14.08.2025
Neuer Podcast des ZLSB: Globale Einblicke in den Lehrkräftemangel

von links nach rechts: Dr. Peggy Germer, Ines Röhrborn und Prof. Axel Gehrmann während der Podcastaufnahme
Wie begegnet man dem weltweiten Phänomen des Lehrkräftemangels? Diese Frage steht im Mittelpunkt der vierten Folge des ZLSB-Buchpodcasts Lesezentrum, in der über den ersten internationalen Sammelband des Zentrums "Teacher Shortage in International Perspectives" gesprchen wird. Moderiert wird der Podcast von Ines Röhrborn (ehemalige Lehrkraft im Hochschuldienst) und zu Gast sind der geschäftsführende Direktor des ZLSB, Prof. Axel Gehrmann, und Peggy Dr. Germer, Projektkoordinatorin der berufsbegleitenden Qualifizierung von Lehrkräften in Sachsen - beide Mitherausgebende des Bandes.
Ein Gespräch über globale Gemeinsamkeiten, überraschende Unterschiede und darüber, wie man Lehrkräfte gewinnt, bevor sie fehlen. Gemeinsam geben Prof. Gehrmannn und Dr. Germer Einblicke in die Entstehungsgeschichte des Projekts, welches Autor:innen aus elf Nationen (darunter Australien, USA, Japan, Schweden, Irland, Polen und Tschechien) zusammenbringt.
Im Gespräch wird deutlich, wie unterschiedlich Bildungssysteme weltweit auf Lehrkräftemangel reagieren:
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Sachsen mit seinem bundesweit beachteten Modell der berufsbegleitenden Qualifizierung (BQL),
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Japan mit einer Überproduktion an Lehramtsabsolventen und „Learning on the Job“,
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USA mit dem Fokus auf der „Lehrkräfte-Pipeline“ und der gezielten Besetzung schwieriger Schulstandorte,
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Tschechien mit intensiven Wochenendstudiengängen für Seiteneinsteigende.
Trotz geografischer Distanzen und kultureller Unterschiede zeigen sich erstaunliche Parallelen – von der Motivation der Seiteneinsteigenden bis zu strukturellen Herausforderungen in Stadt und Land. Die Gäste sprechen über gelungene Praxisbeispiele, Forschungsergebnisse und drei Modellansätze, wie Staaten dem Lehrkräftemangel begegnen können.
Wer erfahren möchte, wie aus Dresden heraus ein globales Netzwerk gegen den Lehrkräftemangel wächst, bekommt in dieser Podcastfolge tiefe Einblicke und internationale Perspektiven, die zum Nachdenken anregen.
Intro:
Person 1: Für mich bedeutet lesen in der Uni, dass ich viele Informationen relativ schnell bekomme und auch relativ einfach und mich mit Themen beschäftige.
Person 2: Sich sinnvoll strukturiertes Wissen anzueignen und dadurch mehr über die Welt zu erfahren.
Person 3: Lesen ist unser Hauptzugang zu neuen und alten Informationen, aber auch die beste Möglichkeit, sich selbst zu entfalten.
Ines Röhrborn: Hallo und herzlich willkommen zu unserem ZLSB Buchpodcast mit dem Titel Lesezentrum zum 20-jährigen Jubiläum des ZLSB in diesem Jahr. Das Lesezentrum bietet den Mitarbeitenden und ZLSB-Angehörigen die Möglichkeit, ein Buch vorzustellen, das ihnen besonders am Herzen liegt. Ziel ist es, Bücher ins Gespräch zu bringen, die bewegen und inspirieren.
Heute werden wir dem auf alle Fälle gerecht, denn wir besprechen ein Buch, das 2025 rechtzeitig zum 20. ZLSB Jubiläum erschien, internationale Autorinnen in Herausgeberschaft des ZLSB vereint und Einblicke, Problemlösestrategien sowie neue Wege kennzeichnet, um dem weltweiten Phänomen des Lehrkräftemangels zu begegnen. Ich bin Ines Röhrborn, abgeordnete Lehrerin im Hochschuldienst und darf heute für Sie und Euch moderieren. Ich freue mich heute besonders über meine beiden Gäste. Ich begrüße ganz herzlich Professor Axel Germann, den Geschäftsführenden Direktor am ZLSB und Dr. Peggy Germer, Projektkoordinatorin der berufsbegleitenden Qualifizierung von Lehrkräften in Sachsen. Beide sind heute hier als Mitherausgebende eines besonderen Sammelbandes: Teacher Shortage in International Perspectives, Insights and Responses. Auf Deutsch: Lehrkräftemangel aus internationaler Sicht, Einblicke und Antworten. Schön, dass Sie beide heute da sind.
