Röntgen-Drehschwenk Technik
Die Röntgen-Drehschwenk-Technik (RDS-Technik) nutzt die physikalische Gesetzmäßigkeit aus, dass zwischen jedem auf eine interferenzfähige Netzebenenschar {hkl} mit dem Netzebenenabstand dhkl treffenden monochromatischen Röntgenstrahl mit der Wellenlänge λ und der Netzebenenschar selbst ein Winkel θhkl existiert, der die BRAGG‘sche Gleichung erfüllt und daher zu einer Interferenz führt. Die Erfüllung der Interferenzbedingung für eine mögliche Einfallsposition des Röntgenstrahles liefert einen reflektierten Strahl, der beim "Durchstoßen" einer oberhalb der Netzebenenschar angeordneten Detektorebene (z.B. Film) einen Reflexpunkt P1 erzeugt. Ein Durchfahren des gesamten Winkelbereiches 0°≤α≤360° ergäbe eine Aneinanderreihung von Durchstoßpunkten (Reflexpunkten Pi), die in ihrer Gesamtheit eine geschlossene Beugungslinie darstellen. Da in jedem zu untersuchenden Probenkristallvolumen mehrere beugungsfähige Netzebenenscharen und damit eine entsprechende Anzahl von Beugungskegeln mit gemeinsamer Spitze auf diesen Netzebenen auftreten, bilden sich in der Filmebene mehrere Beugungsreflexkurven ab, die eine sogenannte RDS-Aufnahme repräsentieren.
Vorteile der RDS-Technik gegenüber der KOSSEL-Technik:
- Besseres Intensitäts-/Untergrund-Verhältnis (Signalkontrast von ca. 98%, da kein Bremsstrahlungs- und Fluoreszenzuntergrund)
- Außeneinstrahlung (keine Gitterquelle), deshalb frei wählbare Wellenlänge
- Bereichsweise oder einzelne Abbildung von Reflexen möglich (“Diskontinuierliches RDS”)
- Ortsauflösung (zur Zeit) 100 µm mit Röntgenoptik
- Die Proben müssen nicht elektrisch leitend sein
- Die Messungen können an Luft durchgeführt werden
- Das System ist kann mobil ausgeführt werden
Untersuchungsbeispiele aus unserem Labor:
Bestimmung der Orientierungsmatrix von Kalziumkupferoxid CaCu2O3
Kalziumkupferoxid gehört zu den Materialien, die bei tiefen Temperaturen den Effekt der Supraleitung zeigen. Für die Charakterisierung der supraleitenden Eigenschaften ist u.a. die Geometrie der Elementarzelle von Interesse. Beispielsweise geschieht der verlustlose Ladungstransport maßgeblich über die freien Valenzen der Kupferoxidschichten (Cu-O). Es bestand die Aufgabe, die Orientierung und die Gitterparameter an ausgewählten Proben zu bestimmen. Für die Untersuchung stand u.a. eine einkristalline Probe aus dem Leibniz-Institut für Festkörper- und Werkstofforschung (IFW) Dresden zur Verfügung. Das Bild zeigt die entsprechende RDS-Aufnahme sowie die "in einem Schuss" ermittelte Orientierungsmatrix. Die im IFW Dresden alternativ durchgeführte Bestimmung der Orientierung mit dem LAUE-Verfahren war schwierig, ungenau und sehr zeitaufwendig, da ein orthorhombisches Gitter vorliegt.
Unteruchungen an einer FeSi3-Transformatorblechprobe mit isolierender Forsteritschicht
An die elektrische Leitfähigkeit der zu untersuchenden Proben werden bei der RDS-Technik im Gegensatz zur KOSSEL-Technik kaum Anforderungen gestellt. Für die Probenpräparation genügt bei beiden Verfahren im allgemeinen eine metallographische Standardbearbeitung. Stören Deckschichten das Untersuchungsgebiet, muss bei Verwendung der elektronenstrahlinduzierten KOSSEL-Technik jedoch eine aufwendige Präparation vorgenommen werden. Bei Einsatz des RDS-Verfahrens oder der synchrotronstrahlangeregten KOSSEL-Technik können störende Deckschichten durchstrahlt werden, so dass beispielsweise Transformatorenbleche mit isolierenden Forsterit-Schichten (s. Bild) einer Untersuchung zugänglich sind. Das Abtragen der Deckschichten, wie es etwa bei EBSD-Untersuchungen notwendig ist, kann entfallen.
Zur Reduzierung der Belichtungszeit lassen sich sogar RDS-Reflexe gezielt einzeln darstellen bzw. auch bereichsweise ausblenden. Um die Genauigkeit einer Gitterkonstantenbestimmung zu erhöhen, bietet sich an, einen Reflex mit hohem Braggwinkel abzubilden. Im Bild ist das der ( 3 0 -1)-Reflex.