29.10.2025
Rückblick auf das Juneau Icefield Research Program 2025 – Glaziale Hydrologie der TU Dresden in Alaska und British Columbia
Camp 9, das Kleinste der Forschungscamps
Bericht von Lennart Spielmann
Im Rahmen meines Studiums der Hydrologie an der TU Dresden konnte ich von Juni bis August 2025 am Juneau Icefield Research Program (JIRP) in Alaska/British Columbia teilnehmen. JIRP ist ein international renommiertes Ausbildungsprogramm im Bereich der glaziologischen Feldforschung. Das Juneau Icefield an der Grenze zwischen Alaska und British Columbia dient aufgrund seiner Erreichbarkeit, Größe und langen Verfügbarkeit von Zeitreihendaten als Modellregion für Prozesse auf dem grönländischen Eisschild.
Intensive Vorbereitungen
Nachdem im Februar 2025 die FOSTER-Förderung und die Platzzusage durch JIRP bewilligt worden waren, stand fest: Ich würde in diesem Jahr nach Alaska reisen – eine intensive Vorbereitungsphase lag vor mir. Angesichts der hohen Projektkosten – vor allem für Teilnahmebeiträge, Reisekosten und Ausrüstung – bemühte ich mich, zusätzliche Fördermittel einzuwerben.
Mit der Unterstützung der Gesellschaft der Freunde und Förderer der TU Dresden sowie der Konrad-Adenauer-Stiftung gelang mir dies schließlich. Neben logistischen und versicherungstechnischen Fragen galt es, eine umfangreiche Ausrüstungsliste abzuarbeiten, was zeitlich und finanziell sehr aufwendig war.
So wurden etwa spezielle Backcountry-Ski empfohlen, die ich (aus Sorge um meine Telemark-Abfahrtsfähigkeiten) mit einer alpinen Tourenbindung kombinierte. Für dieses Setup fuhr ich nach Garmisch und nutzte die Gelegenheit, um gemeinsam mit meinem Skilehrer Thomas Hlawitschka noch drei Tage lang an meiner Technik zu feilen und so zusätzliche Sicherheit zu gewinnen. Da für die Teilnahme am JIRP ein hohes Fitnesslevel erwartet wurde, begann ich ein intensives Training mit drei bis vier Krafteinheiten pro Woche zur Entlastung der Gelenke, zur Vorbereitung auf das Tragen schwerer Rucksäcke und zur Verletzungsprävention sowie mit etwa vier Ausdauereinheiten. Dazu zählten längere Rennradtouren, Läufe durch den Großen Garten und das „berüchtigte“ einstündige Treppenhaussteigen mit 25 Litern Wasser im Rucksack.
Abreise und Kennenlernen der Teilnehmenden
Nachdem alle Vorbereitungen abgeschlossen, der Rucksack probegepackt und Freunde verabschiedet waren, ging es am 13. Juni 2025 von Frankfurt über Vancouver nach Whitehorse im Yukon (Kanada). Nach dem langen Flug traf ich dort auf weitere JIRP-Teilnehmende, die leicht an ihrem Gepäck und ihrer Kleidung zu erkennen waren. Gemeinsam fuhren wir in das rund zwei Stunden entfernte Örtchen Atlin, wo sich das JIRP-Basislager befindet. Eine Woche lang standen Kennenlernen und Vorbereitung auf dem Programm. Die Ausrüstung wurde überprüft und ergänzt, es wurden erste theoretische Inhalte vermittelt und es wurden Workshops zu Themen wie Erste Hilfe, Sonnenschutz und Verhalten beim Zusammentreffen mit Bären abgehalten. Mehrere Tageswanderungen dienten der Überprüfung der Fitness und der Erprobung des Materials. Nach Abschluss dieser Vorbereitungen wurde das Zeltcamp in Atlin abgebaut. Mit dem Bus überquerten wir die Grenze nach Skagway und fuhren von dort mit der Fähre nach Juneau – eine tagesfüllende Reise. Von Juneau aus sollte unsere Traverse starten, die am Ende des Sommers wieder in Atlin enden würde. Nach einem kurzen Aufenthalt ging es schließlich weiter zu Camp 17, dem ersten unserer Feldlager.
