Auf alle Fälle was mit Holz
(porträtiert im Jahr 2021)
Dagmar Möbius
Ein kleines hölzernes Auto ist die älteste Kindheitserinnerung von Matthias Merten. Der 65-Jährige kam als Sohn eines Holzspielzeugmachermeisters im Erzgebirge zur Welt. Seine Begeisterung für den nachhaltigen Werkstoff führte ihn zum Studium der Holz- und Faserwerkstofftechnik an die TU Dresden.
Seine kindliche Spielherde aus Pferden, Kühen und Schweinen war aus Holz. Natürlich. „Damals gab es noch nicht so viel Plastespielzeug“, erinnert sich Matthias Merten. Sein Vater Klaus Merten († 2018) war Holzspielzeugmachermeister und zwischen 1959 und 1984 als Restaurator im Spielzeugmuseum Seiffen beschäftigt. „Von ihm habe ich mir viele Fertigkeiten im Umgang mit Holz angeeignet, schon als Kind“, erzählt er. Nach dem Abitur 1975 kam für ihn „auf alle Fälle was mit Holz“ infrage. Sein beruflicher Plan: In der Holzindustrie des Erzgebirges zu arbeiten.
Bis zum Studienbeginn 1978 waren drei Jahre NVA zu absolvieren, sonst hätte er keinen Studienplatz bekommen. Die TU Dresden war für den damals jungen Familienvater mit einem kleinen Sohn nicht nur die einzige Hochschule mit dem gewünschten Studienfach, sondern wegen der Nähe zum Erzgebirge ideal. Bis 1983 studierte Matthias Merten in der Fachrichtung Holz- und Faserwerkstofftechnik. „Da war viel mehr dabei als reine Holzbearbeitung“, erinnert er sich. In seiner Ingenieurarbeit beschäftigte er sich mit der Optimierung von Holzzuschnitten für die Möbelindustrie, in der Diplomarbeit damit, ob und wie sich Asbestfasern durch Holzfasern in Betonmischungen ablösen lassen. „Damals liefen dazu viele Studien an der TUD“, erinnert er sich. An seinen betreuenden Professor Fischer, dessen Vorname ihm nicht mehr einfällt, denkt er gern zurück, auch an das wissenschaftliche Arbeiten generell und die Vielfältigkeit des Studiums, das unter anderem auch Glasfaser- und Spanplattentechnik beinhaltete. „Alles was man gelernt hat, kann nicht schaden“, lacht Matthias Merten.
Direkt nach dem Studium bis 1990 arbeitete der Diplom-Ingenieur als Technologe im Großbetrieb VEB VERO Olbernhau, der wiederum zum Kombinat Spielwaren Sonneberg gehörte. Die Vereinigten Olbernhauer Spielwarenbetriebe umfassten über 100 Produktionsstätten im gesamten Erzgebirge. Von der Herstellung von Holzspielzeug über die Produktion von Raum- und Tafelschmuck bis hin zu Modelleisenbahnzubehör reichte die Sortimentspalette des Großbetriebes. Matthias Merten war als Hauptabteilungsleiter Technologie dafür zuständig, was, wann, wieviel und mit welcher technischen Ausstattung produziert wurde. Eine Anekdote illustriert den wirtschaftlichen Alltag in der DDR: „Wir wollten auf den nordamerikanischen Markt expandieren, aber in den USA stand DDR-Spielzeug auf der Embargo-Liste. Also suchten wir einen Umweg und fanden einen Partner in Kolumbien, der Spielwaren made in GDR herstellen wollte. Das war alles nicht so einfach, weil wir nicht hinfahren durften. Gemeinsam mit dem Holzdesigner Dr. Helmut Flade entwickelten wir Erzeugnisse, legten die Technologien fest und bauten notwendige Sondermaschinen. Die standen schon in Rostock und sollten verschifft werden, als die Wende kam. Wir wissen nicht, was aus dem gesamten Projekt geworden ist …“
Nachdem Matthias Merten gemeinsam mit anderen Kollegen den VEB VERO Olbernhau abwickeln musste, war er als Mitarbeiter einer privaten Vermögensberatungsfirma, als Produktmanager in der Möbelindustrie und als Automobilverkäufer tätig. Ab 1998 arbeitete er in der Werkstatt für Seiffener Volkskunst seines Vaters Klaus Merten mit. Zwei Jahre später übernahm er diese, zunächst als GbR mit dem Vater, danach als „Räuchermann-Manufaktur“ mit seiner Ehefrau Birgit. „Ich ziehe den Hut vor ihr“, sagt der Holzfachmann, der gleichzeitig Buchhalter und Hausmeister für deren Friseurgeschäft ist. Wie sie im deutsch-tschechischen Grenzgebiet eine erfolgreiche Firma mit vier Angestellten führt, nötigt ihm täglichen Respekt ab.
