Mar 28, 2020
Homeschooling im Krisenmodus
Drei Väter, die auch Politikdidaktiker sind und abends Zeit haben über ihre “vorbildlich” homebeschoolten Kinder nachzudenken, schreiben gemeinsam über die Erfahrungen der ersten 10 Tage. Hoffnung und Leid liegen eng beisammen und der Wunsch nach mehr Mut zur Lücke eint.
Als uns vor 10 Tagen die Nachricht der bevorstehenden Schulschließungen erreichte, mischte sich unter die Befürchtungen hinsichtlich der anstehenden Herausforderung auch Hoffnung. Hoffnung, die Krisensituation würde dem System Schule einen Schub geben, digitale und moderne Lernmethoden würden Einzug erhalten, das Primat des strengen Lehrplanbezugs sich zugunsten offener, mit Blick auf die Situation, anwendungsbezogener Aufgaben verschieben. Von unterschiedlichen Seiten wurden wir mit tollen Lernplattformen, kostenlosen Verlagsangeboten, täglichen Maussendungen und Politikstunden überschüttet. Leider fehlt aktuell, man möchte es kaum glauben, häufig die Zeit, all diese Angebote mit den eigenen Kindern zu erforschen.
Unsere im Folgenden dargelegten Beobachtungen und Einschätzungen basieren, neben Gesprächen mit Lehrer*innen und Eltern, auf unseren Erfahrungen mit derzeit sechs eigenen schulpflichtigen Kindern im Homeschooling-Betrieb. Unsere Kinder besuchen staatliche und nichtstaatliche Grund- und Oberschulen. Die Aufgaben, die ihre Lehrer*innen nach Hause übermitteln, unterscheiden sich von unstrukturierten Stapeln mit Kopiervorlagen, über klare Pläne bis hin zu sehr freien, individuell zugeschnittenen Aufgaben. Öffentliche Lernplattformen kommen genauso zur Anwendung, wie eigene Schul-Clouds oder einfache E-Mailanhänge. Bereits hier wird die Vielgestalt der aktuellen Situation deutlich.
Die gegenwärtige Situation ist darüber hinaus für alle eine besondere, in der jede und jeder mit sehr unterschiedlichen Voraussetzungen nach Wegen zur Bewältigung sucht. Wir wollen ausdrücklich weder Lehrer*innenbeschimpfung betreiben, noch in den vielerorts erklingenden Abgesang auf die mangelnden Fähigkeiten digitaler Lehre des Schulsystems einstimmen. Mit dem vorliegenden Text möchten wir nach einer guten Woche Homeschooling, die gemeinsam geteilten Erfahrungen kondensieren und diese allgemeinen didaktischen Überlegungen zuführen. Er ist als eine Momentaufnahme zu verstehen, in der wir erste Gedanken und Rückschlüsse skizzieren, die durchaus der Doppelrolle als Väter und wissenschaftlich-pädagogisch Forschende entspringen. Dabei sind wir uns unserer privilegierten Situation bewusst, in der wir dank flexibler Home-Office-Zeiten unsere Kinder gut betreuen können.
Wer hat der kann, aber alle müssen!
Mit der zeitweisen Außerkraftsetzung der Schulbesuchspflicht in Deutschland hat der Hausunterricht Einzug in die Familien aller Milieus gehalten. Homeschooling ist in aller Munde und hat doch nur wenig mit dem Heimunterricht vergangener Zeiten gemein. Wenngleich es vielerorts nicht an Aufgaben mangelt, so ersetzen Eltern den Hauslehrer in all seiner Aufgabenvielfalt, oder werden zumindest zu Hilfslehrer*innen, die die schulischen Aufgaben verwalten und strukturieren müssen. Vor dem Hintergrund bildungsnaher und -ferner Milieus entfaltet die ohnehin bestehende Bildungsungerechtigkeit im deutschen Schulsystem eine unheilvolle Wirkung, die sich in der aktuellen Situation noch verschärft.