Camp 17 – Der Primer
Dort verbrachten wir zwei Wochen am Rande des Icefields, in denen wir vor allem Sicherheitstrainings absolvierten: Fortbewegung auf Skiern in unterschiedlichem Gelände, Seilschaftsbildung, Einsatz von Steigeisen, Abfangen von Stürzen mit dem Eispickel und Spaltenbergung. Neben weiteren Vorlesungen bestand ein wichtiges Ziel darin, sich an die Lebensbedingungen im Forschungscamp zu gewöhnen: gemeinschaftliche Schlafräume (teilweise mit 20 Personen in unbeheizten Hütten, mit nasser Kleidung an Leinen über den Köpfen), fehlende Waschmöglichkeiten, das Trocknen der Kleidung im Schlafsack, einfache sanitäre Bedingungen sowie gemeinschaftliche Aufgaben wie die Wasserbeschaffung und den Küchendienst. Das Kochen erfolgte in Teams, die jeweils ganztägig für alle Mahlzeiten verantwortlich waren – für mich waren dies die stressigsten Tage.
Eine „Mini-Traverse“, eine lange Tagestour mit rund 30 kg Gepäck bei starkem Regen, diente der praktischen Übung aller Bewegungsformen unter realen Bedingungen. Der Start in Camp 17 verlief nicht ohne Herausforderungen, was sich im Nachhinein als gute Belastungsprobe erwies. In der ersten Woche war das Wetter so schlecht (starker Wind und Regen), dass Helikopterflüge mit Ausrüstung und Lebensmitteln mehrfach verschoben werden mussten. Wir lebten zunächst von den Konservenvorräten des Vorjahres und verfügten nur über einen Teil unserer Sicherheitsausrüstung. Daher mussten wir das Training abwechselnd absolvieren. Erschwerend kam hinzu, dass ich mir kurz vor dem Aufstieg eine Erkältung eingefangen hatte, die sich im feuchtkalten Klima hartnäckig hielt. Zu allem Überfluss brach gleich zu Beginn eine Bindung meiner neu erworbenen Skiausrüstung. Da sie nicht vor Ort repariert werden konnte, organisierte ich telefonisch Ersatz in einem Outdoor-Shop in Juneau.
Die neuen Bindungen wurden mit dem nächsten Helikopterflug geliefert und von uns im Geräteschuppen selbst montiert – eine interessante neue Erfahrung. Rechtzeitig vor dem nächsten Abschnitt war die Ausrüstung wieder einsatzbereit und ich konnte die zweitägige Traverse zu Camp 10 auf meinen eigenen Skiern antreten. Früh morgens brachen wir auf: Zunächst ging es über den Lemon Creek Glacier, dann mit den Skiern am Rucksack über die Nugget Ridge, anschließend wieder auf Skiern durch das „Death Valley“ (eine lange Gletscherquerung) und schließlich angeseilt den Norris Eisfall hinauf, wo unser Zeltcamp lag. Nach einer kleinen Mahlzeit gingen wir rasch in trockene Kleidung und den Schlafsack. Am nächsten Morgen führte uns die Route bei Whiteout-Bedingungen weitere 25 Kilometer über den Norris- und den Taku-Gletscher, bis wir Camp 10 erreichten.
Versorgungslieferungen mit Lebensmitteln und (noch wichtiger!) Briefen aus der Heimat kamen etwa alle 10 Tage
Camp 10 – Das Forschungscamp am Taku
In den folgenden knapp zwei Wochen in Camp 10, dem größten Camp des Icefields, lag der Schwerpunkt darauf, verschiedene Forschungsfelder der Glaziologie kennenzulernen. Wir unternahmen Tagesexkursionen auf den Taku-Gletscher, der mit einer Dicke von über 1400 Metern zu den mächtigsten Talgletschern außerhalb der Antarktis zählt. Eine zentrale Aufgabe war das Graben von Mass-Balance-Pits. Dabei wird die Neuschneedecke bis zur Firnschicht des Vorjahres abgetragen, mitunter bis zu einer Tiefe von sieben Metern. Anschließend wird eine Probenwand präpariert und mithilfe eines Stechzylinders mit bekanntem Volumen, der aufgrund seiner gezackten Zähne auch „Jacket Ripper“ genannt wird, in 10-cm-Abständen die Dichte des Schnees bestimmt. Aus diesen Daten lässt sich das Snow Water Equivalent (SWE), also das Wasseräquivalent des im Vorjahr gefallenen Schnees, berechnen. In Kombination mit den Schmelzraten dient dies zur Ermittlung der Massenbilanz und somit des „Gesundheitszustands” des Gletschers. Diese Methode ist zwar äußerst arbeitsintensiv, liefert aber wichtige Referenzergebnisse für die langjährigen Zeitreihen.
