Sep 19, 2019
Wissenschaftlich aufgetafelt: Was vom Teller in den Körper kommt
Der 48. Deutsche Lebensmittelchemikertag an der TU Dresden vernetzte Forschung von Nano-Milchvehikeln bis hin zu Lebensmittelkontaktmaterialien – und würdigte besondere wissenschaftliche Leistungen der Lebensmittelchemie
Was steckt in unserem Essen? Das diskutierten Wissenschaftler in zahlreichen Facetten auf dem 48. Deutschen Lebensmittelchemikertag in Dresden, dem von Montag bis Mittwoch über 500 Lebensmittelchemikerinnen und -chemiker aus Forschung, Industrie und Überwachung beiwohnten. Schwerpunkte in diesem Jahr waren chemische Reaktionen in Lebensmitteln, pflanzliche Lebensmittel sowie Bedarfsgegenstände und kosmetische Mittel, aber auch weitere Themen kamen von der Speise- an die Lehrtafel: von hochaktueller Grundlagenforschung, beispielsweise zu Reaktionsprodukten aus der thermischen Behandlung von Lebensmitteln, bis hin zu Lebensmittelrecht, u.a. Leitsätze zu veganen und vegetarischen Lebensmitteln. „Lebensmittelchemie ist Chemie an den Schnittstellen zur Medizin, Biologie und den Ingenieurwissenschaften – das Spektrum unseres Faches wird durch das Programm eindrucksvoll dokumentiert“, so Prof. Thomas Henle, Dekan der Fakultät Chemie und Lebensmittelchemie der TU Dresden. Als Vorsitzender des Ortskomitees des Lebensmittelchemikertags hat er mit dem Team der Lebensmittelchemie die Veranstaltung der Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh) an der TU Dresden organisiert.
Es ist das dritte Mal nach 1994 und 2006, dass die TU Dresden jenen deutschlandweit bedeutenden Jahreshöhepunkt der Lebensmittelchemie veranstaltete. Prof. Henle will dabei nicht nur Theorie und Praxis verknüpfen, sondern ein interdisziplinäres Forum beleben: „Lebensmittelchemie ist für uns viel mehr als Lebensmittelanalytik, sondern Naturforschung im ursprünglichen Sinne – das Fach ist die Basis für die Erklärung aller naturwissenschaftlichen Fragestellungen rund um das Thema Lebensmittel.“
Auf der Suche nach solcherlei Grundlagen dringt Anja Dürasch in die molekularen Strukturen von Milchproteinen ein: in Caseinmicellen. Dank diesen natürlichen Proteinnanostrukturen in der Milch können Neugeborene mit wichtigen Mineralstoffen versorgt werden. Ihren strukturellen Aufbau, die Vernetzung der Proteine untereinander hat die Lebensmittelchemikerin untersucht – um ihr Potenzial als Nanovehikel zu beurteilen: Die Micellen könnten als „Förderbänder“ und Transportfahrzeuge bioaktive Substanzen in den Körper transportieren. Ihre Forschung fasste die Doktorandin in einem Vortrag am Montag zusammen. „Zu ergründen gilt es noch, wie die Wasserkanäle in der Micelle eigentlich aufgebaut sind bzw. stabilisiert werden“, erklärt Dürasch. „Offen ist zum Beispiel, wie der Einbau fremder Stoffe in die Micelle eigentlich genau funktioniert. In Beladungsstudien wird meist nur untersucht, wie effektiv die Substanz in die Micelle eingebaut werden kann, aber nicht die molekularen Grundlagen, wo und wie sich die Substanz in die Struktur integriert.“ Düraschs entwickelte Methoden könnten in einem nächsten Schritt auf andere Tierarten angewandt und mit den Ergebnissen boviner Micellen, also solcher aus Kuhmilch, verglichen werden. „In den letzten Zügen meiner Promotion und in meiner Studienstadt Dresden war es für mich eine besondere Ehre, meine Ergebnisse einem breiten Fachpublikum auf dem 48. Deutschen Lebensmittelchemikertag vorstellen zu dürfen."
Der Lebensmittelchemikertag bietet traditionell ein hervorragendes Forum für Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler. Neben Anja Dürasch hielt auch Stephanie Treibmann ihren ersten Vortrag, die zeigen konnte, welche chemischen Reaktion in Fleisch ablaufen und wie man anhand dieser auf den Fleischverzehr zurückschließen kann.
