28.04.2023
Tierisch Reich: Kampfstiere in Madrid – Goldgrube oder Pleite?
Stierkämpfe sind tief in der spanischen Kultur verwurzelt und werden aus Tradition bis heute gepflegt. Seit 2013 ist der Stierkampf sogar gesetzlich als nationales Kulturerbe geschützt1. Inwiefern Stierkampf wirtschaftlich ist, wurde bisher wenig erforscht, könnte aber ein bedeutendes Argument sein, wenn Stierkampf öffentlich diskutiert wird. Deshalb nehmen wir hier die wirtschaftliche Bedeutung von Kampfstieren für das wichtigste Stierkampfgebiet Spaniens, Madrid, unter die Lupe. Dort befindet sich die sogenannte "Plaza de Toros de las Ventas", die bedeutendste Stierkampfarena Spaniens2.
Was ist eigentlich Stierkampf?
Stierkämpfe sind komplex und es gibt mehrere Kampfsubtypen, die sich geringfügig unterscheiden, z.B. im Alter des Stieres oder ob der Stierkämpfer auf einem Pferd sitzt oder selbst läuft. In jedem Stierkampf treten drei Stierkämpfer - "Toreros" - mit jeweils fünf Assistenten zu einem choreografierten Kampf gegen zwei Stiere an. Insgesamt gibt es sechs separate Kämpfe, die alle etwa 20 Minuten dauern und insgesamt sechs Stiere töten. Die Assistenten des Toreros schwächen den Stier, indem sie Lanzen in die Nackenmuskeln des Stieres stechen und ihn damit zwingen, den Kopf zu senken. Durch diese vorbereitete, gesenkte Kopfhaltung kann es dem Torero dann gelingen, den Stier mit einem platzierten, finalen Schwerthieb in den Nacken zu töten. Manchmal stirbt der Stier allerdings nicht sofort und ein zweiter Versuch ist notwendig3, 4 . Spätestens hier wird deutlich, dass das Ganze eine tendenziell qualvolle Angelegenheit für den Stier ist. Daher ist dieses Kulturerbe ein tierschutzrechtlich kontrovers diskutiertes Thema5.
Welche Rolle spielt Stierkampf denn aktuell in Madrid?
Die 71 Stierkampfveranstaltungen in Madrid 2019 lockten insgesamt etwa 946.000 Zuschauende an6. 699.000 dieser Tickets wurden für 6 - 160 € verkauft. Die verbleibenden 247.000 Besucher zahlten für Tickets der beiden weniger beliebten Arten von Stierkampf zwischen 3 - 90 €. Wenn man von den niedrigsten und höchsten Ticketpreisen ausgeht, könnten diese 71 Veranstaltungen in Las Ventas in Madrid zwischen 4,9 Mio. - 134 Mio. € durch verkaufte Tickets eingespielt haben7.
Doch nicht nur die Stierkämpfe selbst sorgen für Umsatz. Die Stierkampfarena „Las Ventas“ kann für 6 – 70€ besichtigt werden8. Nach Angaben der Organisatoren gab es 2019 etwa 102.500 Besucher9, was einen geschätzten Umsatz von 615.000 - 7,2 Mio. € ergibt.
Neben dem Verkauf von Eintrittskarten hat auch die Zucht von Kampfstieren, sogenannten "Toros de lidia", einen wirtschaftlichen Wert. Allein in der Gemeinde Madrid gibt es 90 Zuchtbetriebe10. Einen solchen Stier aufzuziehen, kostet etwa 4.000 und 5.000€11. Bei jedem Stierkampf werden 6 Stiere eingesetzt. Das bedeutet, dass mindestens 426 Stiere für die 71 Stierkämpfe in Las Ventas in Madrid im Jahr 2019 gekauft wurden, was einen Umsatz von etwa 1,7 bis 2,1 Mio. € für die Zuchtbetriebe bedeutet.
In einem Bericht aus dem Jahr 2013 behauptete die Lobby der Stierkampfveranstalter, die Nationale Vereinigung der Organisatoren von Stierkampfveranstaltungen (ANOET), dass der Sektor direkt etwa 54.000 Menschen beschäftigt und 422 Mio. € zur spanischen Wirtschaft beiträgt12. Laut selbigem Bericht solle Madrid durch Stierkämpfe etwa 12 Mio. € einnehmen13. Auf der anderen Seite argumentieren liberale Parteien und Tierschutzorganisationen, dass der Stierkampfsektor in Spanien nur durch hohe Subventionssummen überleben kann. Sie berechneten, dass im Jahr 2013 etwa 570 Mio. € an spanischen Subventionen und weitere 130 Mio. € durch die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der EU in den Sektor geflossen sind12, 14. Während der ersten Monate der COVID-19-Pandemie erklärte die Tierschutzgruppe AnimaNaturalis, dass der Sektor ohne Subventionen nur ein Zehntel seiner damaligen Größe selbst tragen könnte15.
Doch warum finanziert die EU den Stierkampf durch Agrarsubventionen mit?
GAP EU-Subventionen werden nach wie vor basierend auf Anzahl der Hektar an Betriebe vergeben, ohne zu differenzieren, was der Betrieb produziert. Solange Spanien Stierkämpfe erlaubt, ist Spanien die einzige rechtliche Instanz, die Einfluss auf die Subventionierung der Aufzucht und den Verkauf von Kampfstieren nehmen kann16.
Die Gesamtwirtschaftliche Bedeutung von Stieren in Madrid kann hier nicht eindeutig und endgültig geschätzt werden, da der geschätzte generierte Umsatz den weitgehend subventionierten Kosten des Sektors gegenübersteht.
Die verfügbaren Daten über den Umsatz des Stierkampfsektors stammen weitgehend von pro-Stierkampf-Kampagnen und stehen daher unter Verdacht voreingenommen zu sein. Insgesamt zeichnet sich aber ein Trend des sinkenden Interesses am Stierkampf ab. Die Anzahl der Stierkämpfe in Spanien hat sich im Zeitraum von etwa einem Jahrzehnt mehr als halbiert17. In einigen Regionen Spaniens finden sogar gar keine Stierkämpfe mehr statt. Es gab auch mehrere Versuche, Stierkämpfe komplett zu verbieten, zum Beispiel in Katalonien im Jahr 2010 und auf den Balearischen Inseln im Jahr 201718, 19. Auf Grundlage der Einstufung als Kulturerbe im Jahr 2013, hat das spanische Verfassungsgericht diese Verbotsbemühungen jedoch abgelehnt. Stierkampf bleibt ein hoch diskutiertes und politisch geteiltes Thema.
Helen Rothfuß; Übersetzung Nele Kheim, Helen Rothfuß