Vorbereiten einer UAV LiDAR Kampagne zur Vermessung der Gletscheroberfläche
Daneben wurden geodätische Profilmessungen durchgeführt. Dabei werden jährlich mittels GPS fest definierte Punkte entlang eines Profils vermessen, um Änderungen in Geschwindigkeit und absoluter Höhe der Gletscheroberfläche zu dokumentieren. Ergänzend wurde die Oberfläche des Gletschers mithilfe einer LiDAR-Drohne vermessen, um ein hochauflösendes digitales Höhenmodell zu erstellen.
Ein weiteres Messverfahren waren Radarmessungen zur Bestimmung der Bulk Density der Schneedecke. Aus der Laufzeit elektromagnetischer Wellen lassen sich Materialeigenschaften wie Dichte und Schichtgrenzen im Untergrund ableiten. Im Gegensatz zu den Pits ermöglicht diese Methode eine großflächigere Bestimmung des SWE. Zudem führten wir Schneedecken- und Firnbohrungen durch. Diese erlauben die Entnahme ungestörter Proben, die im Labor hinsichtlich stabiler Wasserisotope analysiert werden. Die Isotopenanalysen geben Aufschluss über Niederschlagsprozesse und vergangene Klimabedingungen. Auch das praktische Sicherheitstraining kam nicht zu kurz: Unter anderem übten wir den Aufstieg am Seil nach einem simulierten Spaltensturz mithilfe von Prusik-Knoten an einer Schneewechte. Nach Abschluss der Arbeiten in Camp 10 begann die Traverse zu Camp 18, mit einem zweitägigen Zwischenstopp in Camp 9, wo wir eine weitere Mass-Balance-Pit gruben, und zusätzliche Messungen durchführten.
Camp 18 – Zwischen Eisfall und Ogives
Camp 18 lag spektakulär auf einem Nunatak im Vaughan Lewis Icefall und bot einen Blick auf den Gilkey Glacier, der durch seine markante Bänderung (Ogives) besonders eindrucksvoll wirkte. Diese wellenförmigen Strukturen mit Höhenunterschieden von bis zu 20 Metern zwischen Berg und Tal, an denen sich teilweise kleine Gletscherseen befinden, entstehen am Fuß von Eisfällen. Ihre genaue Entstehungsweise ist bis heute nicht vollständig geklärt. In Camp 18 lag der Fokus darauf, in Kleingruppen eigenständige Forschungsprojekte zu planen und durchzuführen. Ich war Teil einer Gruppe, die mithilfe von Ground Penetrating Radar (GPR) die zeitlichen Veränderungen der Dichte der Schneedecke untersuchte und diese Daten mit Messungen aus einer nahegelegenen Mass-Balance-Pit verglich. Darüber hinaus arbeiteten wir an einem experimentellen Ansatz: dem Bau eines air-coupled Radars. Dabei liegen Sender und Empfänger nicht direkt auf dem Boden auf, sondern das Signal durchläuft zunächst eine Luftstrecke. Wir setzten dieses Konzept mithilfe eines selbstgebauten Schlittens um. Das langfristige Ziel dieser Entwicklung besteht darin, GPR-Systeme auf Drohnen zu montieren, um großflächig und autonom Untersuchungen zur Bulk Snow Density durchzuführen, beispielsweise in schwer zugänglichen Gebieten wie der Antarktis. Der Aufenthalt in Camp 18 endete mit einer gegenseitigen Präsentation der Projektergebnisse, bei der alle Gruppen ihre Ansätze, Messmethoden und ersten Auswertungen vorstellten.
