Vom größten Flugzeughersteller zum eigenen Mode-Start-up
(porträtiert im Jahr 2020)
Dagmar Möbius
Karen Rauschenbach ist ein Sprachtalent. Statt wie geplant Tourismus zu studieren, schwenkte sie nach dem Vordiplom um zur Logistik. 16 Jahre war die Verkehrswirtschafterin als Managerin für Airbus tätig. Ein alter Denim-Anzug ist „schuld“ daran, dass sie 2018 ein nachhaltiges Unternehmen in der Schweiz gründete. Obwohl sie „keine Ahnung von Mode hat“, läuft das internationale Projekt hoffnungsvoll.
Während ihres Highschool-Jahres 1993/94 in St. George (USA) beschloss die gebürtige Leisnigerin, Tourismus zu studieren. „Sprachen fielen mir leicht, fremde Nationen liegen mir, das Reisen faszinierte mich“, fasst die 44-Jährige zusammen. Doch ausgerechnet die internationale Leitmesse der Tourismusbranche brachte den Plan ins Wanken. Muss ich dafür wirklich studieren? Karen Rauschenbach, von 1995 bis 2001 Studentin der Verkehrswirtschaft an der TU Dresden, fokussierte sich fortan auf Logistik. „Damit bin ich so breit aufgestellt, dass ich in jede Firma mit internationalem Umfeld gehen kann. Reisen kann ich dann auch“, dachte sie damals und sie sollte recht behalten.
Neben ihrem Studium arbeitete sie, absolvierte verschiedene Praktika und konnte unterschiedliche Dinge ausprobieren. Auch der mit einem Erasmus-Stipendium ermöglichte einjährige Aufenthalt im spanischen Alicante 1998/99 prägte sie. Ihre Sprachkenntnisse halfen ihr sehr. „Genauso wichtig ist aber auch der Umgang mit unterschiedlichen Mentalitäten und Kulturen“, sagt sie. „Die meisten Projekte, Jobs und spannenden Themen finden im internationalen Umfeld statt und dort werden diese Soft Skills vorausgesetzt.“
Ein Seminar im Rahmen der Vorlesung strategische Unternehmensführung über Allianzen in der Luftfahrt und Gründung der EADS (heute Airbus) stellte schließlich die Weichen. „Ich hatte bis dato nichts mit Luftfahrt zu tun, aber das hat mich sehr fasziniert.“ Ihre Diplomarbeit schrieb Karen Rauschenbach in München über Potenzialanalyse von Supply Chain Management in der Luftfahrt. Betreut wurde sie von Prof. Sebastian Kummer, der heute an der Wirtschaftsuniversität Wien tätig ist.
Direkt nach dem Studium absolvierte sie ein einjähriges Traineeprogramm bei Airbus. Alle drei Monate wechselte sie den Standort: München, Hamburg, Hong Kong, Toulouse. „Es war ein sehr harter Auswahlprozess“, erinnert sie sich. Aber ihr erstes Projekt für den weltweit größten Flugzeughersteller war dann auch gleich ein überregional beachtetes Megatransportprojekt: „Riesige Teile des A380 wurden auf der Elbe von Hamburg nach Dresden verschifft.“
Oft wird Karen Rauschenbach gefragt, wie sie als junge Absolventin zu dieser Aufgabe kam. „Sie haben jemanden gesucht. Ich kannte Dresden und die Mentalität und habe mich beworben.“ Die Erkenntnis „wer nicht fragt, der nicht gewinnt“, gibt sie gern weiter. Nach ihrer Rückkehr nach Dresden für ein knappes Jahr entfernte sie sich beruflich etwas von der Logistik. In den folgenden Jahren managte sie diverse anspruchsvolle internationale Airbus-Projekte von verschiedenen Städten in Deutschland und Frankreich aus. Durchschnittlich alle drei Jahre wechselte sie den Standort. Die im Studium erworbene Mischung aus Betriebswirtschaft, Volkswirtschaft und Technik half ihr stets. Ebenso: „Vernetztes Denken über mehrere Systeme ist etwas, das ich immer gebraucht und dass ich an der TUD gelernt habe.“
Ein Wechsel von Airbus in ein anderes Unternehmen kam für die Luftfahrtmanagerin nie infrage: „Ich konnte mich immer entwickeln wohin ich wollte.“ Etwas für sich selbst zu tun, ihrer Arbeit Sinn zu geben, soziale und Umweltprobleme zu lösen, beschäftigte die Mutter von zwölfjährigen Zwillingsmädchen allerdings eine Weile. „Ich fragte mich, welcher Teil ist Airbus und welcher Teil bin ich“, erzählt sie. Nach 16 Jahren kündigte sie und startete 2017 ein akademisches Sabbatical. An der THNK School Amsterdam und an der Oxford University beschäftigte sie sich mit Design Thinking, sozialem Unternehmertum und kreativer Führung.
