Historie
„Vorgeschichte"
Die Geschichte des Institutes für Lebensmittelchemie der TU Dresden geht eng einher mit der Entwicklung der Lebensmittelchemie zu einer eigenständigen Forschungs- und Lehrdisziplin sowie der Begründung der Lebensmittelüberwachung als staatlich-hoheitliche Aufgabe. Bei den Ausarbeitungen zum 1879 erlassenen "Nahrungsmittelgesetz für ganz Deutschland" erkannte man die Notwendigkeit der Ausbildung spezieller Fachkräfte für die Analyse, Kontrolle und Beurteilung von Lebensmitteln. Diese "sachkundigen Leute" erwuchsen zunächst vor allem aus dem Apothekerstand. Es zeigte sich jedoch sehr schnell, dass die Beschäftigung mit der komplexen Materie "Lebensmittel" Spezialisten nötig macht, und damit eine spezielle, vor allem praktisch-analytisch orientierte Ausbildung an den Universitäten und Hochschulen erfordert.
1894: Beginn der Ausbildung von Nahrungsmittelchemikern in Dresden
Nachdem bereits 1871 in Dresden als Vorläufer der heutigen Landesuntersuchungsanstalt eine "Zentralstelle für öffentliche Gesundheitspflege" ihre Arbeit aufnahm - übrigens die erste Einrichtung dieser Art im deutschsprachigen Raum - wurde dann 1893 Prof. Friedrich-Georg Renk an die Technische Hochschule zu Dresden auf das neu eingerichtete "Ordinariat für Nahrungsmittelchemie, Gewerbe- und Wohnungshygiene sowie Bakteriologie" berufen. Innerhalb der Chemischen Abteilung oblag dem Lehrstuhl die Ausbildung der "Staatlich geprüften Nahrungsmittelchemiker", zunächst von sechs, ab 1897 von zwölf Studenten pro Jahr. Der Lehrstuhl hatte seine Räume in der 1875 eingeweihten "alten" TH Dresden am damaligen Bismarckplatz, wo er ab 1897 räumlich mit der Zentralstelle für öffentliche Gesundheitspflege vereinigt war. Die TH Dresden war damit die erste deutsche Hochschule, an der ein Studium der Nahrungsmittelchemie möglich war. Die Ausbildung für Nahrungsmittelchemiker wurde ab 1894 konform der deutschlandweit gültigen "Ordnung der Staatsprüfung für Lebensmittelchemiker" durchgeführt - eine Prüfungs- und Ausbildungsordnung, die auch heute noch die Grundlage der Ausbildung im Fach Lebensmittelchemie bildet. Die Notwendigkeit von speziellen Hochschulinstituten zur Vorbereitung von Nahrungsmittelchemikern auf die Staatsprüfung veranlasste Josef König in Münster im Jahre 1899 einen "Lehrstuhl für Nahrungsmittelchemie und Hygiene" zu begründen. Zusammen mit dem Dresdner Ordinariat waren dies lange Zeit die deutschlandweit einzigen Hochschuleinrichtungen, deren wissenschaftliche Aufgabenstellung zur Lehre und Forschung im Fachgebiet Lebensmittelchemie in der Bezeichnung unmittelbar zum Ausdruck gebracht wurde. An anderen Instituten in Deutschland wurde die Kopplung der Lebensmittelchemie mit der Pharmazie häufig beibehalten.
