Psychologin via Ausschlussverfahren
(porträtiert im Jahr 2011)
Dagmar Möbius
Grit Reimann entschied sich spät, zu studieren. Mit 23 hatte sie zwei Kinder, einen Mann und berufliche Erfahrungen bei der Post. Das Psychologie-Studium wählte sie „im Ausschlussverfahren". Heute ist die promovierte Diplom-Psychologin nicht nur als Sportpsychologin bundesweit gefragt.
„Ich wusste zwar, dass es Herrn Freud gab, aber ich hatte nie etwas von ihm gelesen." Grit Reimann wundert sich fast selbst ein bisschen über ihren ungewöhnlichen Studieneinstieg. Nach dem Abitur jobbte die gebürtige Pirnaerin zunächst. Ein Vierteljahr später kam ihr erstes Kind zu Welt. Sie heiratete. Arbeitete ein Jahr bei der Post. Bis Kind Nummer zwei geboren wurde. Mitten in der Wendezeit. „Ich wusste lange nicht, was ich werden wollte, und habe mich sehr spät entschieden zu studieren", erzählt sie. Die Entscheidung für das Fach Psychologie schreibt sie dem Zufall zu.
Inzwischen in Dresden wohnhaft, erkundigte sich die damals 23-Jährige, was sie an der TU Dresden (TUD) studieren könnte. „Dann strich ich aus dem Vorlesungsverzeichnis heraus, was ich nicht wollte." Psychologie und Sozialpädagogik blieben übrig. Sie muss lachen, wenn sie daran zurück denkt. „Psychologie war bis dahin nichts, was mich beschäftigt hatte." Ziemlich unbedarft sei sie 1992 an ihr Studium herangegangen. Ein Vorteil, findet sie und entwickelte einen großen Ehrgeiz, alles wissen zu wollen, was das naturwissenschaftlich ausgelegte Grundstudium bot. Das Lernen fiel ihr nicht schwer. Doch ohne die Unterstützung von Mann und Großeltern wäre ein erfolgreiches Studium für sie kaum möglich gewesen, würdigt sie diese. An die Studienzeit denkt sie gern zurück. Nur 80 Studenten im Jahrgang. Ein angenehmes, fast familiäres Verhältnis zwischen Studenten und Professoren. Von der stark methodenlastigen und der klinischen Ausbildung profitiere sie heute noch. Zwar waren in den 1990er-Jahren viele Professorenstellen noch nicht besetzt, doch Grit Reimann erinnert sich gern an Hochschullehrer, die sie geprägt haben. Erwin Gniza, Professor für Persönlichkeitspsychologie, hat sie als „Urgestein der Psychologie" nachhaltig beeindruckt. Auch Professor Winfried Hacker schätzt sie bis heute als „wissenschaftliche Koryphäe der Arbeits- und Organisationspsychologie". Beim Professor für Pädagogische Psychologie, Hermann Körndle, schrieb sie ihre Diplomarbeit. „Er ließ mich frei laufen und förderte mich, schaffte mir auch den Zugang zur Sportpsychologie", sagt die selbst bis 2005 aktive Turnerin. Ihre in Dresden begonnene Promotion zum Thema „Entwicklung und Evaluation interaktiver Lernaufgaben einer computergestützten Lernumgebung" beendete Dr. Grit Reimann 2007 zwar an der TU Chemnitz, doch mit der TU Dresden (TUD) ist sie nach wie vor verbunden und gibt Seminare in der Lehramtsausbildung.
In welche Richtung sie sich entwickeln würde, wusste sie allerdings lange nicht. Kinder- und Jugendpsychotherapie interessierte sie, doch nach einer Absolventen-Informationsveranstaltung wählte sie die therapeutische Richtung erst einmal ab. „Das ist spannend", schmunzelt sie, „weil ich heute doch im therapeutischen Bereich mit Kindern arbeite, aber im Sportbereich." Nach einer Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur Psychologie des Lehrens und Lernens der TUD arbeitet sie seit 2004 freiberuflich in eigener Privatpraxis, zunächst in Freital, seit 2005 in Dresden. An der Sporthochschule Köln bildete sie sich in Sportpsychologie im Leistungssport weiter, ist anerkannte Entspannungstrainerin für diverse Verfahren, hat eine Weiterbildung für Systemische Familientherapie absolviert und lernt schon wieder – gegenwärtig Hypnotherapie.
Dabei ist Grit Reimanns Terminkalender ohnehin gut gefüllt. Regelmäßige Arbeitstage kennt sie nicht. Freie Wochenenden sind selten. Zehn Stunden pro Woche trainiert die 41-Jährige den Pirnaer Turner-Nachwuchs: „Das ist Hobby, Ausgleich und Freizeit in einem für mich." Im Olympiastützpunkt Halle betreut sie regelmäßig Nachwuchskader – Kunstturner und Wasserspringer zurzeit. Bis vor drei Jahren war sie mit der Nationalmannschaft der Wasserspringer unterwegs. Auch Triathleten, Kraftsportler, Billard- und Tennisspieler, Schwimmer, Springreiter, Fußballer und Biathleten coachte sie bereits. Gemeinsam mit acht Kollegen engagiert sie sich als einzige Sächsin im bundesweiten Netzwerk Sportpsychologie.
In ihre Praxis in Dresden kommen Klienten aus verschiedensten Gründen. Musiker zur Stressprophylaxe. Sportler vom Freizeit- bis zum TOP-Kader-Bereich zum Mentaltraining. Menschen, die Entspannung lernen oder ein bestimmtes Problem überwinden wollen. „Psychologen empfiehlt man eigentlich nicht", wundert sie sich ein bisschen über den anhaltenden Zustrom, „viele fürchten, sich zu offenbaren." Vermutlich wird ihre Arbeit doch oft weiterempfohlen, denn Dr. Grit Reimann wird auch für Gesundheitscoachings in Unternehmen in Wolfsburg oder Braunschweig gebucht.
Ihr großes Pensum fordere sie, gut auf sich aufzupassen. Wie das gelingt, hat sie gelernt. Sie hält sich im Kalender konsequent Blöcke frei. Mit ihrem ehemaligen Kommilitonen Dr. Frank Pietzcker hat sie übrigens die Partnerschaftsgesellschaft Dresdner Arbeitspsychologen gegründet.
Auch wenn Dr. Grit Reimann durch Zufall Psychologin wurde, sagt sie: „Alles, was ich in meinem Leben gemacht habe, hat mich ein Stück vorangebracht – ich konnte immer etwas mitnehmen."
Kontaktdaten:
Dr. rer. nat. Grit Reimann
Praxis für Angewandte Psychologie
und Mentales Training
Heinrichstraße 8
01097 Dresden
Tel.: (0351) 64 64 25 60 oder
(0351) 64 63 946
E-Mail: Grit Reimann
Web: Psychologie Reimann