Axel Gehrmann: Ja, guten Tag.
Peggy Germer: Guten Tag.
Ines Röhrborn: Hallo.
Die erste Frage, die mir auf den Nägeln brennt, ist natürlich, wie kam es zu dieser Idee dieses ersten internationalen Sammelbandes des ZLSB in diesem Open Access Format?
Axel Gehrmann: Ja, also es ist natürlich, der Lehrkräftemangel ist überall gegeben. Im Freistaat Sachsen beschäftigt uns das quasi jetzt im ZLSB schon seit über 10 Jahren. Auch diese berufsbegleitende Qualifizierung hat sich sukzessive hier entwickelt als ein zentrales Modell, um dem Lehrkräftemangel im Freistaat zu begegnen. Das Modell ist solitär in der Bundesrepublik, wird vielfach angesehen. Und vor dem Hintergrund haben wir uns eben auch gedacht, wie sieht das denn eigentlich international aus mit dem Mangel? Was wird der festgestellt? Was wird dagegen getan? Und wir haben quasi unsere Akteure genutzt, die wir selbst im internationalen Kontext schon kennengelernt haben. Das war eigentlich die Idee.
Peggy Germer: Genau, und daraufhin haben wir im Jahre 2020 eine Tagung durchgeführt, die sogenannte LETE Tagung, Lateral Entry Teacher Education, also eine Seiteneinstiegstagung zum Thema Lehrkräftemangel und Folgen für die Lehrkräftebildung. Geladen waren damals 120 Gäste aus 16 Nationen. Dazu gehörten die USA, Tschechien, Schweden, woraus dann auch die Akteure für das Buch gewonnen wurden. Und man darf nicht vergessen, inmitten dieser großen Coronawelle, die ja im März begann, war alles im virtuellen Format, und so war auch die Tagung im virtuellen Format. Und das war so das erste Mal, dass man wieder groß in Kontakt getreten ist.
Dem Ganzen ging voraus, im Jahre 2019, die Gründung von IMPRESS. Das ist eine Abteilung des ZLSB, die sich mit Internationalität durch Mobilitätsprojekte, Forschung und entsprechende Synergien beschäftigt, wo die ersten Netzwerkpartner quasi rekrutiert wurden.
Ines Röhrborn: Okay, also ist die Idee wirklich langsam und vor einiger Zeit schon gereift. [Axel Gehrmann: Ja.] Die Autorinnen und Autoren im Sammelband kommen ja aus 11 Nationen, darunter Australien, USA, Japan, Schweden, Irland und andere. Wie kam es denn zur Auswahl der Autoren und was zeichnet diese aus?
Axel Gehrmann: Naja, Peggy Germer hat ja schon darauf aufmerksam gemacht. Also wir haben ein Netzwerk, das sich 2018/2019 sukzessive entwickelt, aber wir sind eigentlich im ZLSB schon seit 2014/2015 auch international unterwegs. Und da geht es ja nicht immer nur einfach um die formale Begegnung und das gegenseitige Kennenlernen der unterschiedlichen Bildungssysteme, sondern es entstehen daraus eben auch Projektideen. Und vor dem Hintergrund war schon immer ein Interesse daran, Dinge zusammenzufassen. Und was vereint eigentlich die Länder im Moment sehr stark? Das ist eben der Lehrkräftemangel. So ist das quasi zustande gekommen.
Wir hätten auf der einen Seite viel mehr Akteure integrieren können, weil das Netzwerk viel größer ist als die Länder, aber so ein Produkt zu organisieren ist gar nicht so einfach. Und es kommen auch Länder dazu, bei denen die Akteure dann selbst sagen, das möchten wir dann doch nicht selbst berichten und so. Die Zustände in den Ländern und die Freizügigkeit der Berichterstattung sind sehr unterschiedlich, und in manchen Ländern ist es auch gar nicht so offen gestaltet wie in der Bundesrepublik, dass wir datengestützt eigentlich sagen können, wie es um den Mangel potenziell aussieht. Insofern sind es qualitativ hochwertige Akteure aus den einzelnen 11 Ländern. Wir haben immer versucht, Menschen zu finden, die tatsächlich prägend auch zu dem Thema in dem Land arbeiten. Wir kommen ja gleich noch mal dazu und deshalb auch etwas aussagen können, sodass wir auch Personen dabei haben, die bei der Tagung selbst gar nicht dabei waren und dann aber trotzdem in den Band gekommen sind. Soweit.
