Zwischen Vogtland und Silicon Valley: Wie Technikvisionär Rainer Gläß die digitale Zukunft gestaltet
(porträtiert im Jahr 2025)
Dagmar Möbius
Rainer Gläß denkt nicht ans Aufhören. Der Unternehmer aus dem sächsischen Vogtland hat mit Kassensoftware den Sprung an die Börse geschafft – heute treibt er in Palo Alto ein neues KI-Start-up voran. Während andere sich mit 66 zur Ruhe setzen, investiert er Millionen – in die Zukunft von Unternehmenssoftware und in die Erneuerung des Fichtelbergs. Eine ostdeutsche Erfolgsgeschichte mit Heimatbezug, Weitblick und unverändertem Gestaltungswillen.

Rainer Gläß ist der Absolvent des Monats Juni 2025. Hier vor der von ihm erworbenen und restaurierten Hempelschen Fabrik in Plauen.
Technik oder Medizin? Diese beiden Optionen hatte Rainer Gläß nach dem Abitur. 1979 begann der 20-Jährige aus dem vogtländischen Schöneck sein Studium für Informationstechnik an der TUD. „Es hat mich inhaltlich interessiert“, sagt er. „Der Studiengang war technisch und damals kaum bekannt.“ Seine Vertiefungsrichtung Psychoakustik ist vor allem Insidern ein Begriff. „Das ging damals in Richtung Spracherkennung. Wie versteht das Gehirn Sprache? Wie wird Sprache codiert? Eine sehr spannende Geschichte“, fasst Rainer Gläß laiengerecht zusammen. Klingt im Rückblick ziemlich der Zeit voraus. „Ja“, bestätigt der Diplomingenieur für Informationstechnik. „Heute haben wir die Spracherkennung in den mobilen Geräten und verstehen die natürliche Sprache, ohne dass sich jemand Gedanken darüber macht, wie kompliziert das eigentlich ist.“
Seminarorientiertes Studium mit Koryphäen
20 Studierende umfasste die Seminargruppe von Rainer Gläß. „Das Studium gestaltete sich im Vergleich zu heute mehr schulisch“, erzählt er. „Man hatte Vorlesungen, aber man hatte auch eine Menge Seminararbeit. Und es gab tolle Professoren, zum Beispiel in Elektrotechnik. Professor Klaus Lunze, einen sehr berühmten Mann, hatten wir noch im Grundstudium. Das war sehr beeindruckend.“ Dass das Technik-Studium auch politisiert war, gehörte dazu. „Es ist, wie es ist.“ Lange her.
Mit dem Diplom in die Musikindustrie
Nach Studienabschluss 1984 kehrte Rainer Gläß in seine Heimat ins Vogtland zurück und arbeitete im VEB Kombinat Musikinstrumente in Klingenthal. Im Musikwinkel, wo seit 350 Jahren Musikinstrumente hergestellt werden, beschäftigte sich der Diplom-Ingenieur mit Software und akustischen Themen. Ob davon heute noch etwas zu sehen ist, kann Rainer Gläß nicht sagen, denn sein Arbeitsgebiet gehörte eher zum unsichtbaren Überbau des einstigen DDR-Kombinates. Aus heutiger Sicht handelte es sich um eine Art Analyseplattform. Interessierte könnten sich im Musikinstrumenten-Museum Markneukirchen auf Spurensuche begeben. Dort sind mehr als 4.000 Instrumente zu bestaunen.
Freiberufler und Skilehrer
Bereits vor der Wende entschied sich Rainer Gläß, freiberuflich als Softwareentwickler zu arbeiten. Weil es das in der DDR eigentlich nicht gab, brauchte er eine offizielle Legitimation – als Skilehrer. „Ich habe mich so durchgeschlagen“, lacht der Vogtländer. Gleich nach dem Mauerfall zog es ihn in ins Allgäu, wo er eine Saison urlaubenden Menschen das Skifahren beibrachte. Erst kürzlich bekam er in Oberwiesenthal ein Erinnerungsfoto von ehemaligen Schülern geschenkt.

