Erinnerungen an frühere Studiengewohnheiten
Ich möchte einige subjektive Erinnerungen an meinen Studienverlauf in den sechziger Jahren aufschreiben.
Meine Studentenkarriere an der TU-Dresden begann im Jahr 1963 mit einer Bewerbung um einen Studienplatz für Bauingenieurwesen. Der Bewerbung war, wie zu diesen Zeiten äußerst nützlich ̶ im Prinzip sogar erforderlich ̶ eine Befürwortung des Büros beigelegt, in dem ich als Hilfszeichner und Rechner versuchte, über die Zeit zu kommen.
Der Bewerbung im Frühjahr folgte die Einladung zur, damals gerade neu eingeführten, Aufnahmeprüfung im Sommer. Dort erfolgten einige Tests und dann bei Professor Rettich, Architekt noch älterer Schule, ein Eignungsgespräch. Dabei war auch eine Vertreterin der Fakultät 1: Gesellschaftswissenschaften. Das Gespräch war sehr menschlich und kam bald auf die (ich glaube 6.) Deutsche Kunstausstellung, die kurz vorher in Dresden stattgefunden hatte. Da ich diese besucht hatte, konnten wir uns austauschen. Ich habe deutlich in Erinnerung, dass eventuelle sozialistische Formen oder Inhalte keine Rolle spielten. Auch die Vertreterin der Gesellschaftswissenschaften sprach den Sozialismus nicht an.
Mit der erhofften Einladung zur Einschreibung kam zum einen eine Bitte an das Wehrkreiskommando, den Studenten bis zum Ende des Studiums zurückzustellen (so schnell war ich nie dorthin gesaust), zum anderen war zu erfahren, daß das Studium mit gewissen Einsätzen beginnt. Gleich von der Einschreibung ging es zu einer militärischen Schulung. Diese führten Offiziere in Uniform, eine militärische Gruppe an der Uni, aus. Von sich selber sagten sie: "Wir nennen uns noch nicht Fakultät". Ein Einsatz im ländlichen Bauwesen schloss sich an. Dann aber, sieben oder acht Wochen nach der Einschreibung, begann das Studium. Wir waren bereits in Seminargruppen eingeteilt und hatten als solche erste Kontakte mit den Betreuerassistenten. Als unserer in den Seminarraum kam, standen die meisten Kommilitonen auf. Sie hatten noch die Schule in den Knochen. Die Studienzeit war, nach ich weiß nicht welcher Studienreform, schon genau vorgeschrieben und zu jedem Semester gab es einen Stunden- (Verzeihung, Vorlesungs-)plan. Irgendwann erfolgte die Wahl von SemSek und WiFu. Als in studentischer Freiheit nicht Anwesender erhielt ich ersteren Posten. Ich konnte mich ja im Moment nicht wehren. In Erinnerung blieben natürlich Fachvorlesungen und Seminare, sowie Gewi-Vorlesungen. Der Gewi-Dozent beklagte die geringe Beteiligung und äußerte schließlich drohend, daß er sich vom Rektor die Erlaubnis habe geben lassen, die Anwesenheit zu kontrollieren. Zweimal gab er eine Anwesenheitsliste in Umlauf, in beiden Fällen erhielt er sie nicht zurück. Ich möchte einschätzen, dass in PolÖkKap (politische Ökonomie des Kapitalismus) einige logische Zusammenhänge zur Sprache kamen, die Inhalte von PolÖkSoz sogar die Gedankengänge des Dozenten in Wirrnis brachte. Gut war es zwei Bibliotheken (von HfV und TU) zur Verfügung zu haben. Einige Jahre später wurden allerdings das Beschaffen bzw. Halten von Dubletten oder weniger wichtiger Literatur abgesetzt.
Ein Ingenieur-Praktikum von 26 Wochen war neu in unserem Immatrikulationslehrgang. Es wurde im Jahre 1967 (ständige Studienreform) erstmals durchgeführt.
Das Diplom habe ich noch auf alte Art abgelegt, mit neun Wochen für die Diplomarbeit (12 Wochen bei Laborthemen). Die mündliche Prüfung in der Vertiefungsrichtung legten wir nach Absprache mit dem Professor auf den spät möglichsten Zeitpunkt innerhalb der vorgeschriebenen Studienzeit. In den sechziger Jahren gab es an der TU Dresden noch viele akademische Freizügigkeiten. So war ich zweimal während der Vorlesungszeit für zwei Wochen verreist. Im Erleben und im Rückblick war es eine schöne Zeit. Allerdings gilt es einige Erlebnisse zu verdrängen, wie z. B. Anwerbeversuche der Stasi. In den späteren Jahren ließen Kontakte mit Praktikanten eine immer stärkere Verschulung der Hochschulen erkennen.
Ich hoffe, dass diese Erinnerung ein wenig einen Blick in eine Zeit erlaubt, deren Rahmen die DDR gab, die durch zwar nicht gemeinsame, aber doch gleich wirkende Anstrengungen von Führung und Untertanen durch ökonomischen und moralischen Bankrott, inzwischen implodierte. Meine Kommilitonen denken gerne an die Studienzeit zurück, haben die DDR aber schnell und zumeist erfreut abgeschüttelt.