Peggy Germer: Genau, und für mich war wichtig, dass nicht nur Partner, die jetzt weltweit renommiert sind, mit aufgenommen werden, sondern auch die Perspektive der Nachbarländer, sodass wir in Tschechien und in Polen Partner rekrutieren konnten. In Tschechien, zum Beispiel, direkt aus der Stadt Ústí nad Labem von der Purkyně-Universität, Dr. Petra Fuková, die sich sehr mit dem kombinierten Studium beschäftigt hat, worauf wir dann später noch mal eingehen. Oder Professorin Joanna Madalińska-Michalak von der Universität in Warschau, die vor allem die Lehrerinnenrolle fokussiert, aber auch den Lehrkräftemangel und die Professionalität alternativer Wege. Oder nennen wir Falk Radisch aus dem Bundesland Mecklenburg-Vorpommern, der das große Ganze, das Komplexe quasi mit betrachtet, die Bedingungsfaktoren, wie kommt es überhaupt zu dem Lehrkräftemangel und wie kann man darauf einwirken?
Ines Röhrborn: Der Sammelband an sich gliedert sich in drei große Teile. Einmal werden Länderporträts vorgestellt, dann alternative Zugänge und zum Schluss empirische Forschung sowie Maßnahmen, um dem Lehrkräftemangel zu begegnen. Professor Germann, Ihr Kapitel in Teil 1 des Sammelbandes lautet: 'Seiteneinstieg und Karrieresprung in den Lehrerberuf'. Worum geht es denn da genau?
Axel Gehrmann: Es ist der Versuch, wie für alle Artikel in dem Band, zu versuchen, ganz systematisch zu beschreiben, was den Lehrermangel eigentlich in der Bundesrepublik ausmacht oder in dem eigenen Land, über den derjenige berichtet. Insofern wird über die Geschichte des Mangels im historischen Kontext nach 1945 berichtet und dann insbesondere die Hinwendung zu den letzten 10 Jahren, als das anfing, stärker in Ostdeutschland zu beginnen, und ich schon sehr früh auch mit Kollegen hier gesagt habe, das wird auch ein Thema in der westdeutschen Situation. Und das war nicht selbstverständlich so vor 10 Jahren, da ist man teilweise noch ausgelacht worden, als gäbe das Thema eigentlich gar nicht wissenschaftlich etwas her. Insofern der Versuch, historisch etwas nachzuzeichnen und gleichzeitig diesen alternativen Weg aufzuzeigen, wie wir in Sachsen mit dem Lehrkräftemangel umgehen.
Ines Röhrborn: Sie waren ja auch selbst eine ganze Zeit lang in Japan Gastprofessor, wo Sie auch Professor Kenji Maehara kennengelernt haben. Sein Artikel trägt eine sehr spannende Überschrift, nämlich 'Zwischen Lehrermangel und dem Wind der Veränderung'. Wie haben Sie diesen Artikel wahrgenommen, nachdem Sie selbst einige Zeit in Japan aktiv waren?
Axel Gehrmann: Der Artikel von Kenji Maehara ist ein sehr langes Produkt des gegenseitigen Austausches miteinander. Es ist eben gar nicht selbstverständlich , dass wir nicht nur nicht die gleiche Sprache sprechen, sondern man muss sich auch inhaltlich auf Themen fokussieren, wie man wissenschaftlich etwas bearbeitet. Und das ist gar nicht so einfach. Insofern haben wir uns lange an den Artikel herangearbeitet, zumal er zuerst eigentlich sagte, na ja, kann ich das überhaupt bearbeiten, denn eigentlich, so wie ihr das meint mit dem Lehrkräftemangel beziehungsweise dem Seiteneinstieg, das Problem kennen wir in Japan gar nicht. Insofern hat er recht, so habe ich es auch wahrgenommen. Das, was wir hier davon ausgehen, dass ungefähr 80.000 bis 100.000 Lehrkräfte in den nächsten Jahren fehlen werden, das bestätigt er erstmal für sein eigenes Land eben nicht und begründet dann auch, warum das der Fall ist. Nichtsdestotrotz sieht er da auch für Japan etwas am Horizont, denn früher in den Hochzeiten der beruflichen Akzeptanz des Berufes gab es teilweise auf ein Beschäftigungsverhältnis bis zu 15 Personen, die sich darauf bewerben konnten. Mittlerweile ist es in Tokio, wohlgemerkt, der Hauptstadt in Japan, wo wir ja eigentlich in Deutschland nie Probleme haben, Menschen zu finden, ist das Verhältnis auf eins zu eins zurückgegangen. Und das vor dem Hintergrund, dass es im Grunde genommen eher in dem Artikel, und das hat er in mehreren Artikeln auch auf Tagungen gesagt, wir in Japan davon ausgehen müssen, dass er von einer leichtgewichtigen Lehrerbildung spricht. Und leichtgewichtig meint hier, dass es eigentlich unsere grundständige Lehramtsstruktur in Japan eigentlich gar nicht gibt. Und dass es eher ein Zusatzstudium ist in einem allgemeinen Studium mit einigen wenigen Credits, und ich nehme mal das Beispiel, wenn unsere Studenten in Deutschland immer von 'wir brauchen mehr Praxis' sprechen, dann ist es in Japan eben so, dass in einem 8-semestrigen Studium, wenn überhaupt, zwei bis drei Wochen Schulbesichtigung mal vorgesehen ist. Und das zeichnet er nach – die Leichtgewichtigkeit und gleichzeitig das Problem, dass, wenn wir über Seiteneinstieg sprechen, wir eigene Programme auflegen müssen, wie jetzt unser BQL Projekt etwa. In Japan ist es eben so: Jeder Student kann im Grunde genommen eine Option für ein Lehramt ziehen im Studium selbst, egal welches, sodass es eine Überproportionalität von Lehramtszertifikaten gibt, und aus diesen Zertifikaten wird dann quasi der Seiteneinstieg rekrutiert, also Leute aus anderen Berufen für den Lehrerberuf gezogen. Insofern sind die Probleme des Bedarfs gegeben, aber sie können anders rekrutiert werden.