Bereits die voraussetzungsreichen Forderungen von Bildungspolitiker*innen, die Schulen mögen jetzt den Unterricht in den digitalen Raum verlagern, verweisen auf die strukturelle Missachtung der ungleichen Chancenverteilung. Wie Unterricht in einer Klasse organisiert werden soll, in der es Schüler*innen gibt, die außer einem Smartphone mit sehr beschränktem Datentarif kaum Möglichkeiten haben auf Lernplattformen zuzugreifen, ganz zu schweigen von nicht vorhandenen Druck- und Kopiermöglichkeiten, wird dabei kaum thematisiert. Aus Elternsicht werden eigene Privilegien dann deutlich, wenn man sich die Grundlagen des schriftlichen Dividierens mit Hilfe des Schulbuchs und einem Erklärvideo selbst erschließt, um dem eigenen Kind die bisher fehlenden Grundlagen zur Bewältigung der gestellten Aufgaben didaktisch angemessen zu vermitteln und nebenher die gestellten Aufgaben in Schulbuch und Aufgabenheft in curricular logische Reihenfolgen bringt.
Gemeinsam ist den vielen kleinen Hausschulen hingegen, die stark reduzierten sozialen und physischen Kontakte außerhalb der eigenen Familie. Der tägliche, direkte Austausch mit anderen Kindern, das gemeinsame Spielen auf dem Pausenhof, die Auseinandersetzung mit verschiedenen Lehrer*innentypen und der motivierende Moment des gemeinsamen Arbeitens sind vorläufig ersatzlos gestrichen. Eingetauscht gegen die Enge der eigenen vier Wände, dem ständigen Kontakt mit Eltern und Geschwistern, verschärft sich diese Form der Isolation zusätzlich durch den vielerorts entstehenden ökonomischen Druck auf die eigenen Eltern. So ist auch die familiäre Verbundenheit einem pädagogisch sinnvollen Vorgehen nicht immer dienlich und trägt nicht zur Entspannung problematischer Lehr-Lern-Situationen bei. In dieser Situation eines allgemein erhöhten Stresslevels sollen die Schüler*innen und Eltern mit bisher weitestgehend unbekannten und nicht betreuten Lernformen vorgegebene Inhalte bearbeiten. Homeschooling im Krisenmodus.
Was kommt zu Hause an? Einige Beobachtungen
Wie bereits formuliert, sind die Erfahrungen der ersten Tage im neuen Modus sicherlich unterschiedlich - auch unter uns. Lehrer*innen waren selbst von den Ereignissen überrascht oder gar überrollt. Unsere Erfahrungen reichen von einfühlsamen persönlichen Briefen und guten Wünschen an die Schüler*innen bis zu schroffen ersten Mitteilungen, in denen angekündigt wird, dass Aufgaben bewertet werden und Klausuren und Tests in der ersten Nach-Corona-Woche folgen.
Beginnen wir mit den hoffnungsvollen Erfahrungen.
In mehreren Fällen wurde den Kindern Zeit gegeben, in dieser herausfordernden Situation anzukommen. Die Lehrer*innen haben sich bewusst ein paar Tage Zeit genommen, um gemeinsam einen probaten Weg für die Gestaltung der Homeschooling-Zeit zu beraten und fächerübergreifend zu koordinieren. Den Schüler*innen wurde dies in einem entsprechenden Lehrer*innenbrief auch transparent gemacht. Dementsprechend war eine erste Aufgabe zunächst das Verfassen eines kurzen Briefes, in dem die Schüler*innen die Möglichkeit hatten, ihren Gefühlen und Erlebnissen in der aktuellen Situation Ausdruck zu verleihen.
Darüber hinaus betonen die Pädagog*innen in diesen Fällen häufiger das Bestreben, sozial miteinander in Kontakt zu bleiben - nicht nur als funktionalistisches Nachfragesetting in einer stereotypen Lehrer*innen-Schüler*innen-Hierarchie, sondern als ernst gemeintes Kommunikationsangebot zur Aufrechterhaltung der pädagogischen Beziehung.
Eine weitere wichtige Beobachtung betrifft die Gestaltung der gestellten Lernaufgaben. Neben den üblichen Arbeitsblättern für unterschiedliche Themenbereiche, gibt es vor allem projektorientierte Aufgabenstellungen, die zu Selbsttätigkeit animieren. So verlangt etwa eine Aufgabe, dass sich die Schüler*innen in Wohnortnähe ein Pflanze aussuchen, sie zeichnerisch erfassen und ein Beobachtungsprotokoll darüber anlegen, wie sich die Pflanze im Zuge des Frühlings verändert. Bei einer anderen Aufgabe soll herausgefunden werden, wo sich im häuslichen Umfeld überall Mathematik verbirgt. Am Ende sollen die Ergebnisse in Form eines Plakats festgehalten werden, wobei die Bearbeitungswege und zu nutzenden Materialien bewusst offen gehalten werden. Eine andere Kolleg*in ändert den Stoffplan in Englisch dahingehend, dass Sie ein spannendes Buch aussuchte, dass die Schüler*innen in selbst gewählten Portionen lesen sollen.
