31.01.2024
Tierisch Reich: Kanadas Regenwurmkrise
Wälder und ihre Böden sind bemerkenswerte Kohlenstoffspeicher1. Veränderungen im Ökosystem können also bewirken, dass der Wald atmosphärisches CO2 schlechter speichern kann. Das kann große Folgen haben. Eine solche erstmal klein daherkommende Veränderung sind Regenwürmer in Kanada. Regenwürmer sind nämlich gar nicht heimisch in den Wäldern Kanadas, sondern wurden von außen ins Ökosystem hineingetragen. Die Würmer verändern die ökologische Gemeinschaft im Boden und haben einen immensen Einfluss auf das ganze Ökosystem. Der invasive Bodenbewohner bringt den ganzen Kohlenstoffkreislauf durcheinander, was sich negativ auf das kanadische Ökosystem, das Klima und sogar die Wirtschaft auswirken könnte.
Regenwürmer haben großen Einfluss auf die Bodeneigenschaften, denn sie gestalten den Boden massiv um2. Als sogenannte Ökosystemingenieure spielen sie allgemein eine wichtige Rolle bei der Regulierung physikalischer, chemischer und biologischer Prozesse in unterirdischen Ökosystemen. Regenwürmer zersetzen organische Stoffe, die auf den Waldboden fallen, zu kleineren organischen Verbindungen und mineralischen Nährstoffen. Die Nährstoffe stehen Pflanzen dann wieder für ihr Wachstum zur Verfügung3. Regenwürmer durchmischen den Boden außerdem stark und beeinflussen damit die Bodenstruktur und die Verteilung von Wasser- und Nährstoffen4.
In Kanada ist das vorher bestehende, empfindliche chemische Gleichgewicht von Boden und organischen Stoffen durch invasive Regenwürmer durcheinandergekommen. Seit der Eiszeit vor 12.000 Jahren gibt es in Nordamerika keine einheimischen Regenwürmer mehr5. Die Ökosysteme haben sich nach der Eiszeit ohne Regenwürmer neu eingestellt und angepasst. Nun kommen Angler ins Spiel. Die haben den europäischen Regenwurm lumbricus terrestris als Köder ins Land geschleppt. Ab und zu konnten die Würmer den Haken entfliehen und werden nun zum Problem der borealen Wälder Kanadas. Ihre eigentlich nützlichen Zersetzungskünste bringen das Ökosystem durcheinander. Sie kompostieren die organische Substanz im Boden schneller als es im Ökosystem ohne Regenwürmer üblich war. Es bleiben weniger Nährstoffe im Boden und für andere Bodenbewohner übrig6. Das zeigt sich in der Biodiversität: in von Regenwürmern befallenen Böden leben weniger wirbellose Tiere. Damit kann weniger Kohlenstoff in den Böden der Wälder gespeichert werden und mehr Kohlenstoff verbleibt in der Atmosphäre5. Der Effekt von invasiven Regenwürmern auf die Kohlenstoffspeicherung und damit auf das Klima können im Rahmen des Kyoto-Protokolls gemessen werden.
Das Kyoto-Protokoll ist ein Vertrag zur Bekämpfung von Treibhausgasemissionen. Um Treibhausgasemissionen unattraktiver zu machen, wurde den Emission ein wirtschaftlicher Preis gegeben. Geringere Kohlenstoffemissionen sind also wirtschaftlich rentabler und der Regenwurm hat damit eine wirtschaftliche Bedeutung1. Pro Hektar speichern die borealen Wälder Kanadas Kohlenstoff im Wert von 744 USD1. Grob die Hälfte des Kohlenstoffs ist in unterirdischer Biomasse gebunden8. In Kanada gibt es aber nicht nur einen, sondern 270 Millionen Hektar Wald. Für den Boden entspricht das Kohlenstoff im Wert von circa 100 Milliarden Dollar7. Bei Anwesenheit der Regenwürmer konnte der Waldboden je nach Bodenart bis zu 94% weniger Kohlenstoff speichern5. Im Jahr 2019 waren bereits 10% des borealen Waldes mit invasiven Regenwürmern besiedelt. Anhand dieser Zahlen haben die Regenwürmer dafür gesorgt, dass Kohlenstoff im Wert von bis zu 9,4 Mrd Dollar nicht vom Waldboden gebunden werden konnten. Dieser Kohlenstoff wird dann zum Teil als CO2 in die Atmosphäre verlagert. Invasive Regenwürmer haben daher nicht nur Einfluss auf die Zusammensetzung der borealen Waldböden und auf die Wirtschaft Kanadas, sondern auch Auswirkungen aufs Klima.
Hedda Wern, Übersetzung Nele Kheim
Issue 14 (PDF)