Ines Röhrborn: Also es wurde sozusagen in Japan schon vorgebaut?
Axel Gehrmann: Ja, also es ist, da können wir jetzt breit darüber diskutieren, wurde da vorgebaut oder ist es einfach eine ganz andere Lehrerbildung? Es ist immer für die Lehrerbildungsakteure oft nur solitär. Es geht um die eigene Sache und dass wir genug Absolventen haben. Aber im Grunde genommen ist die Lehrerbildung eine zentrale Säule jedes internationalen Hochschulsystems. Und dieses Hochschulsystem in Japan ist eben vollkommen anders gegliedert als in Deutschland. Und ich nehme mal das Beispiel, wir leben von der Länderperspektive. Wir haben 16 Bundesländer und ungefähr 70 Lehrerbildende Einrichtungen mit 80 Millionen oder 85 Millionen Einwohnern. Japan hat 130 Millionen Einwohner und hat über 1000 Möglichkeiten, Lehramt zu studieren. Das heißt, in der Fläche gibt es viel mehr Kontexte, in denen du das Zertifikat potenziell ziehen kannst. Und insofern ist das mit der Vergleichbarkeit. Das merkt man dann eben auch so einem Band an, wie schwer das ist, gleiche Linien zu ziehen, weil sehr unterschiedliche Kulturen sich dahinter verbergen. Also hier eine föderale Struktur, Japan eine sehr zentralstaatliche Struktur, die aber eine Situation auf den über 40 Präfekturen agiert und da eben jeweils eine Lehrerversorgung vor Ort organisiert. Also das ist schon strategisch, ist das vielleicht schlauer, aber ausgebildet sind sie nicht selbstverständlich besser.
Ines Röhrborn: Okay, danke. Welches Länderporträt ist denn für Sie eine Leseempfehlung?
Peggy Germer: Ja, Professor Germann hat ja jetzt gerade von der japanischen Perspektive berichtet, ein bisschen weiter weg, und ich würde gerne auf eine europäische Perspektive eingehen, die ein bisschen dichter dran ist, nämlich wieder auf die tschechische Perspektive. Man glaubt gar nicht, wie ähnlich sich bestimmte Programme sind, und das kombinierte Studium, was Petra Fuková von der Uni in Ústí nad Labem beschrieben hat, ist durchaus vergleichbar. Deshalb habe ich mir ganz besonders diese Perspektive rausgesucht, aber alle anderen sind natürlich genauso lesenswert. Die Personen, die dieses Studium aufnehmen, sind ebenfalls in der Schule. Sie sind um die 40 Jahre. Sie haben Kinder und sie schätzen die Verbindung zwischen dem Studium und dem Beruf. Aber auch, unter der Perspektive, dass es sehr anspruchsvoll ist – so haben sie sich geäußert – sehen sie dieses Studium sehr schwierig an. Und wichtig ist, glaube ich, ein paar Details da im Hintergrund zu wissen. Nach der politischen Wende ist Russisch als Fach weggefallen, und dafür sind dann die Schulen quasi andere Fächer nachgerückt, unter anderem Englisch und Deutsch als Fremdsprache. Für Deutsch als Fremdsprache gab es so gut wie keine ausgebildeten Lehrer. So dass zunächst unqualifizierte Lehrkräfte – unqualifiziert im Sinne für Deutsch – eingestellt worden sind, und späterhin die tschechische Regierung ein Programm auferlegt hat, dass alle qualifiziert werden müssen. Und die Uni in Usti hat sich dem angenommen und hat ein Programm aufgelegt, was ein bisschen abweicht von unserer Perspektive. Wir haben ja auch so ein Programm, BQL, die berufsbegleitende Qualifizierung von Lehrkräften, wo die Personen an zwei Tagen zu uns kommen, für die zwei Tage freigestellt sind und sechs Abminderungsstunden bekommen. Und in Tschechien ist es so, dass die Personen auch zwei Tage nachqualifiziert werden, aber