Forschungsschwerpunkte
- Motivation und Strategie
- Natürliche Nanostrukturen in Lebensmitteln
- Verarbeitungsinduzierte („sekundäre“) Lebensmittelinhaltsstoffe
- Hochdruckbehandlung von Lebensmitteln
- Translationale Forschung und Anwendungsforschung
Motivation und Strategie
Unser Ziel ist das grundlegende Verständnis der Zusammenhänge zwischen den Strukturen verarbeitungsinduzierter Lebensmittelinhaltsstoffe und deren molekularen Wechselwirkungen im Lebensmittel sowie im menschlichen Körper. Die Schwerpunkte grundlagenorientierter Forschungsarbeiten liegen derzeit auf natürlichen Nanostrukturen in Lebensmitteln, verarbeitungsinduzierten („sekundären“) Lebensmittelinhaltsstoffen sowie lebensmittelchemischen Reaktionen unter Hochdruck. In translationalen und anwendungsorientierten Forschungs- und Entwicklungsprojekten suchen wir in Zusammenarbeit mit Industrieunternehmen nach Möglichkeiten zur Umsetzung von Grundlagenerkenntnissen in praktische Anwendungen und neue Produkte.
Natürliche Nanostrukturen in Lebensmitteln
Die Nanotechnologie beschäftigt sich mit Strukturen und Materialien in Größenbereichen um 100 nm. Dabei dient die Natur häufig als Ideengeber („Lotuseffekt“). Wenig beachtet ist die Tatsache, dass nanostrukturierte Systeme „von Natur aus“ auch in Lebensmitteln vorkommen und dort maßgeblich die biologischen und technofunktionellen Eigenschaften bestimmen. Als Beispiele seien die kontraktilen Proteine im Muskelfleisch, die Lipoproteine des Eidotters sowie die Caseinmizellen und die Fettkugelmembran in der Milch genannt. Unsere Forschungsarbeiten zu natürlichen Nanostrukturen in Lebensmitteln beschäftigen sich derzeit schwerpunktmäßig mit der Struktur und Funktion von Caseinmizellen.
Caseine, die Hauptproteine der Milch nahezu aller Säugetiere, liegen in Folge eines während der Laktation ablaufenden Selbstassoziationsprozesses in Form von Mizellen mit hydrodynamischen Radien zwischen 50 und 300 nm vor. Der genaue Aufbau der Caseinmizelle bzw. die der Strukturierung zugrundeliegenden Mechanismen sind weitgehend unbekannt. Im Rahmen unserer Forschungsarbeiten untersuchen wir den Aufbau und die Struktur von Caseinmizellen verschiedender Säugetiere. Wir klären die für den Aufbau der Caseinmizellen relevanten Wechselwirkungen und etablieren Strategien zur gezielten Modifizierung von natürlichen und artifiziellen Mizellen als molekulare Trägersysteme („Nanokapseln“) physiologisch interessanter Verbindungen.
Dabei interessieren uns unter anderem folgende Fragen:
- Wie sind Caseinmizellen aufgebaut?
- Wie und warum unterscheiden sich Caseinmizellen verschiedener Säugetiere (einschließlich Homo sapiens)?
- Welche Aufgabe haben Caseinmizellen im Gesamtsystem „Milch“?
- Können Caseinmizellen durch enzymatische bzw. nichtenzymatische Prozesse gezielt modifiziert und als molekulare Trägersysteme („Nanokapseln“) genutzt werden?
Ausgewählte Publikationen zur Thematik:
Partschefeld C., Schwarzenbolz U., Richter S., Henle T. (2007). Crosslinking of casein by microbial transglutaminase and resulting influence on the stability of micelle structure. Biotechnol. J. 2, 456-461. Fulltext
Menendez O., Schwarzenbolz U., Henle T. (2009) Reactivity of microbial transglutaminase to αs1-, β- and acid casein under atmospheric and high pressure conditions. J. Agric Food Chem. 57, 4177-4184. Fulltext
Heber A., Paasch S., Partschefeld C., Henle T., Brunner E. (2012). 31P NMR investigations of caseins treated with microbial transglutaminase. Food Hydrocolloids 28, 36-45. Fulltext
Verarbeitungsinduzierte ("sekundäre") Lebensmittelinhaltsstoffe
Trocknen, fermentieren, erhitzen, lagern: Wir essen praktisch kein Lebensmittel in seinem „Urzustand“, nahezu jedes unserer Lebensmittel wird industriell oder küchentechnisch verarbeitet. Bei all diesen Verarbeitungsprozessen laufen im Lebensmittel komplexe chemische Reaktionen ab, die zur Bildung neuer, „sekundärer“ Inhaltsstoffe führen. Diese Verbindungen bestimmen das Aroma, die Farbe und die Struktur ebenso wie den Nährwert und die biologischen Eigenschaften von Lebensmitteln.
Aktuelle Schwerpunkte unserer Forschungsarbeiten konzentrieren sich derzeit auf posttranslationale Proteinmodifikationen durch Kohlenhydrate (Maillard-Reaktion, Glykierung) sowie Lipidperoxidationsprodukten (Lipierung), die Bildung physiologisch relevanter Kohlenhydratderivate sowie durch proteolytische Prozesse gebildete bioaktive Peptide. Wir klären die Struktur und die Bildungswege individueller Reaktionsprodukte, untersuchen deren Metabolismus und Bioaktivität in vitro und in vivo, und beurteilen ihre Bedeutung für die Textur von Lebensmitteln.
