Die Samen gehen bei der Jugend einfacher auf
(porträtiert im Jahr 2023)
Dagmar Möbius
Wer Kai Andersch persönlich in seiner Heimat treffen will, muss Geduld haben. Der Forstwissenschaftler ist viele Monate im Jahr weltweit unterwegs. Aktuell bereitet er in Lima eine Expedition vor, um alte peruanische Wälder zu schützen. „Kontakt-online” sprach mit ihm per Videokonferenz zwischen zwei Flügen in Südamerika über seine Motivation, seinen Werdegang, Tarzan und die scheinbar vakante CO2-Bilanz der TU Dresden.
Alte Bäume faszinierten Kai Andersch schon als Kind. Der gebürtige Dresdner war gern im Wald. Bei einem einjährigen Gastschulaufenthalt im kanadischen Evansburg (Alberta) 1994 sah der damals 17-Jährige noch viel ältere Bäume als in Deutschland. „Man findet Ruhe“, beschreibt er seine Begeisterung. „Und man ist gezwungen, weit über das eigene Leben hinauszudenken.“ Nach dem Abitur am Dresdner Kreuzgymnasium und dem Zivildienst nahm er 1998 das Studium der Forstwissenschaften an der TU Dresden auf. „Ich habe mich ganz bewusst für die in Tharandt befindliche Fakultät entschieden, den Geburtsort der Nachhaltigkeit“, erzählt er. Die Nähe zur Heimatstadt war es nicht: „Hätte es den Studiengang in besserer Qualität in Oxford oder Cambridge gegeben, wäre ich dahin gegangen.“ Er wollte viel mehr über alte Bäume lernen, wie sie geschützt werden können, wie industrielle Forstwirtschaft und Waldumbau funktionieren.
„Tarzan wäre stolz auf uns“
Schon vor Studienbeginn hatte Kai Andersch einen Plan: Er wollte eine gemeinnützige Organisation gründen, die sich für den Schutz wilder Natur und vor allem alter Wälder engagiert. Im zweiten Studienjahr setzte er das Vorhaben mit zwei Kommilitonen und weiteren Mitstreitenden um und gründete einen Verein. Heute ist die NGO eine internationale Stiftung, errichtet von 31 Gründerinnen und Gründern mit drei Schwesterstiftungen in Deutschland, Kanada und Peru. Wilderness International kauft weltweit ökologisch wertvolle und akut bedrohte Wildnis-Gebiete, um sie für die Zukunft zu bewahren. Wieder gibt es einen ehrgeizigen Plan: „Bis zum Jahr 2050 schützen wir die letzten 2,8 Prozent noch intakter Lebensräume unserer Erde durch rechtssicheren Kauf.“ Das sind 4,27 Millionen Quadratkilometer fantastischer, wertvoller Natur, die gerettet werden können. „Tarzan wäre stolz auf uns“, schmunzelt der 45-Jährige und so steht es auch auf der Internetpräsenz der Stiftung. Als Vorstandsvorsitzender setzt Kai Andersch auf transparente Kommunikation. Spendende sollen sehen und nachvollziehen können, wohin die Gelder fließen und erfahren, warum Wälder geschützt werden müssen. Dazu werden auch Drohnenaufnahmen veröffentlicht. „Wir geben Menschen die Chance, der Natur Danke zu sagen“, fasst er zusammen. Zum Wirkungsbericht geht es hier.
Bildung und Forschung sind elementar
„Forschung spielt für uns eine tragende Rolle“, sagt der Forstwissenschaftler. „Mein Studium war sehr breit aufgestellt und eine super Grundlage. Die Lehrenden haben einen tollen Job gemacht.“ Kai Andersch erinnert sich an viele Anekdoten, Kooperationen und Reisen aus der Studienzeit. Von Professor Dr. Otto Wienhaus wurde er viel unterstützt. Von ihm lernte er unter anderem „Terra Preta“ kennen, eine Technik, mit der in Amazonien seit Jahrtausenden Holzkohle eingegraben wurde, um Böden wieder nährstoffreicher zu machen und die Wasserspeicherkapazität zu erhöhen. Seine Masterarbeit schrieb und verteidigte er 2005 gemeinsam mit seinem Kommilitonen Robert Spitzer über die Ökologie eines der wertvollsten Hölzer der Welt, den südamerikanischen Letternholzbaum.