Freitag und Samstag. Und am Freitag geht's 14 Uhr los bis 21 Uhr, und am Samstag geht's von 8 bis 21 Uhr ohne Abminderungsstunden, alles on top, mit einem hohen Selbststudienanteil. Und die Personen haben sechs bis acht Semester, je nachdem, ob der Abschluss dann ein Bachelor oder ein Master ist. Das ist bei uns nicht so, dass da differenziert wird zwischen Bachelor und Master im Abschluss. Bei uns gibt's danach eine Lehrbefähigung für die Schulen, aber wir haben in der Regel vier Semester. Also man sieht schon: ähnliche Situation, die existiert, unterschiedliche Reaktionen darauf, und trotzdem ist es vergleichbar. Und ich finde, dass es so dicht dran ist, lohnt sich, weil man ganz einfach dann auch die Perspektiven mit übernehmen kann, sich austauschen kann. Oh, ich will nicht zu viel spoilern, das Buch soll ja noch gelesen werden.
Ines Röhrborn: Genau.
Axel Gehrmann: Aber vielleicht noch, ich ergänze noch mal in Bezug auf Polen. Das hat mich sehr fasziniert. Der Beitrag ist sehr detailreich in Bezug auf die Woiwodschaften, tatsächlich sogar, wie konkret der Mangel sich ausgestaltet und wie schwierig es ist, überhaupt alternative Programme aufzulegen. Das hat eine ungemeine Tiefe, wo die Kollegin sehr dezidiert versucht, einfach aufzuzeigen, wie komplex das Phänomen eigentlich ist und wie stark eben auch, was wir ja auch erleben, diese Stadt-Land-Gefällesituation ist. Das ist dort natürlich noch viel stärker als bei uns gegeben, weil die Modernisierungsgrade eben sehr unterschiedlich sind. Also sehr detailreich, und das war wirklich faszinierend. Und das Zweite – nehmen wir mal so einen Gegenpol – in Bezug auf die westliche Hemisphäre, das, was Richard Ingersoll über die USA beschreibt, ist eben auch sehr faszinierend, weil er sehr früh schon vor 20 Jahren so etwas eingeführt hat, was jetzt in Deutschland auch stärker noch thematisch wird: das ist die Lehrkräfte-Pipeline. Die Amerikaner haben schon immer von Pipeline gesprochen. Also wie ist das mit der Durchlässigkeit, wie viele Leute werden eingestellt und so weiter. Und das kann man gut bei ihm nachvollziehen, über das ganze Land. Und das Zweite ist eben, ein Verständnis dafür zu entwickeln, dass er auch noch mal dezidierter versucht, gar nicht über die Programme zu sprechen, die sind nicht vielfältig in den USA. Den Lehrerberuf – er will immer die grundsätzliche Pipeline aufrechterhalten und mehr Leute gewinnen. Die Schwierigkeit, die er sieht in den USA, ist eben, und darüber denken wir noch gar nicht nach: Er sagt, es entstehen immer wieder neue Bedürfnisse nach neuen Lehrkräften, weil es zu viele, in seinem Sinne, schlechte Schulen gibt, wo immer wieder Seiteneinsteiger hin müssen, weil es nicht genug grundständige gibt, die dort verbleiben. Und dadurch muss die Pipeline immer wieder gefüllt werden. So weit sind wir in unserer Forschung noch gar nicht, darüber nachzudenken, wer wird denn da eigentlich in die Pipeline eingespeist und was ist da eigentlich besonders thematisch. Da finde ich ihn sehr interessant.
Ines Röhrborn: Forschung ist auch ein gutes Stichwort zum Überleiten, weil der dritte Teil des Bandes ja auch die empirische Forschung darstellt und erfolgreiche Beispiele aus der Lehre vertieft. Sie, Herr Professor Germann, haben am Ende drei Modelle entwickelt, die es ermöglichen, dem Lehrkräftemangel zu überwinden oder eben zu begegnen. Welche sind das und wie wirken diese?