Camp 26 – Schmelzwasser und Gletscherhöhlen
Die Traverse zu Camp 26 begann früh am Morgen und führte uns nach rund sieben Stunden zu einem besonderen Moment: den letzten Schwüngen auf Skiern. Dort deponierten wir unsere Ski in einem Felddepot und tauschten sie gegen Mikrospikes, um die verbleibenden Kilometer auf dem blanken Eis der sogenannten Blue Ice Zone zurückzulegen. In dieser Zone gibt es keine geschlossene Schneedecke mehr, sodass man sich direkt auf dem Eis bewegt, das von Schmelzwasser durchzogen ist.
Dieses Wasser fließt offen über den Gletscher und verschwindet schließlich in Moulins, auch Gletschermühlen genannt, über die es ins Gletscherinnere gelangt. Camp 26 ist das kleinste aller Camps und dementsprechend verbrachten wir hier auch die kürzeste Zeit. Auf dem Programm standen ein Tagesausflug zur Bergung einer meteorologischen Station und mehrerer Ablationspegel sowie verschiedene Exkursionen in Gletscherhöhlen, die wir eingehend erkundeten.
Probenahme auf dem Llewellyn Gletscher für die TU Dresden
Camp 26 war für mich aus hydrologischer Perspektive besonders faszinierend, da hier – im Gegensatz zu den höher gelegenen Camps – flüssiges Wasser in großer Menge verfügbar war. Im Rahmen meiner Teilnahme am JIRP entnahm ich Wasserproben für die TU Dresden mit dem Ziel, stabile Wasserisotope zu analysieren. Diese Analysen sollen Aufschluss über die Herkunftsräume und die Zusammensetzung des Einzugsgebietsabflusses geben. Langfristig tragen sie dazu bei, die Wasserbilanz vergletscherter, schwer zugänglicher Regionen besser zu verstehen und ihre Veränderung im Zuge des Klimawandels zu erfassen.
„The long way home“
Die letzte Traverse hinunter vom Eisfeld war etwa 30 Kilometer lang. Die erste Hälfte legten wir mit Mikrospikes auf dem Gletscher zurück, dann ging es über die Moränenlandschaft des Llewellyn-Gletscher weiter. Unterwegs gab es zahlreiche Möglichkeiten, weitere Wasserproben zu sammeln. Am Ufer des Atlin Lake angekommen, zugegeben erschöpft, aber glücklich, biwakierten wir eine letzte Nacht. Am nächsten Morgen brachte uns ein lokaler Fischer mit seinem Boot die rund 60 Kilometer zurück nach Atlin. Dort wurden wir von einem Officer der Royal Canadian Mounted Police empfangen, der die Passkontrolle durchführte, da wir während der Expedition die Grenze von den USA nach Kanada überquert hatten. Der erste Tag in Atlin bestand aus Duschen, Wäsche waschen und Ausruhen – ein neues Lebensgefühl nach sechs Wochen auf dem Eis. In den darauffolgenden Tagen bereiteten wir den Sommerabschluss und eine Präsentation für die lokale Gemeinschaft in Atlin vor. Bei Kaffee und selbstgebackenen Keksen stellte jede:r Teilnehmende:r in einem kurzen Pitch die wichtigste Erkenntnis des Sommers vor, anschließend gab es eine gemeinsame Diskussion. Nach etwa einer Woche in Atlin endete JIRP 2025 und von dort aus ging es für mich nach Whitehorse und weiter nach Vancouver. Dort verbrachte ich vor der Rückreise nach Deutschland noch zwei Wochen Urlaub.
Die Teilnahme an JIRP war für mich eine intensive und persönlich prägende Erfahrung. Natürlich konnte ich mein Wissen in der Glaziologie, Feldmethodik und alpinistischen Fähigkeiten erweitern und habe darüber hinaus gelernt, unter anspruchsvollen Bedingungen im Team zu arbeiten und dabei Verantwortung zu übernehmen. Ich bin sehr dankbar für die Unterstützung, die mir die Teilnahme ermöglicht hat, insbesondere durch die FOSTER-Förderung, die Gesellschaft der Freunde und Förderer der TU Dresden und die Konrad-Adenauer-Stiftung. Ein besonderer Dank gilt Dr. Thomas Wöhling, der die Umsetzung meines Projekts seitens der Professur für Hydrologie betreute.