Dabei interessieren uns unter anderem folgende Fragen:
- Welche sekundären Lebensmittelinhaltsstoffe nehmen wir täglich mit unserer Nahrung auf?
- Wie interagieren verarbeitungsinduzierte Aminosäure- und Kohlenhydratderivate im menschlichen Körper mit Enzym- und Transportsystemen des Gastrointestinaltraktes, der humanen Darmmikrobiota („Darmflora“) oder dem Immunsystem?
- Hat sich der menschliche Körper an die Aufnahme und Verwertung dieser Verbindungen angepasst?
- Hatten Inhaltsstoffe thermisch verarbeiteter Lebensmittel einen Einfluss auf die humane Evolution?
- Können verarbeitungsinduzierte Lebensmittelinhaltsstoffe als bio- oder technofunktionell wirksame Verbindungen in Lebensmitteln genutzt werden?
Ausgewählte Publikationen zur Thematik:
Henle T. (2007). Dietary advanced glycation end products--a risk to human health? A call for an interdisciplinary debate. Mol. Nutr. Food Res. 51, 1075-1078. Fulltext
Mavric E, Wittmann S, Barth G, Henle T. (2008). Identification and quantification of methylglyoxal as the dominant antibacterial constituent of Manuka (Leptospermum scoparium) honeys from New Zealand. Mol. Nutr. Food Res. 52, 483-489. Fulltext
Hellwig M, Geissler S, Matthes R, Peto A, Silow C, Brandsch M, Henle T. (2011). Transport of free and peptide-bound glycated amino acids: synthesis, transepithelial flux at Caco-2 cell monolayers, and interaction with apical membrane transport proteins. ChemBioChem 12:1270-1279. Fulltext
De Marco LM, Fischer S, Henle T. (2011). High molecular weight coffee melanoidins are inhibitors for matrix metalloproteases. J. Agric. Food Chem. 59:11417-11423. Fulltext
Hochdruckbehandlung von Lebensmitteln
Hochdruck ist ein alternatives Verfahren zur Haltbarmachung von Lebensmitteln. Zudem ist uns meist nicht bewusst, dass sich ein großer Teil der Biomasse unseres Planeten unter Bedingungen mit erhöhtem Druck (bis 100 MPa = 1000 bar) befindet. Druck beeinflusst die Lage von Reaktionsgleichgewichten, kann sich also fördernd oder hemmend auf den Ablauf einer chemischen Reaktion auswirken. Ebenso ändert sich die räumliche Struktur von Proteinen unter Druck.
Die Hochdruckbehandlung von Lebensmitteln wurde bislang überwiegend technisch-phänomenologisch untersucht (z.B. Inaktivierung von Mikroorganismen). Unser Wissen über den Verlauf chemischer Reaktionen unter diesen Bedingungen stammt zum größten Teil aus der organischen Synthesechemie. Daher gilt ein Interesse dieses Schwerpunkts der Untersuchung bekannter lebensmittel-relevanter Reaktionen und ihrer physiko-chemischen Antwort auf eine Druckerhöhung bis zu 600 MPa. Aktuelle Forschungsarbeiten betreffen Glykierungen von Proteinen (Maillard-Reaktion) unter hohem Druck.
Die druckbedingte Änderung der räumlichen Struktur von Proteinen hat zur Folge, das neben der Aktivität von Enzymen auch deren Substratspezifität beeinflusst wird. Darüber hinaus werden manche Proteine durch Druck erst zum passenden Substrat für Enzyme.
Uns interessieren derzeit vor allem folgende Fragen:
- Wie verlaufen lebensmittelchemisch relevante Reaktionen unter Hochdruck?
- Wie ändert sich die Reaktivität von Proteinen und Kohlenhydraten?
- Wie wirken Enzyme unter Hochdruck?
- Kann hoher Druck zur Strukturierung von Lebensmitteln genutzt werden?
- Sind hochdruckbehandelte Lebensmittel sicher?
Ausgewählte Publikationen zur Thematik:
Menéndez O, Rawel H, Schwarzenbolz U, Henle (2006). Structural changes of microbial transglutaminase during thermal and high-pressure treatment. J. Agric. Food Chem. 54, 1716-1721. Fulltext
Schuh S., Schwarzenbolz U., Henle T. (2010). Cross-linking of hen egg white lysozyme by microbial transglutaminase under high hydrostatic pressure: localization of reactive amino acid side chains. J. Agric. Food Chem. 58, 12749-12752. Fulltext
Schwarzenbolz U., Henle T. (2010) Non-enzymatic modifications of proteins under high-pressure treatment. High Pressure Res. 30(4), 458-465. Fulltext
Translationale Forschung und Anwendungsforschung
In Zusammenarbeit mit Industrieunternehmen arbeiten wir an der Umsetzung von Grundlagenerkenntnissen in praktische Anwendungen und neue Produkte. Für Unternehmen der Ernährungsbranche sowie angrenzender Bereiche stellen wir unsere Kompetenz in den Bereichen der Protein- und Kohlenhydratchemie für Auftrags- Beratungs- und Entwicklungsprojekte zur Verfügung.
Weitere Hinweise zur Zusammenarbeit finden Sie unter dem Link "Kooperation".