Axel Gehrmann: Na ja, ich würde jetzt nicht sagen, eher zu begegnen, nicht zu beheben. Die Modelle sind eben sehr unterschiedlich, aber es ist eigentlich ein Versuch zu sagen, es gibt eher eine etatistische Hinwendung zur Behebung des Mangels. Das heißt, die staatliche Gemeinschaft kümmert sich darum und nicht private Menschen oder Institutionen tatsächlich versuchen, dem Mangel zu begegnen. Das ist so das deutsche Modell oder eben auch das schwedische Modell. Dann haben wir diesen angloamerikanischen, im Kontext, sagen wir mal, des New Public Management, dieses Modell, das eben sehr marktorientiert ist und dann sagt, na ja, wir bauen vielleicht Institutionen auf, die notwendig sind und die machen eine Versorgung dann für das ganze Land, vielleicht digital. Und wo der Staat dann sagt: 'Let it be'. Wir werden sehen, irgendwie wird sich das schon finden und jeder County ist dann dafür selbst verantwortlich, wie viele Lehrkräfte er eben für sich organisiert, was uns ja sehr fremd ist, also so einer etatistischen Perspektive. Und das japanische Modell ist eben vollkommen anders. Also es ist einfach der Versuch einer Überproduktion beziehungsweise es ist ein anderes Modell überhaupt von Universität. Wir denken ja in Bezug auf den Lehrerberuf, sagen wir vorsichtig, dass es berufsvorbereitend, berufsqualifizierend, direkt in die Pipeline des Berufes führt. In Japan gibt es eigentlich überhaupt keine Studiengänge, die direkt in eine Berufstätigkeit führen, oder damit verbindet man eigentlich gar keine Berufstätigkeit, denn es ist immer 'Learning on the Job' später in einer Institution, in einer Verwaltung, öffentlichen Verwaltung oder in einem Unternehmen. Letztlich ist in Japan vollkommen egal, was du studierst, wenn du die Zugangsprüfung vielleicht für unterschiedliche Unternehmen dann gewinnst. Oder wichtig ist, an welcher Universität du studiert hast, aber da ist es vollkommen irrelevant, was du studiert hast. Also Überproduktion im Sinne von: Jeder zieht, oder viele Menschen ziehen, die Option fürs Lehramt, obwohl sie es nicht wollen, weil sie später sagen, vielleicht will ich mal den Beruf wechseln. Also es sind drei unterschiedliche Modelle: eher eine etatistische – der Staat kümmert sich; eher ein Laissez-faire; und die andere Variante ist Überproduktion in Kauf nehmen und dann gezielt aber 'Learning on the Job'.
Ines Röhrborn: Der internationale Band erschien ja dieses Jahr im Februar und innerhalb von 4 Monaten sind auf diesem Open-Access-Book schon über 21.000 Klicks erfolgt. Wer ist denn die Zielgruppe und wie stellen Sie sich diesen Erfolg vor?
Peggy Germer: Ja. Wir können es natürlich nicht 100% prüfen, aber wir nehmen an, dass die Zielgruppe zunächst Bildungsakteure sind, die an den Universitäten und Hochschulen unterwegs sind. Zum anderen natürlich Ministerien, die damit beschäftigt sind, Bildungsakteure aus weiteren Ämtern, mal grob gesprochen, interessierte Personen aus Politik und Bildung und vielleicht der eine oder andere Netzwerkpartner, der seine Studierenden, aber auch seine Dozierenden im Bereich alternative Lehrkräftebildung dazu animiert hat, zur Leserschaft zu gehören. Aber es wäre natürlich eine spannende Forschungsfrage das herauszukriegen. Weil 21.000 ist natürlich schon beachtlich. Wir haben ja unterschiedliche Forschungsnetzwerke, wo man online zugreifen kann. Und ich denke, dass mit dem Springer-Verlag da durchaus eine große Breite erreicht worden ist, weltweit einen freien Zugang zu ermöglichen und sich die Inhalte des Buches anzueignen.
Ines Röhrborn: Also jedenfalls ein ganz tolles Ergebnis.
Peggy Germer: Ja. Danke.
Axel Gehrmann: Also es führt unter anderem auch dazu, dass wir jetzt auch zu Tagungen eingeladen worden sind von Menschen, die man gar nicht kennt. Also, die in dem Kontext gar nicht da sind. Und das ist jetzt auch schon mehrfach vorgekommen, dass es da Rückfragen gibt. Und mein Eindruck ist, dass dieses Forschungsthema, Lehrkräftemangel oder alternative Wege in den Beruf, was damit verknüpft ist, überall von einer eher randständigen Position in die Mitte rückt, sodass da plötzlich Interessen entstehen und man aus der Marginalisierung herauskommt. Man ist jetzt durchaus eher froh und denkt sich: Da ist es also ähnlich. Das haben wir jetzt öfter, dass Bildungsakteure nachfragen. Das ist ein schönes Ergebnis. Und darauf war es ja auch abgezielt.
