Vom Bauingenieur zum literarischen Flaneur
(porträtiert im Jahr 2011)
Dagmar Möbius
Die Berufsberatung vermittelte Jens Wonneberger einst zum Bauingenieurstudium an die TU Dresden TUD). Das schloss er erfolgreich ab und forschte sogar. Doch dann zog es ihn zum Schreiben. Heute ist er ein preisgekrönter Schriftsteller. Gebaut hat er inzwischen trotzdem.
„Lassen Sie mich schnell einen Satz zu Ende tippen und etwas streichen." Es ist zehn Uhr vormittags. Seit drei Stunden sitzt Jens Wonneberger am Schreibtisch. Wie jeden Tag. Vermutlich wird er bis abends arbeiten. Diszipliniert und geduldig. Nicht immer fließt es.
Doch der diplomierte Bauingenieur hat seine Leidenschaft, das Schreiben, längst zum Beruf gemacht. Dabei wusste er bis zum Abitur nicht, was er eigentlich studieren sollte. „Naturwissenschaftlich war ich besser als in musischen Fächern, das interessierte und faszinierte mich", erinnert sich der 50-Jährige. Sport auch. Die Berufsberatung empfahl das Studium Bauingenieurwesen an der TUD. Also zog der in Ohorn aufgewachsene Jens Wonneberger 1980 nach Dresden. Die ersten zwei Jahre wohnte er im Studentenwohnheim auf der Budapester Straße. Eine Baracke mit Sieben- oder Acht-Mann-Zimmern. „Da konnte man im Sommer nur in Badehose gehen und im Winter gefror das Wasser auf dem Tisch", erinnert er sich. Eine Szenenbeschreibung, die aus einem seiner Bücher stammen könnte. An die Studentenzeit erinnert er sich gern. An die theorielastige Ausbildung weniger. „Ich träume manchmal noch von Metallbaubelegen", lacht er. Und meint eher negative Rückblenden. „Als Bauleiter auf eine Baustelle zu gehen, hätte ich mir nicht zugetraut", schätzt er ein. In seiner Diplomarbeit befasste er sich damit, ob sich mittels Ultraschallmessung an eingebauten Holzbalken Rückschlüsse auf die Tragfähigkeit schließen lassen. „Das ließ sich nicht umsetzen", konstatiert er nüchtern. Nach dem Diplom 1985 arbeitete Jens Wonneberger als Forschungsingenieur. Die Aufgabe: ein Betonfertigteilsystem entwickeln, das Holzkonstruktionen ersetzen könnte. Nach wenigen Monaten kündigte er. „Damals galt die Devise ‚Dächer dicht’, dieses Vorhaben aber war unsinnig", begründet er.
Jens Wonneberger, der erst während seiner Armeezeit von einem als Deutschlehrer arbeitenden Kameraden an die Literatur herangeführt worden war, schrieb damals bereits einige Jahre. Um seiner Leidenschaft nachgehen zu können, arbeitete er bis zur Wende als Reinigungskraft in einem Antiquariat, später als Hilfskraft in einer Töpferei. Und er betreute seine beiden, inzwischen erwachsenen, Kinder. Seit 1992 ist er freiberuflicher Autor und veröffentlicht als Redakteur Rezensionen im Stadtmagazin Sax oder in den Dresdner Neuesten Nachrichten. Seit 2002 ist er Präsidiumsmitglied des PEN. Inzwischen hat er sechs Romane, zwei Erzählbände, eine Veröffentlichungsreihe zur Literaturgeschichte und ein Lexikon über Dresdner Schriftsteller veröffentlicht. Die TUD hat in seinen Büchern bisher keine Rolle gespielt. Denkbar wäre das jedoch. Und es gibt Figuren, die Ingenieure sind. In seinem jüngsten Buch „Heimatkunde Dresden", das 2009 erschien, stellt er eine persönliche Sicht auf die Stadt dar. „Meine Ausbildung kommt auch vor", schmunzelt er.
Seine „teils humorvolle und selbstironische, aber auch sehr liebenswerte Weise" von historischen Persönlichkeiten und Kuriositäten Dresdens zu erzählen, wurde im November 2010 mit dem Literaturförderpreis 2010 des Sächsischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst geehrt. „Die hohe Qualität und schnörkellose Kunstfertigkeit seiner realitätsbezogenen Prosa, die sich durch Tiefe und Leichtigkeit zugleich auszeichnet", wurde gewürdigt. Für Jens Wonneberger war dies eine freudige Überraschung, denn zu dem Preis kann man sich im Gegensatz zu mehreren von ihm wahrgenommenen Stipendien im In- und Ausland nicht bewerben.
Zurzeit arbeitet der auch als literarischer Flaneur titulierte Autor an einem neuen Roman. Näheres will er noch nicht verraten. Ein bis zwei Jahre vergehen von Beginn bis Abschluss. „Man hat nicht die Sicherheit, dass was dabei rauskommt", beschreibt er den Schaffensprozess, „alles entwickelt sich während der Arbeit." Parallel dazu entsteht ein Sachbuch über Schriftsteller in Hellerau. Oft fährt Jens Wonneberger in die Universitätsbibliothek. „Das im Studium gelernte Grundhandwerkszeug zum Recherchieren kann man immer nutzen", sagt er. Vorbildschriftsteller hat er einige: „Das wechselt je nach Lebensalter und Thema." Er liest viel. Weil er die Sprache liebt und weil er wissen will, was noch geschrieben wird.
Gebaut hat Jens Wonneberger übrigens doch noch. Mit zwei befreundeten Architekten kaufte er ein ehemals ruinöses Haus in der Dresdner Neustadt und sanierte das Wohnprojekt von 1993 bis 1995 in Eigeninitiative. In dem Kulturdenkmal lebt er bis heute.
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