Vom Au-Pair ins Silicon Valley
Dagmar Möbius
Dr. Jeannet-Susann Kießling hat ihre Doktorarbeit an der TU Dresden geschrieben. Die Umstände waren besonders. Wie es auch ihr gesamter Werdegang inklusive mehrerer Studien an renommierten Hochschulen ist. Heute arbeitet die Politikwissenschaftlerin als Geschäftsführerin der German American Business Association (GABA) in Kalifornien.
Einen Interviewtermin mit ihr zu finden, war eine Herausforderung. Am President´s Day in den USA klappte die Verabredung mit Dr. phil. Jeannet-Susann Kiessling. „Ich arbeite trotzdem heute“, sagt sie gut gelaunt, um gleich hinzuzufügen: „Und die meisten anderen machen das auch.“ Die Banken sind geschlossen, ansonsten ist Shopping angesagt am amerikanischen Feiertag.
Nach dem Abitur ins Land der Träume – mit Überraschung

Dr. Jeannet-Susann Kießling
1985, direkt nach dem Abi, ging die Heidelbergerin nach Amerika. „Damals war das noch selten, aber ich wollte es unbedingt und sparte jeden Sommer dafür“, erinnert sich Jeannet-Susann Kiessling. „Als meine Eltern merkten, dass ich es ernst meinte, ließen sie mich zu entfernten Bekannten fliegen. Dort war ich ein paar Wochen und suchte mir einen Job als Au pair.“ In den USA gefiel es der jungen Frau – sie beschloss zu bleiben und suchte sich ein Studium. „In meinem jugendlichen Leichtsinn war mir natürlich nicht bekannt, dass man in Amerika für Universitäten zahlen muss“, lacht sie. So musste sie noch eineinhalb Jahre arbeiten. „Ich habe alle möglichen Jobs gemacht, um mir das Studium leisten zu können.“ Erschwinglich war ein Platz an der Temple University in Philadelphia. Jeannet-Susann Kiessling schrieb sich für den Bachelor Politikwissenschaften und Journalistik ein. Aus heutiger Sicht ihrer Meinung nach kein Vergleich mit einem deutschen Bachelor, sondern eher Teil eines High School Diploms.
Eigene Radioshow im Bachelor-Studium
Die Temple University hatte eine der bekanntesten Journalismus-Schulen in den USA. „An der Annenberg School of Journalism konnte man alles sofort machen: Zur eigenen Radiostation gehen, beim Fernsehen arbeiten, Filme drehen, für ein Magazin oder eigene Zeitungen schreiben“, schwärmt sie. Jeannet-Susann Kiessling entschied sich fürs Radio. Dafür musste sie ihren deutschen Akzent abtrainieren. Begründung: „Wenn du in die Wohnzimmer der Menschen willst, musst du so klingen wie die Menschen, die zuhören.“ Es gelang und sie bekam eine eigene Radioshow. 1989, als die Mauer fiel, weilte sie gerade in Deutschland und berichtete per Telefon nach Philadelphia.
Washington, Bologna, Oxford
An der Johns Hopkins Universität absolvierte Jeannet-Susann Kiessling von 1990 bis 1992 ihren Master in Internationale Beziehungen und Sicherheitsstudien. „Die Paul Nitze School of International Studies produziert die Diplomaten für die USA“, erklärt sie. „Auch das österreichische Auswärtige Amt lässt dort sein Personal ausbilden.“ Eins der zwei Studienjahre verbrachte die Studentin in Italien. Viele ihrer früheren Kommiliton:innen sind heute in internationalen Spitzenpositionen tätig.
Erst viel später im Gespräch erwähnt sie in einem Nebensatz, dass sie ein Eisenhower Fellowship bekam – eine besondere Auszeichnung, die nur eine Person in einem Land pro Jahr bekommt. Auch für ihr Studium am St. Anthony’s College der University of Oxford, 1999, wurde ihr ein Stipendium zugesprochen: das Chevening Scholarship der britischen Regierung.
Diverse Positionen in Deutschland
Nach der Rückkehr nach Deutschland hatte Jeannet-Susann Kiessling vor, zu promovieren. „Doch dann wurde ich immer in spannende Jobs hineingezogen und das Vorhaben verschob sich“, schmunzelt sie. Sie war politische Referentin von Verteidigungsminister Volker Rühe, war Vize-Präsidentin der Unternehmenskommunikation bei Bertelsmann, arbeitete als Leiterin der Abteilung Außen- und Sicherheitspolitik der CDU-Bundesgeschäftsstelle und freiberuflich im Marketing. Manche Etappen lassen sich nicht ohne Weiteres auf ein von-bis-Datum verdichten. Für ihre Dissertation ist das so. In einer vom TUD-Professor Reiner Pommerin († 2024) geleiteten Studiengruppe des Verteidigungsministeriums „Nuclear History Program“ bestärkte dieser Jeannet-Susann Kiessling, ihre Doktorarbeit in Angriff zu nehmen. Als Historiker konnte er sie nicht selbst betreuen, vermittelte aber den Kontakt zur späteren Doktormutter Professorin Monika Medick-Krakau († 2011). Erste Konzepte fielen in die Zeit Ende der 1990-er Jahre und Jeannet-Susann Kiessling besuchte Vorlesungen an der TUD.