Ines Röhrborn: Ich stelle mir das ja trotzdem als ein ganz großes Mammutprojekt vor, so 11 Nationen und die Autorinnen zusammenzubringen. Hat ja auch eine gewisse Zeit gebraucht bis zur Veröffentlichung. Was gibt es denn als nächste Publikationsidee für die nähere Zukunft?
Axel Gehrmann: Na ja, wenn man noch kurz darauf eingeht, ja, das hat lange gedauert. Die Tagung war 2020. Wir hatten Corona, und überhaupt die Menschen ins Arbeiten zu bringen. Ich habe schon öfter mal Herausgeberschaften gehabt. Das ist auch in Deutschland nicht einfach, aber wenn Sie das international noch machen müssen, dann diese Krisensituation haben, dann auch ein Verlag, der international agiert, aber international auch in einem bestimmten Stil kommuniziert, an dem man sich gewöhnen muss, dann dauert das eben auch ein bisschen. Da haben wir von gelernt, gleichzeitig profitieren wir quasi von den Netzwerken. Ja, das nächste, was wir auf jeden Fall machen werden: Wir haben jetzt zur berufsbegleitenden Qualifizierung, BQL, was wir ja seit 2016/2017 machen, zu dieser Qualifizierung haben wir immer wieder Empirie erhoben, und die wollen wir jetzt mal finalisieren. Das heißt, wir wollen das Datenmaterial aus den letzten Jahren zusammenfassen. Wir haben ja nicht nur die Beschreibung der Struktur über den Lehrkräftemangel jetzt im Freistaat, sondern wir können eben sagen, wie ist das bundesrepublikanisch angebunden, und wir haben dann eben das eigene Material über die unterschiedlichen Schularten, über die unterschiedlichen Fächer. Wir haben ja mittlerweile, da bin ich auch sehr stolz drauf, mit angeregt, dass überhaupt neue Promotionen zu dem Thema entstehen. Das heißt, das Thema verselbstständigt sich jetzt im Grunde genommen, und das ist ja toll, und wir versuchen, also diese sächsische Perspektive noch einmal einzufangen und zu sagen, okay, das ist jetzt unser Produkt, das ist unsere Empirie, und dann wollen wir auch in weitere Empirie quasi übergehen, denn der Seiteneinstieg geht ja weiter. Aber bestimmte Themen muss man jetzt einfach noch mal auch anders angehen, denn wir wissen jetzt, wie alt sind die Seiteneinsteiger, was ihre habituellen Orientierungen, was sie für pädagogische Vorerfahrungen haben. Das ist im Grunde auch verrückt, selbst international alles so wahnsinnig ähnlich. Du kannst, wir sind in Australien gewesen, stellen die Daten vor, und die Kollegin Marylin aus Melbourne sagt: 'Wow, Axel, ja, so ist bei uns auch.' Also, es gäbe so einen weltgesellschaftlichen Kontext zu der Sache, und das ist schon faszinierend, und wir fassen das kurz zusammen.
Peggy Germer: Genau. Neben der Empirie ist natürlich noch wichtig, dass wir unsere Good-Practice- und Best-Practice-Beispiele vorstellen. Das Dresdner Modell ist ein Erfolgsmodell, das bundesweit sichtbar ist, und ich glaube, es lohnt sich, da mal in die Fächer reinzuschauen, mit welchen Methoden, mit welchen didaktischen Modellen man vorgeht, um die Lehre wirklich erfolgreich umzusetzen. Und diese, in der Regel zwei Jahre pro Fach, die Qualifikation gut und am besten über die Bühne zu bringen.
Ines Röhrborn: Da wünsche ich ganz viel Erfolg für die nächste Publikationsrunde. Und mich würde noch interessieren, ob es irgendwas gibt, was Sie persönlich aus diesem Sammelband oder aus den einzelnen Artikeln so mitnehmen, was ihre Sichtweise neu oder vielleicht auch nachhaltig beeinflusst hat.