Inflationäre Begriffe und anderes Herangehen
„Der Nachhaltigkeitsbegriff wird heute inflationär benutzt“, stellt Kai Andersch fest. „In meinem Bereich dauert alles viel länger, man muss ganz anders herangehen, man muss enorm resilient sein und darf nicht nur nehmen.“ Junge Leute wachsen in langfristiges Tun hinein. So hat der Waldexperte drei von acht heutigen Stiftungsrätinnen und -räte kennengelernt, als sie noch zur Schule gingen. Dieses Herangehen unterscheide sich von dem von Politikern, die in Fünf-Jahres-Etappen denken.
Dass Kai Anderschs Reisen Wochen bis Monate dauern, finden er und sein achtjähriger Sohn traurig. „Aber letztes Jahr habe ich ihn zum ersten Mal mit nach Kanada mitgenommen. Kinder sind offener für solche Themen, die Samen gehen einfacher auf“, so seine Erfahrung. Deshalb arbeiten er und die Stiftung mit gegenwärtig rund 30 Vollzeitstellen sehr gern mit Schulen zusammen. 100 bis 140 Veranstaltungen führte die Stiftung in Vor-Corona-Zeiten jährlich durch. Bekannt ist er mit seiner Stiftung in Dresden auch dadurch, dass an vielen Schulen die sog. Regenwaldläufe stattfinden.
Initiativbewerbungen gehen das ganze Jahr ein, meist durch Direktkontakte. Ideen für Bachelor- und Masterarbeiten sind immer willkommen, auch beispielsweise zu Fernerkundung mit Satelliten oder Drohnen beziehungsweise zur Quantifizierung von Ökosystemleistungen.
Wünsche für die TUD
„Dass das Thema Nachhaltigkeit eine Rolle in allen Studiengängen spielt“, wünscht sich Kai Andersch sehr. Aber als gut informiertes Mitglied des Alumninetzwerks weiß er auch: „Es gibt noch nicht mal eine richtige CO2-Bilanz an der TUD.“ Vor drei Jahren bot er seiner einstigen Universität die Erstellung (kostenlos) an. Es kam nicht zustande. „Ich glaube nicht, dass viele Unis so ein Angebot bekommen. Das Verantwortungsbewusstsein war dann nicht so groß“, sagt er pragmatisch. Er weiß, dass in puncto Klimaschutz noch weite Wege zu gehen sind. Aber: „Es ist mir eine Herzensangelegenheit, dass sich die TUD auch stark zu Nachhaltigkeit positioniert, sie könnte Vorreiterin sein“, davon ist er überzeugt.
Anmerkung der Redaktion:
Die Treibhausgasbilanzierung der TU Dresden erfolgt derzeit im Rahmen der EMAS Umweltberichterstattung der TU Dresden. Bislang werden Emissionen in Anlehnung an Scope 1 und 2 des Greenhouse Gas Protocols bilanziert. Nicht erfasst werden bisher indirekte Emissionen, die z.B. von Dienstreisen, Arbeitswegen und aus Beschaffungsprozessen herrühren (sog. Scope 3 Emissionen). Die Erweiterung der Treibhausgasbilanz ist aktuell geplant. Außerdem soll in Zukunft ein Klimaschutzmanagement an der TU Dresden etabliert werden. Für 2023 ist die Verabschiedung einer Nachhaltigkeitsstrategie mit einem umfassenden Maßnahmenplan für die TU Dresden vorgesehen. (Hier zum Kontakt der TUD-Verantwortlichen)
Kontakt:
Kai Andersch
CEO, Vorstandsvorsitzender
Wilderness International
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