1920: Lehrstuhl für Lebensmittel- und Gärungschemie
1926: Neubau der Chemischen Abteilung(Fritz-Förster-Bau)
Nachdem Renk 1919 sein Amt niedergelegt hatte, wurde die bisherige Abteilung für Nahrungsmittelchemie aus dem Lehrstuhl ausgegliedert und zu einem selbständigen "Lehrstuhl für Lebensmittel- und Gärungschemie" umgewandelt. Auf diesen Lehrstuhl wurde 1920 der Professor für Pharmazie und angewandte Chemie der Universität Würzburg berufen, Prof. Alfred Heiduschka. Hervorzuheben ist bezüglich der Amtszeit Heiduschkas, dass 1926 die Neubauten der Chemischen Abteilung eingeweiht werden konnten, dem heutigen Fritz-Foerster-Bau an der Mommsenstraße. Die Planungen für diesen Neubau hatten bereits 1916 begonnen. Bei diesen Planungen hatte man die Lebensmittelchemie zunächst nicht berücksichtigt und musste sie sozusagen "nachträglich" unterbringen. Dieses nachträgliche Einplanen der Lebensmittelchemie in den Ostflügel des Foerster-Baus führte dazu, dass die Lebensmittelchemie gewissermaßen als "Wurmfortsatz" der Chemie bis in die jüngste Zeit in einem schmalen, dafür aber hohen Gebäude über 5 Stockwerke untergebracht war, mit allen daraus resultierenden praktischen Problemen. Im Übrigen ist das "Vergessen" der Lebensmittelchemie nicht etwa nur ein Problem aus vergangenen Tagen: auch bei der Planung des ersten Bauabschnittes des Chemieneubaus an der Bergstraße hatte man zunächst, d.h. 1991, nur vier Stockwerke geplant. Erst einige Jahre später musste realisiert werden, dass die große Anzahl an Lebensmittelchemie-Studenten unmöglich in den zunächst vorgesehenen Räumen des Institutes untergebracht werden kann. Es wurde deshalb nötig, eine zusätzliche fünfte Etage "aufzusetzen", in der jetzt im Neubau der Fachrichtung Chemie die Praktika für Lebensmittelchemie untergebracht sind.
Die Kriegswirren
Heiduschka wurde 1939 auf eigenen Antrag emeritiert. Den Ruf auf den Lehrstuhl erhielt 1940 Kurt Täufel, vormals außerplanmäßiger Professor an der TH Karlsruhe und gleichzeitig Direktor der Badischen Staatlichen Lebensmitteluntersuchungsanstalt. Mit der Neubesetzung wurde die Kopplung des Lehrstuhls an der TH Dresden mit der Funktion des Direktors der "Landesstelle für öffentliche Gesundheitspflege" aufgehoben. Trotz der Behinderung durch die Kriegsverhältnisse konnte Prof. Täufel in Dresden sehr erfolgreiche Lehre und Forschung betreiben und blieb Lehrstuhlinhaber bis 1945. Er ging dann nach Potsdam, wo er im Auftrag der sowjetischen Militäradministration mit dem Aufbau des Instituts für Ernährungsforschung in Potsdam-Rehbrücke begann.
1953: Beginn der Ära Freimuth
Nach einer durch die Nachkriegswirren bedingten Übergangszeit, in welcher der Lehrstuhl von 1946 bis 1950 von Prof. Ernst Komm kommissarisch verwaltet wurde, ist dann schließlich 1953 Prof. Ulrich Freimuth berufen worden. Mit Prof. Freimuth erfolgte eine Ausrichtung der Forschung hin zur Proteinchemie. Er legte damit gewissermaßen auch die Wurzeln für die schwerpunktmäßige Orientierung des heutigen Institutes. In der Lehre konnte Freimuth, aufbauend auf die Neugestaltung des Studienplanes in der DDR durch Täufel, ein auch aus der heutigen Sicht sehr modernes Lebensmittelchemiestudium anbieten und damit eine praxisgerechte Ausbildung zum Diplomlebensmittelchemiker garantieren. Der damalige Studienplan beinhaltete zahlreiche zukunftsweisende Ansätze, so etwa das zwölfwöchige Industriepraktikum, die enge Verknüpfung zwischen Wissenschaft und Produktion bzw. Analytik und Technologie, und vor allem natürlich die sechsmonatige Diplomarbeit - ein zur entsprechenden Ausbildung in der damaligen BRD damit zumindest gleichwertiger wissenschaftlicher Studiengang.
Ab 1980 zur Wende
Prof. Freimuth, der am 16.10.1999 in bewundernswerter geistiger Frische seinen 85. Geburtstag feierte, trat 1979 in den Ruhestand. Sein Nachfolger wurde 1980 Prof. Dr. Eberhard Ludwig, der die proteinchemischen Arbeiten konsequent weiterführte und sich besondere Verdienste nach der politischen Wende bei der Vereinigung der beiden Lebensmittelchemischen Gesellschaften der BRD und DDR erwarb. Für sein Lebenswerk wurde Herr Ludwig anlässlich des Lebensmittelchemikertages 1999 in Hamburg mit der Joseph-König-Gedenkmünze ausgezeichnet, der höchsten Auszeichnung der Lebensmittelchemischen Gesellschaft.
