Vom App-Entwickler zum Teach First Deutschland Fellow
(porträtiert im Jahr 2018)
Dagmar Möbius
Bis vor wenigen Monaten programmierte Michael Schiefer Software für Energietechnik. Der 36-jährige Diplom-Ingenieur für Maschinenbau war gut in seinem Job, doch manchmal fehlte ihm der tiefere Sinn seiner Arbeit. Eine Geburtstagskarte seiner Mutter änderte alles.
Abitur, Bundeswehr, Studium. „Alles ganz unspektakulär“, findet der gebürtige Freiberger, der in Dresden aufgewachsen ist. Von 2001 bis 2007 studierte Michael Schiefer an der TU Dresden
Maschinenbau mit Vertiefungsrichtung Energietechnik. „Mathe und Physik haben mir in der Schule mit am meisten Spaß gemacht“, blickt er zurück. Hinzu kam sein Interesse für technische Geräte und Funktionsabläufe. Der Studiengang hatte einen guten Ruf und versprach gute Aussichten auf dem Arbeitsmarkt.
Der bodenständige junge Mann schätzt seine erworbenen Kenntnisse aus verschiedenen Fachbereichen wie Thermodynamik, Wärmeübertragung oder Kälte- und Klimatechnik „als hilfreich und eine gute Basis für meine fachliche Arbeit“. An anschauliche Vorlesungen von Professor Karl-Heinz Modler im Fach Gestaltungslehre oder von Professor Gustav Zouhar (†) in Werkstofftechnik erinnert er sich gern: „Ich habe viel daraus mitgenommen, vor allem die Begeisterung für das Fach.“ Weniger erbaulich fand Michael Schiefer wörtlich genommene Vorlesungen. „Lehrveranstaltungen, in denen Scripte vorgelesen werden, begeistern sicher die wenigsten“, lacht er. Auch das Vorrechnen in der Strömungslehre gehört nicht zu seinen liebsten Erinnerungen. Im Studium zu kurz gekommene Kenntnisse in Informatik, Programmierung, Projektmanagement oder Teamarbeit baute er im Beruf aus. Zunächst arbeitete er in einem Kälte-Klima-Anlagenbetrieb, anschließend neun Jahre als Entwicklungs- und Applikationsingenieur Energietechnik in der Softwareentwicklung. Die Arbeit machte ihm Freude. Und dennoch dachte Michael Schiefer ab und zu über den tieferen Sinn nach. „Die Kunden verwenden die Software zwar für ihre Projekte, aber mir fehlt der direkte Bezug zum Ergebnis.“
Praktische Erfahrungen mit Kindern und Jugendlichen hatte er über viele Jahre in ehrenamtlicher Gemeindefreizeitarbeit gesammelt. Ferienlager, Spiele, Kochen, Wandern. Sollte er einen Quereinstieg als Lehrer wagen?
Eine Geburtstagskarte seiner Mutter änderte alles. „Die Suche nach Teach First Fellows, die an einem Leadership Programm teilnehmen wollen, interessierte mich sofort“, erzählt Michael Schiefer. Das Büro Sachsen der 2008 gegründeten und in mehreren Bundesländern bereits etablierten gemeinnützigen Organisation wurde Anfang 2018 eröffnet. „Fellows arbeiten für zwei Jahre an Schulen in sozialen Brennpunkten und fördern Schülerinnen und Schüler im Unterricht und bei außerschulischen Projekten“, erklärt Tino Franzke, zuständig für Personalauswahl und Hochschulmarketing bei Teach First Deutschland in Sachsen. „Bewerber wie Michael Schiefer sind für uns besonders wertvoll. Er hat einen MINT-Abschluss und Berufs- und Lebenserfahrung“, begründet der Psychologe, der seinen Master-Abschluss in Klinischer Psychologie und Psychotherapie 2017 ebenfalls an der TU Dresden erwarb und nach einem Berufscoaching zu seiner jetzigen Berufung fand.
Für Michael Schiefer begann ein „größeres Abenteuer bei einem nicht so aufregenden Lebenslauf“ im Juni 2018. Drei Monate lang bereitet er sich auf seinen Schuleinsatz vor. Aktuell absolviert er eine vierwöchige Sommerakademie in Oberhof, gemeinsam mit 90 künftigen Fellow aus dem ganzen Bundesgebiet, davon 19 aus Sachsen. Theorie und pädagogisches Handwerkszeug werden vermittelt. Hinzu kommen viele Kleinübungen in Gruppenarbeit. Damit verbunden sind Aha-Effekte. „Ich habe pädagogisch bei Null angefangen““, sagt der Maschinenbau-Ingenieur. „Jetzt habe ich einen Plan, weiß, wie ich Ziele setze, wie ich mit Kindern und Jugendlichen umgehe. Meine persönliche Lernkurve ist wirklich hoch.“ Trotzdem fühlte er sich in Rollenspielen noch unsicher. Seine Teammitglieder spürten davon nichts. „Sie sagten, ich trete souverän auf. Das beruhigt mich“, so der Teach First Fellow. Zusätzlich absolviert er derzeit eine Erlebnispädagogik-Ausbildung.
Ab dem beginnenden Schuljahr 2018/19 wird Michael Schiefer für zwei Jahre an einer Dresdner Grundschule eingesetzt sein, voraussichtlich im Stadtteil Johannstadt. Im Unterschied zu einem „richtigen“ Lehrer wird er keine Noten geben, sondern ergänzenden Unterricht in kleinen Gruppen anbieten. Vielleicht Arbeitsgemeinschaften leiten oder Projekte in bestimmten Fächern initiieren. „Eine Musik-AG werde ich wohl nicht gründen“, blickt er schmunzelnd voraus, aber auf technischem Gebiet sei vieles denkbar. Was nach seinem Einsatz folgt, will er heute noch nicht entscheiden. „Vielleicht bleibe ich im pädagogischen Bereich, vielleicht gehe ich auch wieder zurück in die Industrie.“ Auf jeden Fall freut sich Michael Schiefer auf seine neue Aufgabe: „Es ist ein spannendes Projekt, bei dem wir viel bewirken können. Besonders bei Schülern, die sonst durch das Raster fallen würden. Ich bin behütet aufgewachsen und möchte jetzt etwas zurückgeben.“
Die Fellows werden in sächsischen Grundschulen und Oberschulen in und bei Dresden und Chemnitz – ab dem kommenden Schuljahr im gesamten Land Sachsen – eingesetzt. Sie unterstützen Schülerinnen und Schüler bei Übergängen im Bildungssystem. Hauptziele sind bestmögliche Schulabschlüsse und die Vermeidung von Schulabbrüchen. Das sächsische Kultusministerium finanziert den Einsatz der Fellows. Diese werden bei Teach First Deutschland angestellt und beziehen ein Jahresgehalt von mindestens 22.200 Euro brutto. Das zweijährige Leadership Programm beinhaltet außerdem ca. 600 Stunden Fortbildungen, Workshops, Trainings und Coachings im Wert von 30.000 Euro.
Kontakt:
Michael Schiefer
Teach First Fellow Sachsen
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Tino Franzke
Referent für Recruiting und Hochschulmarketing
Teach First Deutschland | Büro Sachsen
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