Abschlussgala des Eisenhower Fellowships in Philadelphia von Dr. Jeannet-Susann Kießling; mit George H. W. Bush, ehemaliger US-Präsident und Adrian Basora, Präsident Eisenhower Fellowships.
Familie, Dissertation aus der Ferne und ein aktuelles Thema
Bis zum Schreibbeginn 2008 bekam Jeannet-Susann Kiessling drei Kinder. Zwischenzeitlich immer die Frage: „Mache ich weiter oder nicht?“ Schließlich stellte sie eine Kinderbetreuung ein und saß täglich von acht bis 12 Uhr am Schreibtisch für ihre Dissertation. „Meine Doktormutter hat mich sehr gut betreut und motiviert. Wir hatten eine gemeinsame Mission, obwohl wir nicht in allen Dingen einer Meinung waren. Das vermisse ich heute manchmal: Dass man unterschiedlicher Meinung ist, aber trotzdem respektvoll zusammenarbeitet. Prof. Medick-Krakau war eine sehr tolerante und weitsichtige Frau. Ohne ihre Unterstützung und ihren konstruktiven Druck hätte ich es vielleicht nicht durchgezogen“, gibt sie zu. Leider starb die Doktormutter noch vor der Verteidigung. Was nun?
Von der Professur wurde Professor Uwe Backes empfohlen. Glücklicherweise übernahm er die Betreuung der halbfertigen Dissertation. 2012 konnte die Politikwissenschaftlerin verteidigen. Ihr Thema, damals nicht unbedingt ein TOP-Thema, ist heute sehr aktuell. „Es ging um die Einbindung Deutschlands in die europäischen und die amerikanischen militärischen Sicherheitsstrukturen“, fasst die Autorin zusammen.
Herzensverein
2010 wohnte Dr. Jeannet-Susann Kiessling mit ihrer Familie in Wien. Durch eine Fernsehreportage wurde sie auf „kleine herzen“ aufmerksam. Der Verein kümmert sich um Straßenkinder, unter anderem in der Ukraine. „Die Ukraine war damals für viele noch hinter einem unsichtbaren Vorhang. Dieses Land ist so wunderschön, aber es hat in der Geschichte unglaublich gelitten. Ich wollte mich dort engagieren“, begründet sie. Tatsächlich wurde es mehr: Sie stieg in die Vorstandsarbeit ein, gründete nach ihrer Rückkehr nach Deutschland „kleine herzen Deutschland e.V.“ und ist bis heute dessen Vorsitzende. Mit Spendengeldern wurde u.a. ein Familienhaus errichtet, das Waisenkindern das Aufwachsen in familienähnlichen Strukturen ermöglicht.
GABA und noch viel vor
Seit 2016 lebt die Familie wieder in den USA, in Palo Alto (Silicon Valley). Dr. Jeannet-Susann Kiessling engagierte sich neben der Familienarbeit unter anderem mehrere Jahre ehrenamtlich für die Städtepartnerschaft mit Heidelberg. Vor ihrer derzeitigen Position als Geschäftsführerin der German American Business Association (GABA) hatte sie großen Respekt. „Ich wurde von der Vorgängerin, die in den Ruhestand ging, gefragt, ob ich übernehmen möchte und sagte erstmal ab“, berichtet sie. Doch ein Dreivierteljahr später stellte sie bei einem erneuten Treffen fest: „Das passt super. Es ist ein toller Job und genau das, was sehr gut zu mir passt.“ Es ist ein großes Netzwerk. Wir bringen Menschen zusammen. Wir verbinden alle, die im Silicon Valley Business machen wollen. Wir haben auch ein Chapter in Los Angeles. Deutsche Unternehmen haben das Bedürfnis, sich zu vernetzen und ihre Interessen zu diskutieren. Wir helfen, diese Kontakte herzustellen und in diesen Markt einzudringen.“
Dr. Jeannet-Susann Kiessling wünscht sich, dass Alumni sie kontaktieren. Sie sagt: „Ich bin für jeden ansprechbar und wer hier Geschäftsbeziehungen aufbauen möchte, ist im Silicon Valley jederzeit willkommen."
Kontakt:
Dr. Jeannet-Susann Kiessling