Rainer Gläß 1989 als Skilehrer auf dem Fichtelberg.
Erstes Unternehmen mit Nachbar
Durch Zufall lernte Rainer Gläß seinen Nachbarn Stephan Kronmüller kennen – wie er Informatiker. 1990 gründeten beide ihr gemeinsames Unternehmen GK Datensysteme. Die mühsame Anfangsarbeit beschreibt Rainer Gläß so: „Man sitzt ununterbrochen am Computer und arbeitet an den Produkten.“ Konkret war das Software für den Einzelhandel. Die ersten zehn Jahre waren schwierig. Nach und nach wandelte sich die Zwei-Mann-Firma zu einem professionellen System. Im Jahr 2008 erfolgte die Umfirmierung zu GK Software und der Gang an die Börse. Eine ostdeutsche Erfolgsgeschichte. Rainer Gläß wurde mehrfach als Unternehmer des Jahres ausgezeichnet. Wie oft, kann er auf Anhieb nicht sagen. An die Ehrung als Entrepreneur des Jahres in Frankfurt am Main im Jahr 2010 erinnert er sich gern: „Das war etwas Besonderes, weil dort normalerweise keine ostdeutschen Unternehmer gewürdigt werden.“ In einem Satz mit Claus Hipp, Dirk Roßmann, Thomas Riedel und Robert Stöcklinger im manager-Magazin erwähnt zu werden, passt dazu. GK Software wurde für seinen „Willen zur Standortentwicklung und das Bekenntnis zum Vogtland“ ausgezeichnet.
Unternehmensverkauf und Neugründung im Silicon Valley
Vor zwei Jahren verkaufte Rainer Gläß seine Firma GK Software für einen Millionenbetrag an den Technologiekonzern Fujitsu. Sich danach zur Ruhe zu setzen war für ihn keine Option. Stattdessen gründete er mit Newwork Software ein Unternehmen im kalifornischen Silicon Valley und entwickelte eine neue Unternehmenssoftware. Während er das erzählt, sitzt er in seinem Büro in Schöneck, auch als Balkon des Vogtlands bekannt. Den Wald im Blick. Die Standortwahl der neuen Firma ist keine Abkehr von Bodenständigkeit. „Im Silicon Valley agieren viele tolle Leute tatkräftig und erfolgreich. Dem wollen wir uns stellen und deshalb sind wir dort“, erläutert der Software-Millionär. Auch die Stimmung auf dem amerikanischen Kapitalmarkt spielte eine Rolle. Die 2023 gegründete Newwork wächst dynamisch: An den Standorten in Palo Alto, Berlin, Schöneck und im rumänischen Brașov arbeiten inzwischen rund 100 Mitarbeiter an der neuen Software. Ihre Zahl soll sich bis Ende 2025 verdoppeln. Die unternehmerischen Fäden hält Rainer Gläß von seinem Heimatort Schöneck, wo er mit seiner Familie lebt, aus in der Hand – in der Haltung eines Gründers, der global agiert und seiner Heimat dennoch tief verbunden ist.

Börsengang der früheren Firma GK Software im Jahr 2008.
The AI ERP
Das ist der Claim für die neue Software. Warum? „Die Welt hat sich verändert“, sagt er. Mit Newwork hat Rainer Gläß ein Unternehmen gegründet, das ERP-Software von Grund auf neu denkt – auf Basis Künstlicher Intelligenz. „KI eröffnet ein völlig neues Spielfeld“, sagt Gläß. „Sie wird die Art zu arbeiten grundlegend verändern, und wir wollen diesen Wandel aktiv mitgestalten.“ Anders als traditionelle Systeme setzt Newwork nicht auf starre Prozesse, sondern auf intelligente, selbstlernende Abläufe. Das Ziel: Unternehmenssoftware, die in Echtzeit reagiert, sich kontinuierlich anpasst und neue Freiräume schafft. „Wir entwickeln nicht für gestern, sondern für das, was Unternehmen morgen wirklich voranbringt“, so Gläß.
Schritt für Schritt sollen die Produkte aufgebaut werden. Seit diesem Jahr gibt es einen ersten Kunden. „Wir posaunen nichts in die Welt hinaus und hoffen, dass jemand anruft“, lacht Rainer Gläß. Mitarbeitende aus mehr als zehn Ländern arbeiten für Newwork Software, darunter ungefähr 30 Prozent Alumni der TUD bzw. aus Sachsen. „Ausgezeichnete und fleißige Leute mit einer hohen Expertise“, lobt er und freut sich, dass er beste Köpfe aus dem Bereich KI gewinnen konnte. Fachkräfte-Bewerbungen sind weiterhin willkommen. Rainer Gläß wünscht sich Menschen für sein Unternehmen, „die Spaß haben, großartige Dinge zu erschaffen“. Er weiß, dass das nicht nur Chance bedeutet, sondern auch viel Arbeit mit zahlreichen Herausforderungen.
Grundsätzliche Herangehensweise
Rainer Gläß profitiert bis heute von einer im Studium verinnerlichten Herangehensweise: „Dinge umfänglich und grundsätzlich lösen, nicht nur die Oberfläche sehen. Dieses Grundprinzip ist heute gar nicht selbstverständlich“, sagt der 66-Jährige. Er hält die Verbindung zu seiner Universität, auch wenn sein letzter Besuch in Dresden fünf Jahre zurückliegt. Wenn Informationstechnologie, die weniger sichtbar als andere Branchen ist, Aufmerksamkeit bekommt, freut ihn das. Ein großes Sendungsbewusstsein bescheinigt sich der Software-Unternehmer nicht. Er konzentriert sich lieber auf seine Arbeit und auf Engagement für seine Heimatregion.
Mit Herz und Kapital für den Wintersport in Sachsen
Exemplarisch dafür steht seine Unterstützung des sächsischen Wintersports. Seit seiner Jugend verbindet Rainer Gläß eine enge Beziehung zum Erzgebirge – als leidenschaftlicher Skifahrer und überzeugter Heimatverbundener. 2021 übernahm er die Liftgesellschaft Oberwiesenthal, später folgten die traditionsreiche Schwebebahn und das Fichtelberghaus. „Der Fichtelberg war für mich immer ein besonderer Ort“, sagt Gläß. „Hier habe ich schon als junger Mann Skikurse gegeben – jetzt ist es mir ein persönliches Anliegen, diese wertvolle Infrastruktur zu erhalten und fit für die Zukunft zu machen.“ Mit einem zweistelligen Millionenbetrag investiert er in die Modernisierung der Anlagen und setzt sich dafür ein, dass die Region auch kommenden Generationen ein attraktives Wintersportziel bleibt.
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Rainer Gläß