Und heute?
Nach der Emeritierung von Prof. Ludwig im Jahre 1997 wurde das Institut für Lebensmittelchemie der TU kommissarisch von Prof. Wolfgang Krause geleitet, bis im April 1998 Prof. Thomas Henle, vormals Technische Universität München-Weihenstephan, die C4-Professure für Lebensmittelchemie und die Aufgabe des Institutsdirektors übernahm.
Mit einer C4- und zwei C3-Professuren - Prof. Karl Speer, der 1994 von der Universität Hamburg nach Dresden berufen wurde, und Prof. Thomas Simat, seit 2002 am Institut und ebenfalls vorher in Hamburg tätig - gehört das Institut für Lebensmittelchemie der Technischen Universität Dresden heute zu den größten Instituten dieser Art in Deutschland. Die TU Dresden hat die höchsten Zulassungszahlen aller fünfzehn deutschen Universitäten, an denen die Möglichkeit besteht, Lebensmittelchemie als eigenständigen Studiengang zu absolvieren. Etwa 15-20 % aller Studienanfänger bundesweit im Fach Lebensmittelchemie beginnen ihr Studium in Dresden - ein Umstand, der für alle sowohl an der Universität als auch politisch Verantwortlichen eine Herausforderung und Verpflichtung zugleich darstellt. Zwar konnte die gerätetechnische Ausstattung der Lehr- und Forschungslaboratorien insbesondere seit Umzug in den Neubau der Chemischen Institute im September 2001 erheblich verbessert werden; die personelle Besetzung sowie vor allem die Ausstattung mit laufenden Etatmitteln für Lehre und Forschung liegt jedoch weiterhin nachweisbar erheblich unter der entsprechender Institute anderer Studienorte in den alten Bundesländern.
Das Dresdner Profil
Aus Sicht der Betroffenen sicherlich berechtigte Forderungen an die Hochschulpolitik zu stellen darf aber nicht genügen - liegt es doch zuerst am Engagement der Hochschullehrer sowie der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Institutes "vor Ort", ein modernes Studium anzubieten. Die Stärke der Ausbildung im Fach Lebensmittelchemie an der TU Dresden spiegelt sich in spezifischen Ausbildungsinhalten und -angeboten wider, welche unsere Studierenden auf der Basis der Staatsprüfungsordnung mit dennoch charakteristischem Profil zu qualifizierten und bundesweit konkurrenzfähigen Lebensmittelchemikern machen. Beispielhaft seien hier die für ein wissenschaftliches Studium unerlässliche sechsmonatige Diplomarbeit, der umfangreiche Studienschwerpunkt Kosmetik und Bedarfsgegenstände, spezielle Vorlesungen und Praktika in Lebensmittel- und Biotechnologie, Qualitätsmanagement in der Lebensmittelindustrie sowie Ernährungslehre und Biochemie genannt. Ferner versuchen wir über das Anbieten eines umfangreichen Wahlkataloges (Vermittlung von Ferienpraktika in Industrie und Lebensmittelüberwachung, Lehrveranstaltungen wie etwa Personalführung und Betriebswirtschaftslehre in der Lebensmittelindustrie, Lebensmittelphysik, Molekularbiologie, Radiopharmazie etc.), die persönlichen Interessensgebiete der Studierenden zu entwickeln und zu fördern. Möglich wird dieses umfangreiche Lehrangebot durch ein überdurchschnittliches Engagement seitens der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie durch die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Instituten anderer Fachrichtungen, wie etwa der Lebensmittel- und Bioverfahrenstechnik, Biologie und Medizin. Eine zukunftsfähige Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses in unserem Fach, aber auch in allen anderen naturwissenschaftlichen Disziplinen kann nur durch eine Bündelung vorhandener Kompetenzen erfolgen.
Dies erfordert jedoch die Bereitschaft zu Konsens, interdisziplinärer Kooperation und dem Erkennen der eigenen Grenzen - Tugenden also, die in den kommenden Jahren in Anbetracht der sich vermutlich noch verschärfenden wissenschaftsfeindlichen Sparpolitik die Grundvoraussetzungen für ein überleben sein werden.
T. Henle