29.04.2025
Tierisch reich: Schlangen melken, Leben retten: Antivenin-Herstellung in Australien

Der erste Schritt der Antivenin-Herstellung.
Australien ist Heimat einer ebenso vielfältigen wie gefährlichen Tierwelt: Von den 140 terrestrischen Schlangenarten, die in Australien leben, sind etwa 100 giftig [1]. Jedes Jahr werden etwa 500 Menschen in Australien wegen eines Schlangenbisses ins Krankenhaus eingeliefert. 61% davon durch Braunschlangen (𝘗𝘴𝘦𝘶𝘥𝘰𝘯𝘢𝘫𝘢 𝘵𝘦𝘹𝘵𝘪𝘭𝘪𝘴), Tigerottern (𝘕𝘰𝘵𝘦𝘤𝘩𝘪𝘴 𝘴𝘤𝘶𝘵𝘢𝘵𝘶𝘴) oder Taipane (𝘖𝘹𝘺𝘶𝘳𝘢𝘯𝘶𝘴 spp.) [2]. Die Anzahl an Todesopfern durch diese Bisse liegt jedoch nur bei etwa 2,2 Fällen pro Jahr [3,4]. Der Hauptgrund für diese geringe Zahl ist der Einsatz von hochspezifischen Schlangen-Gegengiften, sogenannte Antivenine [5, 6].
Um eine Ampulle mit Antivenin herzustellen, werden einem großen Säugetier über einen längeren Zeitraum kleine Mengen Schlangengift injiziert, bis das Immunsystem des Tieres genügend Antikörper gebildet hat. Dieser Vorgang wird auch Hyperimmunisierung genannt. Die Antikörper werden dann aus dem Blut des Tieres extrahiert und gereinigt, um das Gegengift herzustellen. Jedoch ist der erste Schritt dieser Arbeit kompliziert und oft gefährlich. Um das Gift zu gewinnen, „wird der Kiefer der Schlange aufgedrückt und die Fangzähne freigelegt. Die Fangzähne werden durch eine Plastik-/Parafilm-Membran gedrückt, die über ein Glasgefäß gespannt wurde, um das Gift herauszupressen“ [7]. Dieses sogenannte „Melken“ der Schlangen erfolgt per Hand und birgt ein hohes Risiko für die arbeitende Person. Dies ist einer der Gründe für die hohen Kosten des Antivenins.
Im Durchschnitt kostet eine Ampulle des Gegengiftes für Braunschlangen 223 €, für Tigerottern 279 € und für Taipane 1.131 € [8]. Der Verkaufspreis jeder Antivenin-Ampulle hängt dabei von zwei Faktoren ab: Zum einen von der Giftmenge, die pro Schlange gemolken wurde, aber auch von der Menge Antivenin, die zur Behandlung eines Bisses benötigt wird. Zum Beispiel ist die Giftausbeute bei dem Biss einer wilden Taipan durchschnittlich 77 mg, während die durchschnittliche Giftausbeute einer Braunschlange 4,41 mg beträgt [9, 10]. Für die Behandlung des Bisses einer Taipan wird jedoch auch deutlich mehr Gegengift benötigt. Um ein 50-mL-Fläschchen mit Taipan-Antivenin zu gewinnen, müssen etwa 90 wilde Tiere gemolken werden. Gezüchtete Schlangen produzieren dabei 5- bis 7-mal mehr Gift als ihre wilden Verwandten, sodass für die gleiche Menge nur etwa 15 gezüchtete Taipane gemolken werden müssten [11]. Dadurch reduzieren sich die Kosten beim Melken auf 74,40 €.
Das Volumen der einzelnen Antivenin-Ampullen und die Anzahl, die für die Behandlung eines Schlangenbisses verwendet wird, variiert je nach Art: zwei 10-mL-Fläschchen werden für Braunschlangen verwendet, bis zu vier 12-mL-Fläschchen für Tigerottern und bis zu fünf 50-mL-Fläschchen für Taipane [12]. Berücksichtigt man nun die Anzahl der Ampullen, kann das für einen einzigen Biss benötigte Gegengift bis zu 446 € für Braunschlangen, 1.116 € für Tigerottern und stolze 5.655 € für Taipane kosten. Die durchschnittlichen Grundkosten für die Behandlung eines Schlangenbisses belaufen sich auf etwa 3.700 € (6.000 AU$) [13]. Dieser Betrag beinhaltet die Kosten für den Krankenhausaufenthalt und kann aufgrund der Kosten für das Antivenin sogar auf 9.000 € ansteigen [13]. Betrachtet man nur die Grundkosten pro Schlangenbissbehandlung, belaufen sich die durchschnittlichen jährlichen Kosten in Australien auf 1.850.000 €, wovon 733.728 € auf den Kauf von Antivenin-Ampullen für diese drei Arten entfallen. Das sind etwa 0,76 % des Budgets von 2022-23 des australischen Krankenhaussystems [14].
Das australische Biotech-Unternehmen, CSL Seqirus (Commonwealth Serum Laboratories), ist die einzige Quelle für Antivenin zur Behandlung von Schlangenbissen in Australien [15,16]. Obwohl die Antivenin-Abteilung dieses Unternehmens ziemlich klein ist, hat sie sich als wichtiger Bestandteil des australischen Gesundheitssystems etabliert. Im vergangenen Jahr hat die australische Regierung eine Partnerschaft mit CSL Seqirus und dem Gesundheitsministerium von Papua-Neuguinea geschlossen, um Antivenin-Ampullen mit dem Nachbarland zu teilen [17]. Die Herstellung von Antivenin ist eine wachsende Industrie, die in Australien jedes Jahr Hunderte von Leben rettet. Da die Behandlung von Schlangenbissen auch eine Herausforderung für viele weitere Nationen darstellt, wird diese Industrie weithin wachsen.
Gabriel Pinto, Übersetzung Simon Schäfer