Im März 2018 gründete sie The Blue Suit GmbH, ein internationales nachhaltiges Modelabel mit Sitz in Zürich und Amsterdam. Lachend sagt sie: „Ich habe von Mode keine Ahnung.“ Aber die Idee reifte mehrere Jahre und hatte einen wenig spektakulären Ursprung: „Ich trug sehr gern einen Businessanzug aus Denim. Als der alt war, gab es nichts Vergleichbares und ich habe gesagt: Irgendwann mache ich das selbst.“ Den Gedanken nahm sie mit ins akademische Sabbatical und entwickelte ihn bis zur praktischen Umsetzung. In Amsterdam fand sie ihre Geschäftspartnerin, die Designerin Yvonne Vermeulen. Im Zwei-Frau-Start-up muss Karen Rauschenbach viel selbst vorantreiben – im Gegensatz zu früher: „In einer Organisation wird man viel getrieben.“ Den eigenen Rhythmus zu haben und zu entscheiden, mit wem sie arbeitet und Wertvorstellungen zu teilen, schätzt sie sehr. Dennoch gibt sie zu: „Allein hätte ich es nicht gemacht.“ Und: „Wenn ich alleinerziehend wäre, würde es nicht funktionieren.“
Im Herbst 2018 hat The Blue Suit die erste nachhaltige Kollektion herausgebracht. Gefertigt in einem familiengeführten kleinen Unternehmen in Italien. Zehn Geschäfte in der Schweiz und zwei Läden in Holland führen die Kleidungsstücke. Die Corona-Pandemie verschob den für Deutschland geplanten Start. „Wir fokussieren uns aktuell auf Online-Plattformen und kooperieren mit verschiedenen Modeanbietern“, berichtet Karen Rauschenbach. Sie engagiert sich im Vorstand eines Vereins, der junge Modelabels durch Wissensaustausch und gemeinsames Marketing unterstützt. In einem Pop-up-Store mit anderen Designern bündele man beispielsweise Kräfte und Kompetenzen. Zudem unterrichtet die Unternehmerin an der Textilfachschule in Zürich.
„Ich habe nie bereut, was ich gelernt habe. Es ist eine Reise, ich bin optimistisch.“ Ihre Lernkurve der letzten Jahre und ihr persönliches Wachstum beschreibt sie als groß. Sie fragt sich, ob es Alternativen zum gegenwärtigen Wirtschaftssystem gibt, das stets auf Wachstum ausgerichtet ist. Kreislaufwirtschaft und kompostierbare Mode sind Themen, mit denen sie sich beschäftigt. „Man kann nicht dauernd neues Material nehmen und muss Produktion komplett anders denken“, meint sie. Die Sächsin besucht gern ihre Heimat und ist heute stolz auf ihre Herkunft. Über einen Austausch mit ihrer ehemaligen Uni würde sie sich freuen: „Ich möchte gern erfahren, was die TU Dresden zum Thema Doughnut Economy and Circular Economy zu bieten hat. Das fände ich sehr spannend und könnte es mit meiner jetzigen Firma verbinden.“