31.12.2022
Faktencheck: Let's Talk About Soy, Baby! – Soja und männliche Fruchtbarkeit
„Soy boy“ ist eine Beleidigung gerichtet an junge Männer, die aus Sicht der Beleidigenden nicht dem traditionellen Männlichkeitsbild entsprechen. Ihre Lebensweise wird oft mit verringertem Fleischkonsum und vermeintlich erhöhtem Sojaverzehr assoziiert. “Soy boy” soll dabei Verweichlichung und Verweiblichung als Folge von Sojaverzehr implizieren. Die Bezeichnung wird vorwiegend von Rechts-Konservativen genutzt, um Menschen herabzuwürdigen, deren Lebensstil und Vorstellungen von den eigenen abweichen.
Soja ist eine immer wichtiger werdende Nutzpflanze und wird von Menschen vielseitig konsumiert. Wir nehmen Soja entweder auf indirektem Weg über tierische Produkte zu uns, da der Großteil an angebautem Soja als Futtermittel für Nutztiere dient, oder direkt über Sojaprodukte wie Tofu, Sojamilch oder Sojabohnen.
Woher kommt aber die Assoziation von Soja und Männlichkeit?
Könnte der Konsum von Soja tatsächlich Auswirkungen auf die Männlichkeit oder genauer gesagt, die männliche Fruchtbarkeit haben? Hier also etwas theoretischer Hintergrund zum Mythos: Soja enthält Moleküle, so genannte Phytoestrogene. Diese haben eine ähnliche Struktur wie das menschliche Hormon Östrogen. Männer haben generell einen niedrigeren Östrogenspiegel als Frauen. Phytoöstrogenen wird somit unterstellt eine verweiblichende Wirkung auf Männer zu haben, indem sie den Östrogenspiegel von Männern verändern. Phytoestrogene können tatsächlich mit der Stelle interagieren, an der auch das menschliche Hormon Östrogen an die Zelle andockt. Metaphorisch gesprochen, passt das Soja-Puzzleteil aber nicht so gut an die Zelle wie das körpereigene Puzzleteil. Deshalb werden auch nicht die gleichen Reaktionen hervorgerufen. Dass die hormonelle Wirkung der Phytoöstrogene wenig zu tun hat mit der Wirkung echter Hormone wurde oft untersucht. Der genaue Wirkmechanismus, der hinter der Interaktion zwischen Phytoöstrogenen mit menschlichen Zellen steckt, wird jedoch weiterhin erforscht.
Fruchtbarkeit ist ein großer Begriff, unter dem sich die meisten Leute etwas vorstellen können. Wenn man aber versucht Fruchtbarkeit zu definieren oder gar zu messen, ist das gar nicht so leicht. Ein einzelner Parameter reicht nicht aus, um zu beschreiben, wie fruchtbar eine Person ist. Geringere Aussichten auf Schwangerschaft können jedoch anhand einiger Spermieneigenschaften festgemacht werden, die auch in Fertilitätskliniken oft untersucht werden. Bei der Untersuchung der biologisch männlichen Reproduktionsunfähigkeit, wird die Anzahl der Spermien, das Erscheinungsbild sowie die Beweglichkeit der einzelnen Spermien festgestellt.
Die Annahme, dass der Konsum von Soja einen Einfluss auf diese Spermieneigenschaften hat, basiert hauptsächlich auf den Ergebnissen von einzelnen Tierstudien. Diese Studien wurden jedoch mit Nagetieren durchgeführt, und sind nicht vollständig mit den Abläufen im menschlichen Körper vergleichbar. Manche Studien wurden mit Mäusen, andere mit Ratten durchgeführt und je nach Spezies unterscheiden sich die Ergebnisse. Das spricht dafür, dass kein auf den Menschen übertragbarer Effekt nachweisbar ist. Hinzu kommt, dass viele Tierstudien gar keine Anzeichen dafür gefunden haben, dass Soja die Fruchtbarkeit vermindern könnte. Vereinzelte Ergebnisse aus Untersuchungen an Menschen, implizieren schwache Effekte auf einen oder mehrere Spermieneigenschaften. Die Mehrheit der Studien, konnte allerdings nicht belegen, dass der Konsum von Soja einen negativen Einfluss auf die Fortpflanzungsfähigkeit hat.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die an Tieren durchgeführten wissenschaftliche Studien über die Auswirkungen von Soja auf die männliche Fruchtbarkeit kaum auf den Menschen übertragbar sind. Studien an Menschen konnten ebenfalls keine eindeutigen Auswirkungen beweisen. Soja ist ein wichtiger Bestandteil einer gesunden und ausgewogenen Ernährung und bedeutend für den nachhaltigen Umgang mit planetaren Ressourcen. Unsere derzeitige Schlussfolgerung ist, dass Soja ohne Bedenken um Auswirkungen auf Männlichkeit, oder männliche Fruchtbarkeit, konsumiert werden kann. Anstelle des Sojaverzehrs und etwaiger Folgen, sollte fragile Männlichkeit, welche verschiedene Lebensstile und Ernährungsweisen verachtet, infrage gestellt werden. Zudem müssen in Zeitungs- oder Onlineartikeln getroffene Zusammenfassungen und Schlussfolgerungen wissenschaftlicher Studien mit einem kritischen Blick begutachtet werden.
Issue 2
Emma Markwardt, Helen Rothfuß, Nele Kheim; Übersetzung Helen Rothfuß & Nele Kheim