„Kind der Uni“ mit viel Lust auf Forschung
(porträtiert im Jahr 2022)
Dagmar Möbius
Weil sie ein eigenes Hotel leiten wollte, begann sie 1998 ein Studium der Verkehrswirtschaft an der TU Dresden. Im Grundstudium änderte sich ihr Fokus. Heute hat Angela Francke eine von bundesweit sieben Professuren für Radverkehr an der Universität Kassel inne.
Wann sie selbst ihr erstes Fahrrad geschenkt bekam, hatte die gebürtige Dresdnerin noch niemand gefragt. Dabei gibt sie regelmäßig Interviews und ist eine gefragte und bestens vernetzte Expertin für Mobilitätsverhalten und Radverkehr. „Irgendwann im Grundschulalter“, mutmaßt die 42-Jährige. Ihr heutiges Spezial- und Forschungsgebiet stand zu Beginn ihrer Ausbildung noch nicht fest.
Faible für psychologische Zusammenhänge im Verkehr
„Nach dem Abitur verbrachte ich ein Jahr in Großbritannien. Dort lockte mich die Idee, später ein eigenes Hotel zu leiten“, erzählt Angela Francke. Ab 1998 studierte sie deshalb in ihrer Heimatstadt Verkehrswirtschaft mit der Vertiefung Verkehrspsychologie, Tourismuswirtschaft, Logistik und Marketing. „Nach einem Praktikum im Hotel während des Grundstudiums kam ich aber schnell von dem ursprünglichen Plan ab“, lacht sie. Verkehrsbetriebslehre und Logistik faszinierten sie mehr. Die Verkehrspsychologie sowieso. Wie beeinflusst Verkehrsplanung das Mobilitätsverhalten von Menschen? Warum fahren manche auf dem Fußweg, obwohl auf der Straße ein Radweg markiert ist? Auf welchen Strecken ist wer wie unterwegs? Wer lässt sich von Wind und Wetter beeinflussen? Fragen wie diese lassen Angela Francke seit ihrem Diplom 2004 nicht los. Der Umwelt- und Klimaschutz ist dabei ihre größte Motivation.
Vier Radfahrer-Typen identifiziert
Als wissenschaftliche Mitarbeiterin forschte sie weiter an der an der TUD-Professur für Verkehrspsychologie – zum ganzjährigen Fahrradfahren, zu infrastrukturellen Lösungen zur Förderung nachhaltiger Mobilität oder zum Mobilitätsverhalten während der Corona-Pandemie. Zudem hat sie mit ihren Kolleginnen aus 10.000 teilnehmenden Personen die deutschen Radfahrerinnen und Radfahrer typologisiert und vier Typen identifiziert: passioniert, funktional, ambitioniert, pragmatisch. Diese Einteilung ist kein nice-to-have, sondern hat einen ernsten Hintergrund. „Fahrräder sind umweltfreundliche Verkehrsmittel. Wir wollen und müssen etwas am Mobilitätsverhalten ändern und eine Infrastruktur anbieten, die alle Gruppen anspricht, auch Anfängerinnen und Anfänger. Es ist mir wichtig, dass wir global denken“, sagt die Verkehrswissenschaftlerin.
Vier Jahre lang wurde ihre Forschungsarbeit von der Heinrich-Böll-Stiftung gefördert. 2019 verteidigte sie ihre von den Professoren Bernhard Schlag und Udo Becker betreute Promotion zum Thema „Analyse differenzierter Preissysteme im Stadtverkehr - Anforderungen an eine nutzerfreundliche Gestaltung zur Förderung eines umweltfreundlichen Mobilitätsverhaltens“. Ihre Doktorarbeit wurde u. a. mit dem Karl Vossloh Innovationspreis 2020 für die beste Promotion in der Mobilitätsforschung ausgezeichnet. „Ich bin ein Kind der Uni Dresden mit großer Lust auf Forschung“, sagt sie.
Weltweite Forschung und deutscher Lernbedarf
Die Liste ihrer Forschungsaktivitäten ist lang. Einige Beispiele: In der Ukraine initiierte sie eine Erasmuspartnerschaft, die dem Austausch und dem gemeinsamen Lernen dient. In einem Projekt mit Geflüchteten aus Syrien, Russland und der Türkei untersuchte sie, was die Menschen für Mobilitätsbedürfnisse und Einstellungen haben. „Es wird in Deutschland nicht unabdingbar ein Auto benötigt“, sagt Angela Francke, die sich selbst „mehr als Radfahrerin und im Auto eher als Mitfahrerin“, beschreibt. Dabei ging es auch um soziale Teilhabe und darum, den Bewegungsradius zu erhöhen.
