18.11.2019
Früh übt sich: Psychologie-Studierende der TU Dresden veröffentlichen in internationaler Fachzeitschrift
Welche neuronalen Mechanismen liegen depressivem Verhalten zugrunde? Dieser Frage ist eine Gruppe von Studierenden der Professur für Biopsychologie der TU Dresden in einem Übersichtsartikel systematisch auf den Grund gegangen. Dazu verglichen sie 43 Originalstudien zum Thema Optogenetik und Chemogenetik bei depressiven Verhalten im Hinblick auf ihre Ergebnisse und identifizierten so die vielversprechendsten Ansätze - eine wertvolle Grundlage für zukünftige Forschungsarbeiten. Der Übersichtsartikel wurde jetzt im renommierten European Journal of Neuroscience veröffentlicht - eine besondere Ehre für die vier Studierenden und Zeugnis ihrer hervorragenden wissenschaftlichen Arbeit.
Tom Biselli, Susen-Sophie Lange, Lynn Sablottny und Johannes Steffen studieren den Master-Studiengang "Psychologie: Cognitive-Affective Neuroscience" (CAN) an der TU Dresden. Als sie im Wintersemester 2018/19 das Seminar Psychobiologie bei Dr. Andreas Walther begannen, hätten sie nie geglaubt, dass sie ein Jahr später Erstautoren eines Artikels in der internationalen Fachzeitschrift European Journal of Neuroscience sein würden.
Dr. Walther war über das Interesse der vier Studierenden an neuen Forschungsmethoden sehr erstaunt: „In dem Seminar versuche ich mit den Studenten die gesamte Bandbreite biologischer Systeme zu beleuchten, welche zur Pathophysiologie der Depression beitragen. Dabei fällt ein besonderer Fokus auf funktionsspezifische Netzwerke im Gehirn, welche die Verarbeitung von chronisch unvermeidbarem Stress oder gelernter Hilflosigkeit im Mausmodell untersuchen. Dabei zeigten die vier herausragenden StudentInnen ein besonderes Interesse für die sehr neue Methode der Optogenetik. Eine Methode, die eben diese Netzwerke in bisher ungeahnter Präzision untersuchen kann, da mittels gene editing zelltyp-spezifische Neuronengruppen im Gehirn nun direkt kontrolliert werden können, was zur bisher verwendeten elektrischen Stimulation einen Quantum-Sprung an Präzision darstellt.“
Schwere depressive Erkrankungen (engl. Major Depression Disorder, MDD) und ihre Behandlung sind Herausforderungen für die globale Gesundheit. Wissenschaftlerteams auf der ganzen Welt beschäftigen sich mit den Ursachen dieser Erkrankungen und versuchen die zugrundeliegenden neuronalen Mechanismen zu verstehen. Optogenetik und Chemogenetik sind zwei noch relativ junge wissenschaftliche Ansätze, welche die MDD-Forschung vorantreiben, indem sie kausale Beziehungen zwischen zelltypspezifischer Kontrolle von Neuronen und depressivem Verhalten bei Nagetieren aufdecken.
Tom Biselli beschreibt die Herangehensweise des Nachwuchswissenschaftlerteams: „Wir haben insgesamt 43 Originalstudien identifiziert, die optogenetische oder chemogenetische Techniken anwenden um depressives Verhalten bei Nagetieren zu bestimmen. Unser Ziel war es, alle verfügbaren Studien zu untersuchen, die zentrale neuronale Mechanismen als Ursache für depressives Verhalten aufzeigen und so die vielversprechendsten Wege für die zukünftige Forschung zu finden.“
Die systematische Untersuchung der vier Master-Studierenden liefert eindeutige Ergebnisse. Sie belegt, dass Depression aus einem komplexen Gefüge aus Neuroschaltungen erwächst, welches bisher nur hypothetisch angenommen wurde. Optogenetik und Chemogenetik haben ihr Potential bewiesen, in diesem Gebiet eine wesentliche Rolle zu spielen. Es ist aber auch deutlich geworden, dass Schwächen bei den Tiermodellen sowie Einschränkungen der Optogenetik bzw. Chemogenetik stets berücksichtigt werden müssen.
Als nächsten Schritt für ein umfassenderes Verständnis der neuronalen Zusammenhänge bei Depression empfehlen die Nachwuchswissenschaftler die Durchführung einer Meta-Analyse, die die Effekte der bisher vorgestellten Studien quantitativ vergleicht und gleichzeitig die zunehmende Anzahl von Forschungsergebnissen in diesem sehr jungen Forschungsgebiet konsolidiert.
Nur durch ein vertieftes Verständnis der Komplexität der Pathophysiologie können die derzeit bestehenden Herausforderungen bei der Diagnostik und Therapie der Depression erfolgreich gemeistert werden, kommentiert Dr. Walther: „Da auch heute noch die Wirksamkeit von Antidepressiva, die systemisch einzelne Botenstoffe wie Serotonin im Gehirn erhöhen, umstritten diskutiert wird, zeigt die systematische Arbeit auf, wie Komplex das neuronale Netzwerk der Depression ist. Dieser Komplexität ist durch eine unspezifische Aktivierung mittels Antidepressiva in vielen Fällen nicht beizukommen. Die systematische Übersichtsarbeit bereitet damit für neue neurowissenschaftliche Ansatzmöglichkeiten den Weg, um in Zukunft daraus effizientere Therapien zu entwickeln.“
Originalveröffentlichung:
T. Biselli, S. Lange, L. Sablottny, J. Steffen, A. Walther: “Optogenetic and chemogenetic insights into the neurocircuitry of depression‐like behaviour: A systematic review” European Journal of Neuroscience. https://doi.org/10.1111/ejn.14603
Ansprechpartner für Journalisten:
Nicole Gierig
Referentin für Öffentlichkeitsarbeit
Bereich Mathematik und Naturwissenschaften