In der Truppe spiegelt sich das Leben
(porträtiert im Jahr 2020)
Dagmar Möbius
„Das Kind studiert.“ Für Ariane Knechtels Familie war das bereits in der Grundschule in Eisenhüttenstadt klar. Aber was? In der 9. Klasse las sie einen Bericht über eine Polizeipsychologin. Der Gedanke lies sie nicht mehr los. Heute arbeitet sie als Truppenpsychologin bei der Bundeswehr. Dafür legte ihr Studium eine hervorragende Basis , empfindet sie. Daher fühlt sie sich nach wie vor ihrer Universität verbunden und gab kürzlich den Dank in Form einer Spende an Studierende in Not zurück.
„Meine Freunde sagten in der Schule immer, ich könne so gut bei Problemen zuhören“, sagt die Diplom-Psychologin im Skype-Gespräch und lacht: „Das trifft auf 90 Prozent aller Psychologen zu.“ Nachdem sie ein Bericht über eine Polizeipsychologin fasziniert hatte, absolvierte sie noch vor dem Abitur ein Praktikum bei einer Psychologischen Psychotherapeutin. „Ich fand es sehr interessant, welche Phänomene aus dem Alltag sich psychologisch erklären lassen.“ Ihr berufliches Ziel war klar. Stringent würde ihr heutiger Arbeitgeber ihren Lebenslauf ein paar Jahre später bezeichnen, „auch wenn an einigen Stellen eine Portion Glück mitgespielt hat.“
Von Oktober 2008 bis Mai 2014 studierte Ariane Knechtel Psychologie auf Diplom an der TU Dresden. Stadt und Universität kannte die gebürtige Brandenburgerin über ihren Vater, der an der Fakultät Chemie und Lebensmittelchemie arbeitete. Dass der Studiengang Psychologie im CHE-Hochschulranking seit Jahren vordere Plätze belegt, stärkte ihren Entschluss. Doch die erhoffte Studienzusage des NC-Faches kam als eine der letzten Antworten auf Bewerbungen an mehreren Hochschulen.
„Eine super Ausbildung, vor allem die Verbindung zwischen Forschung und Praxis“, lobt sie rückblickend, auch wenn ihr vier Jahre Statistikmodule und Forschungsmethoden als trockene Kost neben den anderen Fächern in Erinnerung blieben. „Ich habe mich für vieles im Fachgebiet interessiert und als Vertiefungsfächer Klinische Psychologie und Arbeits- und Organisationspsychologie gewählt.“ Praktika absolvierte sie bei der Bereitschaftspolizei Lahr und in der Abteilung für Abhängigkeitserkrankungen der AHG Klinik Schweriner See. „Doch mir war relativ zeitig klar, dass ich keine Psychotherapeutin werden, sondern lieber präventiv und ganzheitlich arbeiten möchte.“ Als studentische Hilfskraft arbeitete sie an der Professur für Entwicklungspsychologie, an der Professur für die Psychologie des Lehrens und Lernens sowie als Tutorin für Lehramtsstudenten. Bei Professor Hermann Körndle schrieb Ariane Knechtel ihre Diplomarbeit, die sich mit dem Erlernen von Problemlösestrategien mittels interaktiver Lernaufgaben beschäftigte. „Er brachte uns viel Vertrauen entgegen und schätzte, wenn wir eigene Ideen einbrachten. Auch für die Dozenten waren die Studierenden Menschen, für die sie sich wirklich interessierten.“
An der Professur für Klinische Psychologie lief während ihres Studiums ein Forschungsprojekt in Kooperation mit der Bundeswehr. „Da ging es um die psychische Gesundheit von Soldaten in Zusammenhang mit der Teilnahme an Auslandseinsätzen und ich hörte zum ersten Mal etwas von Truppenpsychologen“, erzählt sie. Doch über das genaue Tätigkeitsfeld erfuhr Ariane Knechtel nichts. Sie ahnte damals auch nicht, dass die Bundeswehr mit 280 Dienstposten (Stand November 2019) zu den größten Arbeitgebern für Psychologen in Deutschland gehört.
Als die aktive Kampfsportlerin realisierte, dass im Polizeidienst kaum Chancen bestanden, eingestellt zu werden, bewarb sie sich initiativ bei der Bundeswehr. Und wurde eingeladen. „Nienburg, wo ist das denn?“, war ihr erster Gedanke. Inzwischen arbeitet die Truppenpsychologin seit 2015 am dortigen Zentrum für Zivil-Militärische Zusammenarbeit/Multinatiol CIMIC Command. „Jetzt wird alles gut“, scherzte ihr Fachvorgesetzter bei ihrem Antritt. Warum? René Klein hatte zehn Jahre vor ihr ebenfalls Psychologie an der TUD studiert und wusste, dass er eine solide ausgebildete Fachkraft begrüßen konnte.