Seine eigene Firmengeschichte taugt als Beispiel für Bürokratieirrsinn. Der Beruf des Holzspielzeugmachers war meisterpflichtig, dann einige Jahre nicht mehr, inzwischen erneut. Der Diplom-Ingenieur für Holz- und Faserwerkstofftechnik musste zwischenzeitlich seinen Vater als Meister einstellen, sonst hätte ihm die zwangsweise Gewerbeabmeldung gedroht. „Ich darf Holztragwerke für Brücken oder Fachwerkhäuser bauen, aber Räuchermänner nicht“, schüttelt er noch heute den Kopf. Zum Glück gilt für ihn nun der Bestandsschutz.
Sein Arbeitstag beginnt täglich um sieben Uhr. Noch zu Hause arbeitet er E-Mails und Post ab. In seiner Werkstatt angekommen, packt er oft Versandpakete. Dann beginnt Matthias Merten mit der Produktion seiner Räuchermänner. „Jeder Tag ist anders.“ Nussknacker und so genannte Klapperpuppen, „die Urform des Holzspielzeugs“, stellt er nicht mehr her. „Da haben wir hier im Erzgebirge mehrere andere Betriebe, die sich darauf spezialisiert haben.“ Die von ihm und seiner Schwägerin hergestellten Figuren sind zu 95 Prozent handgedrechselt und zu 100 Prozent handbemalt. Dabei orientiert er sich an historischen Vorlagen wie sie um ca. 1870 in Seiffen entstanden sind. Die meisten Räuchermänner sind Einzelbestellungen, gelegentlich werden auch Kleinserien bestellt. Beliebt sind der Robin Hood des Erzgebirges Karl Stülpner, Bergleute, der Hauptmann von Köpenick oder kanadische „Mounties“. „Ich habe im Saisongeschäft eine Nische gefunden“, freut sich Matthias Merten. Unabhängig von der Weihnachtszeit stellt er individuelle Räuchermänner beispielsweise für Studentenverbindungen und für Schützenvereine her.
Räucherfrauen produziert Matthias Merten ungern. Auch das ist historisch begründet: „Geraucht wurde früher in Salons oder Rauchzimmern, eher nicht in der Öffentlichkeit. Für Frauen geziemte es sich nicht zu rauchen“, erzählt er. Zudem: „Ästhetisch sieht es einfach nicht gut aus, wenn eine Frau aus dem Mund qualmt.“ Wenn schon, kommt der Rauch seiner Räucherfrauen deshalb aus Utensilien. Bei der Pfefferkuchenfrau aus dem Korb, bei der Kloßfrau aus dem Topf. Diese Miniaturen stellen den Holzfachmann seit einiger Zeit vor neue Probleme. Er nennt Lieferengpässe für Glas, teils auch für Lacke und Farben. Trotzdem will Matthias Merten weiter Räuchermänner herstellen, so lange es ihm Freude macht. Wer ihn besuchen will, sollte sich vorher ankündigen.
Passend zum Thema ein Beitrag zu Seiffen in der Mediathek.
Kontakt:
Räuchermann Manufaktur Klaus Merten
Matthias & Birgit Merten GbR
- Matthias Merten -
Am Reicheltberg 1
09548 Seiffen
Tel. +49 (0) 37362 76177
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