Die Aufgaben zeichnen sich zudem durch einen hohen Grad an Differenzierung aus. Sie sind zum einen in einen kleineren obligatorischen Teil und einen breiten Pool an fakultativen Aufgaben und weiterführenden Angeboten aufgeteilt, sodass die Schwerpunktlegung den Interessen der Schüler*innen entspricht. Zum anderen sind die gesamten Aufgabenpakete individuell auf einzelne Kinder und ihren jeweiligen Lernstand angelegt.
Eine abschließende Beobachtung bezieht sich auf die (selbstständige) Durchführung der Aufgaben. Durch den beschriebenen Charakter wird spürbar eine Last von den Schüler*innen genommen und die Beschäftigung mit “schulischen Themen” wird keine Bearbeitung um der Aufgaben willen, sondern eine tiefgründige Beschäftigung mit der jeweiligen Thematik.
Leider gibt es auch die vielen weniger positiven Beispiele, die wir im Folgenden verallgemeinernd zusammengefasst haben. Die Gespräche in Bekannten-, Freundes- und Kolleg*innenkreisen zeigen häufig, dass zwar einzelne Fächer Pläne entwickelt haben, es aber kein gemeinsames Ziel gibt, wie man diese Zeit produktiv nutzen kann, ohne dass beispielsweise Schüler*innen, die Lernschwierigkeiten haben, auf der Strecke bleiben. Viele Pädagog*innen halten in einem ersten Reflex an ihren Fachstrukturen und Stoffverteilungsplänen fest und delegieren dadurch automatisch die Wissensvermittlung an die Eltern. So erleben wir diese Phase als eine Verschiebung der Aufgabe der Didaktisierung des zu lernenden Stoffs von der Schule in die Elternhäuser. Wenn etwa Aufgabenpläne schon in ihrer Formatierung dem Lehrplan gleichen, wird klar, dass das Erlernen neuen Wissens, gerade in den unteren Grundschulklassen begleitet werden muss. Auch in der weiterführenden Schule machen wir in Gesprächen die Erfahrungen, dass eine sehr engmaschige Betreuung, nebst viel Motivation und erklärender Aufbereitung geleistet werden muss. Geschieht dies nicht, findet zunehmend ein Ausweichen statt. Zu einer wirklich selbstständigen Bearbeitung der Lernpläne kommt es nur bei wenigen.
Diese Form der Aufgabenbeschulung, führt zu einem erhöhten Stresslevel in vielen Haushalten. Kinder und vor allem Teenager erleben hier ihre Eltern immer häufiger als verlängerten Arm der Schule. Neben den alltäglichen Konflikten dieser sozialen Sondersituation, treten nun noch schulischer Druck, der von den Eltern überwacht und aufrechterhalten werden muss. Unmittelbar negative Auswirkungen auf die Eltern-Kind-Beziehung können eine Folge sein. Aus einer sinnvollen Beschäftigung, die zur Überbrückung dient, wird so schnell das Abarbeiten von losen Aufgabenlisten, deren motivationale Antreiber*innenrolle die Eltern zwangsläufig übernehmen müssen. Und uns dämmert schon, dass es bei “Motivation” in vielen Haushalten nicht bleiben wird, sondern auch der Weg zu “Sanktionen und Strafen” in dieser Vorgehensweise schon angelegt ist. Die ersten Berührungspunkte der neuen Lernsituation für Schüler*innen unter einen Abgabe- oder Benotungsdruck zu stellen oder gar für die erste Präsenzwoche nach der Corona-Zeit Kontroll- und Klausurtermine in Aussicht stellen, ist wirklich deplaziert.