Nach mehreren Lehrgängen und einer für das zivile Personal der Bundeswehr angepassten Grundausbildung arbeitet Ariane Knechtel als zivile Beamte. Uniform trägt sie nur bei Auslandseinsätzen oder im Inland bei der militärischen Ausbildung. Typische Arbeitstage gibt es nicht. „Das kommt meinem Bedürfnis nach einem abwechslungsreichen Berufsalltag entgegen“, schmunzelt sie und vergleicht: „Es ist wie bei einem Allgemeinmediziner: Er muss in allen Bereichen der Medizin Wissen und auch Methodenkompetenz besitzen, aber kein Spezialist in einem Bereich sein. Bei schwerwiegenderen gesundheitlichen Problemen stellt er Kontakt zu Spezialisten her. So ist es bei uns Truppenpsychologen auch.“
Sie berät Soldaten und Angehörige zu Stressbewältigung oder bei Beziehungsproblemen. Sie unterrichtet und sie ist bei diversen Besprechungen dabei. Psychologische Krisenintervention in Zusammenarbeit mit eigens hierfür geschulten Soldaten gehört ebenso zum Spektrum wie Befragungen zur Verbesserung der Arbeitszufriedenheit, Bürotätigkeit und Organisation. Dienstsport auch. Körperliche Fitness ist ein Muss – für Ariane Knechtel überhaupt kein Problem. Seit ihrer Jugend betreibt sie Taekwondo. Zum Ausgleich praktiziert sie Bogenschießen und Yoga. Zur Arbeit und generell fährt sie mit dem Fahrrad, sie schwimmt, läuft und spielt Ballsportarten. „Ein guter Breitensportler mit Ausnahme von Wintersport“, fasst sie ihre sportlichen Aktivitäten zusammen.
Zweimal war Ariane Knechtel bisher in Auslandseinsätzen als Teil internationaler Missionen der Bundeswehr tätig: 2017 im Kosovo (KFOR) und 2019 in Mali (MINUSMA), jeweils vier Monate. Im Gegensatz zum Inland trägt sie dort Uniform und besitzt den Dienstgrad Major (Dienstgrade werden nicht gegendert). Ihre Aufgaben unterschieden sich wenig von denen im Inland. „Wie ein Spiegel des Lebens: Konflikte mit Kameraden oder Vorgesetzten, Beziehungsprobleme, tägliche Briefings mit der Einsatzleitung, Schulungen zum Umgang mit Stress.“ Dennoch hatte sie teilweise ein mulmiges Gefühl: „Es gibt nicht nur Gefechte und Sprengfallen, sondern auch giftige Schlangen und Skorpione, das Wetter mit Temperaturen von 40 bis 50° wie in Mali ist gewöhnungsbedürftig.“ Und anders als im Inland hatte sie die ganze Zeit eine Waffe dabei. „Eine Grundvorsicht ist angebracht“, sagt sie, „aber der Mensch ist nicht für eine dauerhaft starke Angst gemacht. Es ist bemerkenswert, was man mit der Zeit alles lernt auszuhalten.“
Insgesamt hält sie die Auslandseinätze für eine bereichernde Erfahrung, die ihr in der Truppe auch mehr Akzeptanz gebracht haben. Nur etwa vier Prozent der nach Mali entsendeten deutschen Einsatzkräfte sind Frauen. Im Inland sind zwölf Prozent der Soldaten und 38 Prozent der Zivilbeschäftigten weiblich.
Der Mensch ist nicht für eine dauerhaft starke Angst gemacht. Es ist bemerkenswert, was man mit der Zeit alles lernt auszuhalten. (Zitat Ariane Knechtel)
Die mit der Corona-Pandemie verbundenen Einschränkungen sind für Ariane Knechtel kein Grund zum Klagen: „Man muss sich nur mal die Lebensbereiche der Einsatzländer anschauen, die fast alle schlechter sind als in Deutschland: Bildung, Medizin, Infrastruktur. Aber die Einheimischen sind nicht viel unglücklicher.“ Auch bei Auslandsmissionen ist die Freiheit eingeschränkt. „Da kann man nicht hingehen, wohin man will, es gibt keine Bars, Hobbys sind kaum möglich.“ Im Feldlager herrsche immer Trubel, „man teilt sich ein Bad, liegt zu zweit oder zu dritt auf Stube.“ Für die familiär noch ungebundene Frau war der Auslandseinsatz mit weniger Hürden verbunden als für Kameraden mit Kindern. Wieder zu Hause, bemerkte die Diplom-Psychologin „wie still Stille ist“ und „wie gut man es in der Heimat hat.“
Diese Dankbarkeit drückte sie auch konkret aus und spendete für den Corona-Nothilfefonds für Studierende der TUD. Große Worte mag sie darüber nicht verlieren. Mittlerweile ist sie mit Anfang 30 Beamtin auf Lebenszeit und vor einiger Zeit befördert worden. „Mir sind Schicksalsschläge im Leben bisher erspart geblieben und ich möchte etwas zurückgeben“, sagt sie. Wenn einer/einem angehenden Psychologen so ermöglicht würde, das Studium planmäßig abzuschließen, freut sie sich.
Zwei Dinge wünscht sich die Truppenpsychologin: „In der Betreuung an PTBS erkrankter Soldaten hat sich die Bundeswehr in den letzten Jahren deutlich verbessert. Allerdings gibt es nicht nur posttraumatische Belastungsstörungen bei Soldaten, sondern beispielsweise auch Angststörungen oder Depressionen. Es wäre gut, wenn die Diskussion darüber und die öffentliche Wahrnehmung ins Gleichgewicht kämen.“ Und ganz allgemein: „Dank unserer Lebensumstände können wir in Deutschland zu den glücklichsten Menschen gehören. Schade ist, wenn wir uns nur auf das wenige Negative konzentrieren und darüber die vielen positiven Aspekte vollkommen aus den Augen verlieren.“
Kontakt:
Ariane Knechtel
E-Mail