Fasziniert vom Fliegen
(interviewt im Jahr 2024)
Dagmar Möbius
Kevin-Christian Garzon Galindo war ein zwei Monate altes Baby, als er zum ersten Mal nach Kolumbien flog. Flüge in die Heimat seiner Mutter gehörten so zu seinem Leben, dass für ihn nur ein Beruf in Frage kam: Pilot. Daraus wurde nichts. Der gebürtige Österreicher studierte an der TUD Verkehrsingenieurwesen und wurde bei der NASA angestellt. Doch als Überflieger sieht er sich nicht.

Kevin Garzon-Galindo
„Ich bin sogar mal in Mathe sitzengeblieben“, lacht der 30-jährige. Mit dieser Anekdote nimmt er all denen den Wind aus den Segeln, die meinen, er habe eben Glück gehabt. Tatsächlich hat Kevin-Christian Garzon Galindo seinen Traum vom Fliegen konsequent verfolgt und ist dafür manche Extrameile gegangen. Dass sein Beruf heute ein anderer ist als ursprünglich geplant, ist für den Diplom-Ingenieur keine Notlösung. Er ist begeisterter Forscher und arbeitet an der Zukunft der Luft- und Raumfahrt.
Wie der Berufswunsch entstand
„Meine Familie ist weit weg von irgendeinem Bezug zur Luftfahrt und auch nicht wohlhabend“, sagt der gebürtige Bregenzer. „Aber ich bin mit den jährlichen Flügen nach Kolumbien aufgewachsen und konnte mir beruflich nichts anderes vorstellen, als Lufthansa-Pilot zu werden und ein Verkehrsflugzeug zu steuern. Leider waren die gesundheitlichen Vorgaben der Airlines streng und meine Augen dafür zu schlecht.“ Flugzeugbau als Alternative kam für Kevin-Christian Garzon Galindo nicht in Frage. Die Empfehlung zum in dieser Form einzigartigen Studium Verkehrsingenieurwesen mit Vertiefung Verkehrssystemtechnik und Logistik mit Schwerpunkt Luftverkehr an der TU Dresden kam von einem Freund.
Hervorragender Einblick in das System Luftverkehr
Nach dem Zivildienst in Österreich beim Roten Kreuz begann Kevin-Christian Garzon Galindo 2014 sein Studium in Dresden. Die theoretische Basis beschreibt er als exzellent und nützlich: „Wir bekamen einen hervorragenden Einblick in das System Luftverkehr. Die Unterstützung war phänomenal. Aber es wurde auch erwartet, dass man sich hineinkniet.“ Von 140 Studienanfängern war die Hälfte nach dem 4. Semester nicht mehr eingeschrieben. Die Simulationsräume der Professur faszinierten Kevin-Christian Garzon Galindo und er verbrachte viel Zeit im Flugsimulator. Was ihm an praktischen Fähigkeiten fehlte, wurde ihm später bewusst. Bei der Suche nach einem Pflichtpraktikum im 9. Semester, das er gern im Ausland absolvieren wollte, empfahl ihm Professor Hartmut Fricke mehrere Webseiten. „Eine davon war von der NASA. Das fand ich spannend.“ Er bewarb sich – und wurde nach langem Warten abgelehnt. Doch er fragte nach den Gründen. Als ihm gesagt wurde, dass Personen mit mehr digitalen Fähigkeiten gesucht würden, lernte er Programmieren.