Prof. Thomas Simat, Professor für Lebensmittelkunde und Bedarfsgegenstände an der TU Dresden, lenkte den Blick in die Umgebung von Lebensmitteln, im wahrsten Sinne des Wortes: Ihn beschäftigt, was Lebensmittel umgibt, von ihrer Verpackung bis zu Küchenartikeln und -geräten, von der Ernte der Rohwaren über ihre Abfüllung bis hin zur Verarbeitung. Die Problematiken dieser „Lebensmittelkontaktmaterialien“ besprach der Chemiker in seinem Vortrag am Mittwoch. „Eine Reihe toxikologisch problematischer oder nicht bewerteter Substanzen hat in den letzten Jahren den Fokus immer mehr auf ‚nicht geregelte‘ Materialien gelenkt“, erläutert Prof. Simat: „Coatings, Druckfarben, Klebstoffe, Pigmente und so weiter. Dazu kommen noch Substanzen, die den Lebensmittelkontaktmaterialien gar nicht ‚absichtlich‘ zugesetzt wurden, wie Verunreinigungen der Ausgangsstoffe sowie deren Reaktions- und Abbauprodukte.“ Umfassende Analysen von Lebensmittelkontaktmaterialien ermöglichen instrumentell analytische Methoden; Biotests, welche die Gegenwart genotoxischer Substanzen ausschließen, werden aktuell erforscht, sind aber noch nicht sensibel genug. In seiner Professur bietet Prof. Simat selbst einige analytische Dienstleistungen an, darunter zum Beispiel Screenings von Weichmachern und Additiven in Kunststoffen. Zudem vertreibt seine Professur weltweit Geruchsreferenzen in Form von Riechstiften und forscht an der analytischen Aufklärung von Fehlgerüchen. Durch die Vorstellung der Projekte seiner Mitarbeiter möchte Prof. Simat Denkanstöße für künftige Anforderungen an Kontaktmaterialien geben, neue Analysenmethoden vorstellen und auf Lücken und Hemmnisse in den bestehenden Regelungen aufmerksam machen. Im Anschluss an die Tagung traf sich eine Fachgruppe aus Mitgliedern der Lebensmittelüberwachung und privaten Prüfinstituten, um sich über Verfahren zur Bewertung von Fehlgerüchen in Konsumprodukten auszutauschen.
In über 30 Plenar- und Diskussionsvorträgen sowie einer Poster- und Industrieausstellung informierten und vernetzten sich die Forscher auf dem Lebensmittelchemikertag. Besonders exzellente Forschung wurde zudem besonders honoriert: In einer Festsitzung verlieh die Lebensmittelchemische Gesellschaft – Ausrichter der Tagung und größte Fachgruppe in der GDCh – unter anderem den Werner-Baltes-Preis des Jungen Wissenschaftlers an Dr. Michael Hellwig. An der Professur für Lebensmittechemie der TU Dresden erforscht er die Proteinoxidation von Lebensmitteln. Der Werner-Baltes-Preis ehrt Dr. Hellwigs ausgeprägte Expertise in synthetischen, analytischen und biochemischen Bereichen. Besondere Auszeichnungen erhielten auch Professor Dr. Lothar W. Kroh, Technische Universität Berlin, der mit der Joseph-König-Gedenkmünze geehrt wurde, und Dr. Henning Sören Kuchenbuch von der Universität Münster, dessen Dissertation ihm den Gerhard-Billek-Preis einbrachte.
Den Lebensmittelchemikertag 2019 wertet Prof. Henle sowohl für die Gesellschaft Deutscher Chemiker als auch für die Veranstalter an der TU Dresden als vollen Erfolg. Neben spannenden Vorträgen und Diskussionen sei auch das gesellige Miteinander nicht zu kurz gekommen, und viele Gäste konnten sich zudem erstmals einen persönlichen Eindruck von Dresden und der Technischen Universität machen. „Die TU Dresden hat sich als weltoffene, multikulturelle und der Wissenschaftsfreiheit verpflichtete Gastgeberin präsentiert, getreu ihrem Motto: Wissen schafft Brücken. Das macht mich besonders stolz“, so Thomas Henle.
Informationen für Journalisten:
Prof. Thomas Henle
Professur für Lebensmitteltechnologie
Tel.: 0351 463-34647