texten und Aufgaben didaktisch – es kommt zu einer internen didaktischen Transposition (vgl. Pieper 2017: 65). Damit verbunden ist eine relativierte Geltungskraft von Lehrwerken für unterrichtliche Vermittlungs- und Erwerbsprozesse. Aussagen zur Nutzung und Einbindung der Angebote in unterrichtliche Lehr-Lern-Settings werden folglich erst im Rahmen von Lehrer:innen- und Unterrichtsforschung möglich. Deshalb erfolgt in einem nächsten Schritt die rekonstruktive Untersuchung von Lehrpersonen und ihren Überzeugungen.
Im Rahmen von problemzentrierten qualitativen Expert:inneninterviews (vgl. Witzel 2000) gilt es – fokussiert auf das Planungshandeln – auf der Basis ausgewählter Lehrwerksauszüge als Stimuli einerseits zu rekonstruieren, wie Lehrende den Umgang mit Kurzgeschichten und dem dazugehörigen Gattungswissen in jüngeren Deutschlehrwerken beurteilen. Andererseits wird ausgehend von einer vorbereitend zu erstellenden Planungsskizze untersucht, wie Lehrpersonen mit den entsprechenden didaktischen Modellierungen in Lehrwerken tatsächlich umgehen, wenn sie eine konkrete Unterrichtsstunde planen. Die Auswertung der qualitativen Interviews erfolgt aufgrund des rekonstruktiven Erkenntnisinteresses an den zugrundeliegenden Überzeugungen der Lehrpersonen mit der Dokumentarischen Methode (vgl. Bohnsack/Nentwig-Gesemann/Nohl 2013; Rauschenberg/Hericks 2018).
Literatur:
Bohnsack, Ralf/Nentwig-Gesemann, Iris/Nohl, Arnd-Michael (Hrsg.) (2013): Die dokumentarische Methode und ihre Forschungspraxis. Grundlagen qualitativer Sozialforschung. 3., aktualisierte Auflage. Wiesbaden: Springer VS.
Frickel, Daniela A. (2012): Gattungswissen und literarisches Verstehen am Beispiel Kleiner Prosa oder: Von „Beulen, die sich der Verstand beim Anrennen an die Grenze der Sprache geholt hat“. In: Pieper, Irene/Wieser, Dorothee (Hrsg.): Fachliches Wissen und literarisches Verstehen. Studien zu einer brisanten Relation. Frankfurt am Main: Peter Lang, S. 71-90 (= Beiträge zur Literatur- und Mediendidaktik, Bd. 22).
Köster, Juliane (2015): Merkmalslisten, Prototypen, Exemplare. Wege zur Didaktisierung von Gattungs- und Genrewissen. In: Leseräume, Jg. 2, H. 2, S. 59-71.
Möbius, Thomas (2016): Wissensvermittlung durch Lehrwerke. Eine text- und aufgabenfokussierte Nutzungsstudie unter Lehrkräften in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. In: Möbius, Thomas/Steinmetz, Michael (Hrsg.): Wissen und literarisches Lernen. Grundlegende theoretische und didaktische Aspekte. Frankfurt am Main: Peter Lang (= Positionen der Deutschdidaktik, Bd. 4), S. 115-128.
Möbius, Thomas/Steinmetz, Michael (Hrsg.) (2016): Wissen und literarisches Lernen. Grundlegende theoretische und didaktische Aspekte. Frankfurt am Main: Peter Lang (= Positionen der Deutschdidaktik, Bd. 4).
Pieper, Irene (2017): Zur Gegenstandskonstitution im Lese- und Deutschbuch am Beispiel von Goethes „Willkommen und Abschied“. In: Scherf, Daniel (Hrsg.): Inszenierungen literalen Lernens: kulturelle Anforderungen und individueller Kompetenzerwerb. Unter Mitarbeit von Susanne H. Becker, Lea Grimm, Petra Heyer, Cornelia Rosebrock. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren, S. 62-78.
Pieper, Irene/Wieser, Dorothee (Hrsg.) (2012): Fachliches Wissen und literarisches Verstehen. Studien zu einer brisanten Relation. Frankfurt am Main: Peter Lang (= Beiträge zur Literatur- und Mediendidaktik, Bd. 22).
Quinten, Roland (2010): Die Kurzgeschichte im Deutschunterricht. Didaktische Überlegungen zu einem literarischen Unterrichtsgegenstand vor dem Hintergrund eines an Bildungsstandards und Kompetenzen orientierten Deutschunterrichtes. Braunschweig: Dissertationsschrift an der Technischen Universität Carolo Wilhelmina zu Braunschweig.
Rauschenberg, Anna/Hericks, Uwe (2018): Wie sich Lehrerinnen und Lehrer im Berufseinstieg mit Normen auseinandersetzen. Überlegungen aus der Forschungspraxis zu einigen neueren Entwicklungen in der Dokumentarischen Methode. In: Heinrich, Martin/Wernet, Andreas (Hrsg.): Rekonstruktive Bildungsforschung. Zugänge und Methoden. Wiesbaden: Springer VS, S. 109-122 (= Rekonstruktive Bildungsforschung, Bd. 13).
Winkler, Iris (2007a): „Im Allgemeinen hat die Kurzgeschichte ein offenes Ende …“. Zum Umgang mit literarischem Gattungswissen in aktuellen Lehrwerken für den Deutschunterricht. In: Matthes, Eva/Heinze, Carsten (Hrsg.): Elementarisierung im Schulbuch. Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt, S. 267-292.
Winkler, Iris (2007b): Welches Wissen fördert das Verstehen literarischer Texte? Zur Frage der Modellierung literarischen Wissens für den Deutschunterricht. In: Didaktik Deutsch, Jg. 11, H. 22, S. 71-88.
Witzel, Andreas (2000): Das problemzentrierte Interview. In: FQS Forum: Qualitative Sozialforschung, Vol. 1, No. 1. Online verfügbar unter: https://www.qualitative-research.net/index.php/fqs/article/view/1132/2519 (letzter Zugriff: 17.07.2024).