Peggy Germer: Ja, dann fange ich einfach mal an. Ich denke, das, was Professor Germann schon sagte, die Gleichheit des Problems, manchmal auch gleiche Lösungsansätze, obwohl uns 20.000 km trennen, aber auch die unterschiedliche Herangehensweise an bestimmte Fragen, die Einbindung in Strukturen im Land und Bildungsakteure, die unterschiedlich verortet sind. Und wenn ich noch mal auf Australien zurückkommen darf, was mich fasziniert hat, dass nicht der Faktor Geld das Entscheidende ist, um in der Mitte des Berufslebens zu wechseln, sondern die intrinsische Motivation, der Gesellschaft etwas zurückzugeben, etwas zu tun für die schulische Bildung und damit Zukunft zu gestalten. Und ich würde doch gerne noch mal auf das zurückgehen, was Herr Germann sagte, hinsichtlich der Publikation, weil es ja immer darum geht, was hat mich so bewegt an dem Sammelband. Also über eine Strecke von fünf Jahren mit den internationalen Partnern zusammenzuarbeiten, auch die Geduld, die Antinomiefähigkeit, manchmal unklare Situationen auszuhalten. Der Russlandkrieg gegen die Ukraine ist zwischenzeitlich ausgebrochen. Der Überfall bei Israel. Das alles schwingt natürlich mit rein in diesen Tagungsband, in die Zeiten und Fristen, und ich bin überaus dankbar, dass wir am Ende den ersten englischsprachigen Band vom ZLSB herausgeben konnten mit so vielen Akteuren, die bis zum Schluss dabei geblieben sind.
Axel Gehrmann: Also für mich ist die Situation der Menschen vor allen Dingen noch mal nachhaltiger geworden: Wer entscheidet sich eigentlich für den Beruf? Und ich bin froh zu sehen, dass überall in der Welt es so etwas wie ein besonderes Interesse an der Tätigkeit gibt. Wir müssen nach wie vor, glaube ich, nicht selbstverständlich Menschen zwangsrekrutieren oder so. Das ist das eine. Also wir finden auch im älteren Kontext Menschen auf einem Arbeitsmarkt, auf den wir quasi eingehen können. Und das Zweite ist, dass in anderen Ländern man viel gelassener mit Veränderungen des Beschäftigungssystems umgeht oder dass sogar diese Veränderungen immer auch antizipiert. Das heißt, wir sind sehr fokussiert in Deutschland auf unsere grundständige Lehramtsstruktur, und die muss unbedingt sein, und das kann nur so gehen und nirgendwo anders, nie anders. Und das wird in anderen Ländern viel gelassener genommen und dennoch produzieren sie ja, wenn man dann im internationalen Vergleich die Outputs des Bildungssystems, also des Schulsystems, sieht, dennoch nicht gigantisch schlechtere oder gigantisch bessere Ergebnisse. Und das sollte uns doch sehr nachdenklich machen. Wir investieren ungemein viel Geld in die grundständige Lehramtsausbildung und nutzen gar nicht, was auch Maehara zum Beispiel sagt, mit den Seiteneinsteigern: Die können ja auch so ein bisschen frischen Wind in die Einrichtung bringen. Also warum nutzen wir das nicht viel gezielter? Warum ist es nicht möglich, Karrieren zu wechseln? Warum ist es nicht selbstverständlich, erst ein Unternehmen zu gründen und dann Lehrer zu sein und das nicht als sozialen Makel zu nehmen und so weiter? Das sind Dinge, die sind bei mir sehr stark verankert eigentlich. Also wir sind sehr starr, und auf der anderen Seite wundert mich dann doch wieder, dass wir es in Sachsen geschafft haben, überhaupt einen alternativen Weg hinzubringen, in so einem deutschen verbürokratisierten System.
Ines Röhrborn: Ja, vielen Dank. Also ich habe jetzt Leselust bekommen, weil ich merke, dass da ganz viel Herz drin steckt, auch wirklich zwischen den Zeilen ganz viel Geschichte mitschwingt, auch internationale Geschichte und natürlich die Protagonistinnen oder Autorinnen alle eins verbindet, nämlich Bildung möglich zu machen und natürlich auch Lehrkräfte, gute Lehrkräfte in die Praxis zu entlassen und Wege zu finden, dass Kinder und Jugendliche Bildung erfahren. Von daher, denke ich, ein Buch, das lesenswert ist. Es war mir heute eine Freude, zu meiner Linken Herrn Axel Germann hier zu haben und zu meiner rechten Dr. Peggy Germer. Vielen, vielen Dank, dass Sie da waren. Und das war unsere vierte Folge unseres ZLSB Buchpodcasts mit dem Titel Lesezentrum. Wir hoffen, dass auch Sie und Ihr Neugier auf dieses Buch entwickelt und blättert und auch klickt, damit wir auch diesen Klick mitzählen können. Und wir würden uns freuen, wenn Sie wieder reinhören in unseren nächsten Buchpodcast. Bis zum nächsten Mal. Wir freuen uns auf Sie.