Indische Aspiranten an der TH Dresden (II)
Herr K. P. Dharap, ein indischer Aspirant, war Anfang der 1960er-Jahre am Lehrstuhl für Elektrizitätsversorgung (Prof. Dr. H. Schulze) mit Untersuchungen an Hochspannungs-Leistungsschaltern beschäftigt.
Die Möglichkeit einer Aspirantur in der DDR wurde ihm 14 Tage nach seiner Hochzeit bestätigt. Seine junge Frau Suma war, wie in Indien üblich, in seine Großfamilie integriert. Die Großzügigkeit des neuen Familienoberhauptes gestattete der ausgebildeten Mathematikerin, das verdiente Geld für eine Reise nach Dresden zum Besuch ihres Angetrauten zu sparen.
Im Mai 1960 traf am Lehrstuhl ein Telegramm für Herrn Dharap ein. Inhalt: „Komme im Hafen von Genua an. Bitte hole mich dort ab. Suma.“ Bei Betrachtung der Weltkarte ist die Entfernung Genua-Dresden ja auch beinahe vernachlässigbar gegenüber Bombay-Genua. Nicht vernachlässigbar waren aber die Instanzenschritte in der DDR. Prof. Schulze, damals Dekan der Fakultät ET, konnte jedoch Herrn Dharap die Reise ermöglichen.
Nun war Frau Dharap zunächst besuchsweise in Dresden. Ihrer Hartnäckigkeit gegenüber Behörden war es zu danken, dass sie in Dresden bleiben konnte mit der Auflage, in drei Monaten die deutsche Sprache zu beherrschen. Nach einem Kurs am Herderinstitut in Leipzig konnte sie munter drauflosplaudern und bekam an der Hochschule für Verkehrswesen (HfV) in Dresden eine Anstellung.
Bei Spaziergängen in der Stadt zog Frau Dharap, in ihrem Sari gekleidet, oft Blicke auf sich. Während der ersten Wochen in Dresden lief sie ̶ wie in der Heimat gewohnt ̶ teils mit zwei Taschen behangen, den plaudernd spazierenden Männern hinterdrein. Es gelang uns jedoch, die Aspiranten von unseren Gepflogenheiten zu überzeugen und sie zu Kavalieren zu formen. Die Sitten hier bei uns gefielen Frau Dharap recht gut.
Einmal, zur Faschingszeit, nahmen auch Dharaps mit uns Assistenten an einem Kostümfest in einer Radebeuler Gaststätte teil. Dort sollten die besten Kostüme prämiert werden. Als ich das Interesse der Jury an Frau Dharap, speziell an derer normaler Sari-Bekleidung bemerkte, bat ich die Jury, die indischen Gäste außerhalb der Konkurrenz zu betrachten. „Spielt keine Rolle“, meinten die Herren und so kamen Dharaps dort zum ersten Preis.
Herr Dharap promovierte 1962 zum Dr. Ing. und wurde noch in Dresden Vater der kleinen Sujata, bevor die Familie nach Indien zurückreiste, wo Dr. Dharap zum Professor berufen wurde.
Viele Jahre später, 1979, erhielt Prof. Dharap ein Stipendium in den USA mit Abschluss in Göttingen. Seinen Wunsch, die alten Lehrer in Dresden noch einmal zu besuchen, teilte er den zuständigen Referenten an der TU Dresden und mir brieflich mit. Wir kamen überein, dass von Seiten der TU die Einreise beschafft wird und ein Quartier bei mir möglich ist. Kurze Zeit darauf traf auch ein Brief von Frau Dharap aus Indien ein. Sie wolle dann aber auch in Dresden sein, wo es ihr so gut gefallen hatte. Einen indischen Pass und ein Flugticket hatte sie schnell beschafft, die Einreisegenehmigung für die DDR war jedoch in der kurzen Zeit nicht zu erhalten. Null Probleme? Der Mann sollte Suma in Berlin abholen. Meinen Einwand, dass in Schönefeld keine Maschine aus Bombay landet, schlug er in den Wind und kam prompt ohne die Angetraute zurück. Mit der von Frau Dharap bereits gezeigten Hartnäckigkeit gegenüber Behörden gelang es ihr jedoch nach drei Tagen in Westberlin, zunächst mit Tagesaufenthalt im Osten Berlins, nach Dresden zu gelangen. Wir erlebten dann noch einmal schöne gemeinsame Tage im historischen Dresden, in Pillnitz und in Meißen. Noch heute tauschen wir mit den inzwischen Großeltern gewordenen Dharaps brieflich unsere Erlebnisse aus und erinnern uns gern an die „Abenteuer“ der frühen Jahre.