01.04.2023
Faktencheck: Cannabis – Tor zum Drogenabgrund?
Cannabis ist im Jahr 2021, mit geschätzten 22,2 Millionen Nutzer:innen im Alter von 15-64 Jahren, die am häufigsten konsumierte illegale Droge in der Europäischen Union 1. Ihr Status als illegale Droge könnte jedoch bald der Vergangenheit angehören. Immer mehr Länder diskutieren über eine Legalisierung des Freizeitkonsums von Cannabis. Tatsächlich plant auch die neue deutsche Regierung, den Freizeitkonsum zu legalisieren, was bei Legalisierungsgegner:innen auf viel Unverständnis stößt. Ein Argument, welches oft gegen die Legalisierung vorgebracht wird, ist, dass Cannabis eine Einstiegsdroge sei. Einstiegsdrogen sind Drogen, welche die Tür zum generellen Konsum von Drogen öffnen und damit einen Grundstein für den späteren Konsum härterer Drogen wie Kokain legen. Typischerweise wird behauptet, dass Alkohol und Tabak die Einstiegsdrogen sind, die zum Konsum von Cannabis führen, welches wiederum den Weg zu schädlicheren, süchtig machenden Drogen ebnet. Die CSU-Politikerin Emmi Zeulner behauptete in einer Rede vor dem Deutschen Bundestag im Jahr 2017, dass Cannabis eine eben solche Einstiegsdroge sei2. Während der Rede widersprach Frank Tempel (Die Linke) und sagte, dass der Einstiegseffekt von Cannabis wissenschaftlich widerlegt wurde. Aber wer sagt die Wahrheit?
Bei der Größe der Debatte ist es nicht überraschend, dass der Einstiegseffekt von Cannabis bereits vielfach untersucht wurde3,4,5,6,7,8. Fast alle Studien haben eine starke Verbindung zwischen dem Konsum von Cannabis und späterem Konsum härterer Drogen gefunden. Korrelation allein ist jedoch nicht ausreichend, um zu beweisen, dass Cannabiskonsum die ausschlaggebende Ursache für den weiteren Drogenkonsum ist. In den Studien konnten viele weitere Faktoren festgestellt werden, die das menschliche Verhalten im Umgang mit Drogen beeinflussen,4,5,6,7,8,9. Es ist möglich, dass diese anderen Faktoren die eigentliche Ursache für den Drogenkonsum sind. Der beobachtete Zusammenhang mit Cannabis könnte dann einfach darauf zurückzuführen sein, dass betroffene Menschen wahrscheinlich sowohl Cannabis als auch andere Drogen konsumieren. Zu diesen Einflussfaktoren gehören psychische Erkrankungen wie Depressionen oder Angstzustände sowie verschiedene demografische Faktoren wie etwa das Aufwachsen unter schwierigen familiären Bedingungen. Darüber hinaus können einige Menschen genetisch zur Drogenabhängigkeit prädisponiert sein. Jedoch wurde auch nach statistischem Herausrechnen dieser Faktoren eine starke Verbindung zwischen dem Konsum von Cannabis und späterem Konsum von härteren Drogen gefunden4,10. Außerdem erhöhte der Konsum von Cannabis das Risiko, später im Leben auch zu härteren Drogen zu greifen. Auch das Alter des Erstkonsums hatte einen Einfluss. Menschen, die in jüngeren Jahren mit dem Konsum von Cannabis begannen, hatten ein höheres Risiko, später härtere Drogen zu konsumieren. Dies deutet darauf hin, dass Cannabis den Konsum anderer Drogen verursachen könnte, insbesondere bei Jugendlichen. Eine Studie an Ratten lieferte Hinweise darauf, dass Cannabis potenziell das Suchtverhalten beeinflussen könnte. Allerdings wurden nur einige Verhaltensweisen beeinflusst, und ähnliche Effekte wurden beim Menschen bisher nicht beobachtet11.
Studien haben gezeigt, dass Drogenkonsum allgemein, einschließlich Alkohol und Tabak, mit dem späterem Konsum von härteren Drogen korreliert, unabhängig davon, welche Einstiegsdroge und in welcher Reihenfolge konsumiert wurde12, 13. Es scheint klar zu sein, dass der Cannabiskonsum mit dem späteren Konsum von härteren Drogen korreliert, aber die zugrunde liegenden Ursachen wurden nicht identifiziert. Daher ist unklar, ob die Hypothese, dass Cannabis eine gefährliche Einstiegsdroge sei, korrekt ist, oder ob der Konsum von Cannabis und härteren Drogen lediglich auf die gleichen Ursachen zurückzuführen ist. Schlussendlich könnte es effektiver sein, Ursachen für Drogenkonsum generell zu identifizieren und vorzubeugen, um den Konsum harter Drogen zu verhindern, als sich auf eine bestimmte Droge zu konzentrieren.
Issue 6
Birte Martens, Anne Ryndyk, Sophia Winkler; Übersetzung Nele Kheim