Auch in Ostafrika, konkret in Äthiopien, Uganda und Nairobi, geht es um Möglichkeiten der Zusammenarbeit lokaler Akteure zur Förderung von Rad- und Fußverkehr. „Bezüglich Digitalisierung können wir von diesen Ländern viel lernen“, sagt die Nahverkehrsexpertin. Neben ihrer Stelle bei der Verkehrspsychologie war sie als Koordinatorin am Centre for International Postgraduate Studies of Environmental Management (CIPSEM) der TU Dresden beschäftigt. Dort war sie zum einen für das internationale Klimaschutzstipendienprogramm verantwortlich, sowie zum anderen im UNEP/UNESCO/BMU Postgraduate Training Programm für Weiterbildungen im Bereich nachhaltiger Mobilität für Entwicklungsländer eingesetzt.
Perspektivwechsel und Lebensentscheidung
Im März 2021 wurde Angela Francke als Professorin für Radverkehr an die Hochschule Karlsruhe berufen. Im Oktober 2021 folgte sie dem Ruf an die Universität Kassel und leitet dort das Fachgebiet für Radverkehr und Nahmobilität, einer neu eingerichteten und vom Verkehrsministerium geförderten Stiftungsprofessur.
Sie erzählt begeistert vom Aufbau ihres Lehrstuhls: „Ich suche Mitarbeitende aus und es macht Spaß, eigene Schwerpunkte setzen und Lehrformate ausprobieren zu können.“ Eine Handreichung für Kommunen beispielsweise will sie wieder in die Lehre überführen. Warum? „Über viel Jahre war die Ausbildung vor allem auf den PKW fokussiert.“ Dabei ist Professorin Angela Francke keine vehemente Autogegnerin. Im Gegenteil. Sie sagt: „Es ist wichtig, alle Verkehrsmittel zu kennen und aber auch allen einen Zugang zu umweltfreundlicher und sicherer Mobilität zu ermöglichen.“ Dennoch gehe es darum, den weltweiten motorisierten Individualverkehr zu reduzieren. „Es muss umweltfreundliche Alternativen geben, die komfortabel und sicher sind, und wir sollten mehr alle Verkehrsmittel gemeinsam denken“, sagt sie.
Gesteigertes öffentliches Interesse
Täglich erhält Professorin Angela Francke viele Anfragen aus der Öffentlichkeit und von Medien. Sie findet das gut. „Fahrräder bieten viele Vorteile. In jedem Haushalt befindet sich durchschnittlich mindestens ein Exemplar. Meist kann man schnell losfahren, es ist platzsparend und die Zeit lässt sich sehr gut einschätzen.“ In Dresden brauchte sie mit dem Rad zwölf Minuten von zu Hause bis zu ihrem Schreibtisch. „Das war und ist oft nicht nur schneller als andere Verkehrsmittel, sondern auch gesünder, hält fitter und man kann im Kopf abschalten.“
Netzwerk und Chancen für Alumni
Die Expertinnen und Experten ihres Fachgebietes bilden „ein unterstützendes Netzwerk in Deutschland“. Unter anderem führen sie ein gemeinsames Doktorandenseminar durch und forschen zusammen. Zur TU Dresden hat sie nach wie vor engen Kontakt. Im November 2021 startete beispielsweise ein gemeinsames mFUND-Forschungsprojekt zu Schlüsselfaktoren der Mobilitätstransformation MOTUS. Auch über Bewerbungen von Alumni der Fakultät Verkehrswissenschaften „Friedrich List“ freut sie sich: „Insbesondere Verkehrsingenieurinnen und Verkehrsingenieuren kann ich eine gute Basis für die weitere wissenschaftliche Qualifikation und Forschung in diesem spannenden und aktuellen Themenfeld anbieten.“
Kontakt:
Prof. Angela Francke
Fachgebiet für Radverkehr und Nahmobilität / Cycling and Sustainable Mobility
Universität Kassel
Mönchebergstraße 7
34125 Kassel
Tel: +49 (0)561 804-7703
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