Im Cockpit des Airbus A320 Forschungssimulators der Professur für Technologie und Logistik des Luftverkehrs
Auslandsjahr in den Niederlanden
Über ein Erasmus-Programm absolvierte Kevin-Christian Garzon Galindo ein Jahr an der Technischen Universität Delft. Hier eignete er sich fehlende Maschinenbaukenntnisse in der Luft- und Raumfahrttechnik an. Und er erlebte in jedem Fach Gruppenarbeiten, die so gestaltet waren, dass man die Aufgaben ohne Programmierkenntnisse nicht lösen konnte – effektiv für wissenschaftliches Arbeiten. Zudem wurden Einzel- oder Gruppenarbeiten in den Endnoten wie Klausuren gewichtet. Für den angehenden Luftfahrtingenieur eine neue Erfahrung. „Ich bin kein guter Klausurenschreiber“, gibt er zu und schmunzelt: „Bulimie-Lernen ist nicht meins.“ Er erkannte: Projektarbeit passt besser zu ihm.
Viele Highlights im Studium
Besondere Erlebnisse hatte Kevin-Christian Garzon Galindo viele. Seine Augen leuchten, wenn er von der Teilnahme an der Student Challenge im Rahmen der ICRAT-Konferenz 2018 in Barcelona berichtet (gewonnen). Kevin-Christian Garzon Galindo erhielt dafür unter anderem große Datenmengen der US-Verkehrsbehörde geschickt. Die waren in dem von ihm entwickelten Programm so schnell ausgewertet, dass er zunächst dachte, etwas falsch gemacht zu haben. Hatte er aber nicht.
Auch die Mitarbeit an einem Konzept für den Berliner Flughafenbetrieb begeisterte ihn. In zahlreichen Gremien wirkte er mit, als Tutor, im Fachschaftsrat und im Senat. Dass er sich für englischsprachige Vorlesungen in seinem Studiengang engagierte, fanden nicht alle Kommilitonen gut: „Ich möchte etwas verbessern und wo, wenn nicht an einer Exzellenzuni, in einem solchen Studiengang, wäre das besser angebracht?“, kontert er.

Kevin-Christian Garzon Galindo war Mitglied des Senats der TUD
Zweite Bewerbung bei der NASA
Ermuntert von Professor Fricke sowie Freunden und Familie wagte Kevin-Christian Garzon Galindo eine erneute Bewerbung bei der NASA. „Ich wollte nicht aufdringlich sein, aber ich habe dann geschrieben, was ich in der Zwischenzeit alles gemacht habe.“ Die Belohnung kam am 20. Dezember 2018. Sein jetziger Chef mailte ihm, dass er begeistert sei, wieviel Wissen er in einem Jahr aufgeholt habe und dass er sich alles selbst organisierte. Ein Vierteljahr später kam die finale Zusage, so dass der Diplom-Ingenieur in der Studienrichtung Verkehrsingenieurwesen einen Teilzeit-Forschungsjob bei der Forschungsstiftung der San Jose State University am NASA Ames Research Center antrat.
Das Thema seiner Diplomarbeit („Detect-and-Avoid in off-nominal Situations for Supersonic Transport Aircraft in upper Class E Airspace“) entstand aus seiner Arbeit heraus. [KG1]

Kevin-Christian Garzon Galindo vor dem Eingang des NASA Ames Research Centers
Noch viele Challenges zu bestehen
Mehr als fünf Jahre ist Kevin-Christian Garzon Galindo nun schon Teil der National Aeronautics and Space Administration (NASA). Er forscht an einem neuen Air Space-Management-System in der Stratosphäre, also in 18 bis 20 km Höhe. Laien können sich die Herausforderungen so vorstellen: „Momentan haben wir ein sehr homogenes System. Zunehmend müssen aber auch Ballons, Wetterbeobachtungsstationen, Luftschiffe, Überschallflugzeuge im Luftverkehr berücksichtigt werden. Alle fliegen anders. Wie integriert man das?“
Und es gibt noch ein großes Ziel. Bis zum Jahr 2050 soll die Luftfahrt CO2-frei. „Wir haben noch viele Challenges zu bestehen“, sagt der Forschungsingenieur. Er ist so von seiner Arbeit begeistert, dass er nun promovieren will.
Zukunftspläne
Beim Besuch der Rektorin in San Francisco hat Kevin-Christian Garzon Galindo kurz mit ihr gesprochen. Er plant, ein Alumni Chapter San Franciso Bay Area zu gründen, weil er von mehr als 200 TUD-Alumni in der Region weiß. Eine WhatsApp-Gruppe des kalifornischen Netzwerkes gibt es schon, ein Stammtisch soll folgen. Der Deutsche Generalkonsul und das Deutsche Wissenschaftszentrum haben ihre Unterstützung zugesagt.

Im Gepräch mit der TUD-Rektorin Prof.in Staudinger und Jeremiah Peterson, TUD-Koordinator Internationale Alumniarbeit
Ein persönliches Zwischenziel hat der Flugbegeisterte auch erreicht: Kürzlich bestand er seine theoretische Prüfung im Fliegen. Pilot wird er also doch noch. Als Hobby.
Kontakt: