Strategie-Ingenieur bei der Formel 1
(porträtiert im Jahr 2021)
Dagmar Möbius
Florian Fiedler verhilft als Strategie-Ingenieur Formel-1-Piloten aufs Siegertreppchen. Als Kind schraubte er gern in Opas Werkstatt. „Normale Autos“ fand er nach einem Praktikum nicht mehr ganz so spannend, Rennwagen dafür umso mehr. Über typische Arbeitstage, Simulationen aus dem Homeoffice und alternative Berufsperspektiven sprach der diplomierte Maschinenbauer mit „Kontakt-online“.
Beruflich „irgendwas mit Autos“ strebte der in einem Dorf bei Paderborn aufgewachsene Florian Fiedler an. „Das war klar, seit ich stehen konnte“, lacht er.
Reifenwechsel, Uhreninstandsetzungen und „Reparaturen an allem, was etwas macht“, waren in Opas Werkstatt normal. „Wir haben viel gebastelt, es wurde nichts weggeworfen, ich kannte das nicht anders“, erinnert er sich. Mit 14 Jahren fuhr er zum ersten Mal selbst Auto. „Auf abgelegenen Wegen natürlich“, lacht er.
Bei der Studienortwahl hatte Florian Fiedler die „Autoeliten“ im Blick und begann im Oktober 2012 an der Universität Stuttgart Maschinenbau zu studieren. „An Ostdeutschland habe ich gar nicht gedacht.“ Bis er mit seiner damaligen Freundin, einer gebürtigen Dresdnerin, Elbflorenz besuchte. „Die Stadt hat mir sofort gefallen, nach zehn Minuten stand der Umzug fest.“ Florian Fiedler setzte sein Studium mit der Vertiefungsrichtung Automobiltechnik ab dem dritten Semester an der TU Dresden fort. „Eine liebenswerte Stadt und eine exzellente Universität“, fasst der 28-Jährige zusammen.
Mit 22 Jahren bekam Florian Fiedler unerwartet die Zusage für ein Praktikum bei der Porsche AG. „Ich dachte, so mit 40 darf ich dort vielleicht die heiligen Hallen betreten und habe mich beworben“, blickt er zurück. Ein halbes Jahr lang beschäftigte er sich unter anderem mit Emissionstests für Hybridwagen. Und stellte fest: „Normale Autos finde ich gar nicht mehr sooo interessant.“ Die Erkenntnis führte ihn im achten Semester zum studentischen Verein Elbflorace. „Leider sehr spät, aber ich wollte schon viel wissen, um nützlich zu sein. Doch es wäre auch anders gegangen“, resümiert er heute. Mit seinen Erfahrungen gehörte er schnell zu den „etablierten Experten“ und war in größere Entscheidungen des Formula Student Teams eingebunden.
30 Stunden pro Woche, in Spitzenzeiten 60 bis 70 Stunden, investierte Florian Fiedler als Leiter des Moduls Performance. „Praktisch jede freie Minute“ verbrachte er in der Werkstatt in Dresden-Nickern. Wie schnell kann eine Runde gefahren werden? In Simulationen testete er Parameter wie Reifendruck, Gewicht und Leistung für die Rennwagen und trainierte die Fahrer. Bei vier, fünf Rennen pro Jahr quer durch Europa war er dabei. Auf zwei erste Plätze in Spanien in der Formula Student ist er besonders stolz, nicht nur, weil die Formel 1 die gleiche Strecke fährt. „Es hat Spaß gemacht in den kleinen, sehr motivierten und unbürokratisch arbeitenden Motorsport-Teams. Für mich war die Zeit bei Elbflorace die beste Berufsvorbereitung.“ Seine Diplomarbeit schrieb Florian Fiedler im Umfeld autonomes Fahren bei der Porsche AG. Mit anderen Worten: Er befasste sich damit, wie man einem Elektroauto das selbstständige Fahren im Straßenverkehr beibringt. Währenddessen ergatterte er einen Platz im Trainee-Programm von Red Bull Racing. „So landete ich direkt nach dem Studium 2018 als Strategieingenieur in Bologna/Italien, bei der Scuderia Toro Rosso (nun Alpha Tauri).“
Nach einem Jahr dort entschloss sich der Kraftfahrzeugtechniker zu einem beruflichen Schnitt und startete zu einer Rucksackreise. Gelandet ist er auf einer winzigen Insel vor Borneo. Dort unterstützte er ein halbes Jahr die Nichtregierungsorganisation Tropical Research And Conservation Centre, baute geschädigte Korallenriffe wieder mit auf.
Schneller als andere Leute zu sein, fasziniert Florian Fiedler nach wie vor. Mehr als zu tüfteln, „wie man vier Cent beim nächsten Außenspiegel sparen kann“, schmunzelt er. Die Formel 1 lockte ihn zurück nach Europa. Seit anderthalb Jahren ist er als Strategie-Ingenieur bei Alfa Romeo Racing in der Schweiz tätig - seines Wissens der erste Alumnus der TU Dresden. In Corona-Zeiten arbeitet auch er viel vom Homeoffice aus. Der heißt im Motorsport Remote Operation Room. Bedeutet, die Fahrer können in Brasilien sein, er in der Schweiz. Typische Arbeitstage gibt es nicht. Etwa zehn Tage vor dem nächsten Renntag beginnen die Vorbereitungen. Wie wird das Wetter sein? Welches Reifenverhalten ist zu erwarten? Was ist beim Motor zu beachten? Alle Berechnungen und Simulationen finden am Laptop statt. „Es ist wie ein Spiel zwischen Poker und Schach, sonntags werden die Karten auf den Tisch gelegt.“
An einigen Wochenenden pro Jahr ist Florian Fiedler mit an der Rennstrecke, wie kürzlich in Spielberg/Österreich bzw. Silverstone/Großbritannien. „Wir sind die, die die Leute über Funk anschreien, die Reifen zu wechseln“, erklärt er. In seinem Fall beispielsweise, damit Kimi Raikkönen oder Antonio Giovinazzi vordere Plätze belegen. Strategie-Ingenieure bestimmen den Rennausgang mit. „Die Formel 1-Fahrer müssen uns vertrauen, wenn sie mit 350 km/h um die Kurve fahren“, sagt er. Ging eine Warnlampe an, dachte er – anstatt Panik zu bekommen – schon manchmal an TUD-Vorlesungen mit Professor Stefan Odenbach (Professur für Magnetofluiddynamik, Mess- und Automatisierungstechnik). „Er hat uns beigebracht, wann man Messwerten vertrauen soll und wann nicht.“
Florian Fiedler ist mit seinem Beruf im Motorsport glücklich. Obwohl schnelle Autos sein Herz höherschlagen lassen, fährt er privat Fahrrad. Er läuft und hat an Triathlons teilgenommen. Seit der Kindheit tanzt er und organisiert Folk Dance-Festivals mit. Er spielt Gitarre und Trompete und singt in einer Band. Nachhaltigkeit ist ein Thema, das den Freizeittaucher bewegt. Nicht erst seit Borneo. Sollte irgendwann ein Jobwechsel anstehen, könnte er sich für Meeresbiologie begeistern. „Es muss nicht immer schneller, höher, weiter gehen“, sagt er. Im Moment aber schon gerne noch eine Weile.
Kontakt:
Florian Fiedler
Strategy Engineer
Sauber Motorsport AG
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