Die aktuelle Situation offenbart strukturelle Probleme
Auch wenn die beschriebenen Erfahrungen zunächst nur aus zahlenmäßig wenigen Beobachtungsfällen entstanden sind, lassen sich einige Kernelemente zusammenfassen. Beginnen wir mit dem, was in der momentanen Ausnahmesituation eine der größten Herausforderungen darstellt. Nicht die Frage, was Schüler*innen in vier Wochen oder gar bis zu den Sommerferien an Wissen und Kenntnissen “verpassen” könnten, sollte hier die Hauptrolle spielen, sondern die Frage, was in der gleichen Zeit im sozialen Gesamtsystem des Miteinander-Lebens-und-Lernens passiert.
Von Abschlussklassen abgesehen, für die gesonderte Maßnahmen erforderlich sind, entscheidet sich der Lernerfolg von Schüler*innen nicht in wenigen Wochen eines Ausnahmezustandes. Und gerade aus diesem Grund lassen sich aus unserer Sicht neben einigen guten Beispielen auch besorgniserregende Tendenzen absehen.
So steht durch die “Torschlusspanik” (durchaus auch auf Elternseite) Schüler*innen würden nicht recht vorankommen und der an manchen Orten unkoordinierten Aufgabenverteilung ein erheblicher Einfluss auf die gesamte Familienatmosphäre zu befürchten. Unserer Beobachtung nach geht es hier auch nicht darum, dass Kinder und Jugendliche grundsätzlich zu Hause stören und ihre Eltern vom “Homeoffice” abhalten, es ist vielmehr die unangepasste Lernsituation, die den Stress maximiert.
Es scheinen aber auch schon weitere Aspekte auf.
Eine Beschulungskultur, die das analoge Lernen lediglich in die Küchen und Wohnzimmer nach Hause verlegt und dabei vernachlässigt, dass Lernen immer auch ein sozialer Prozess ist, zeigt, dass unser Bildungssystem im Bereich der Digitalisierung, des intelligenten und differenzierten Lernens nicht nur nicht auf eine solche Situationen vorbereitet ist, sondern in der Fläche auch im normalen Schulbetrieb zu wenig mitgedacht wird. Dieser Einschätzung gilt es selbstverständlich auch die positiven Beispiele entgegenzuhalten, auf die wir ja hingewiesen haben. Und nichts würde uns mehr freuen, als dass als Reaktion auf diesen Artikel von positiven Beispielen berichtet würde, damit sie in die Fläche wirken können. Bis dahin wird allerdings aus unserer Sicht auch deutlich, dass Kinder und Jugendliche es eben in der Präsensschulzeit auch wenig gewohnt sind, ihre Zeit selbstständig einzuteilen, Aufgaben selbstständig zu wählen und zu bearbeiten und zu kontrollieren, sonst müssten Eltern nicht in dieser Weise Betreuungsarbeit leisten. Insofern führt die jetzige Situation auch manch methodisches Defizit der Schüler*innen schmerzlich vor Augen, wie etwa die Fähigkeit angemessen zu recherchieren, digitale Medien kritisch und sinnvoll einzusetzen oder mit jetzt vorgegebenen Plänen selbstverantwortlich zu arbeiten.
Diese Probleme verweisen selbstverständlich auch auf Defizite und Reserven unser eigenen Profession. Als diejenigen, die für die universitäre Lehrer*innenausbildung mitverantwortlich sind, gibt uns die aktuelle Entwicklung ebenfalls Hausaufgaben auf den Weg. Wie können wir noch stärker als bisher eine fachbezogene Lehr-Lernkulturfördern, die Selbstkompetenz der Schüler*innen nicht nur auf den Umgang mit Medien, politischen Urteilen und simulativen Handeln bezieht, sondern die Wahl der Inhalte und Methoden selbstverständlich mit einbezieht.
Das Gute behalten - Chancen und Wege
Wie wir anfangs betonten geht es hier nicht darum Lehrer*innen dafür zu schelten, dass sie sich selbstständig oder nach Plan von Schulleitungen darum bemühen, Schüler*innen das Weiterlernen in schwierigen Zeiten zu ermöglichen. Wir befinden uns in der ersten Phase dieser Entwicklung. Viele Kolleg*innen und auch Familien mussten sich zunächst um basale (auch eigene) Dinge kümmern. Da ist es völlig normal, dass sich Vieles erst einspielen muss und das darf es auch. Jenseits dieser Feststellungen lassen sich aber auch grobe Fehler vermeiden und Chancen nutzen. Einige solcher aus unserer Sicht fruchtbaren Wege führen wir hier am Ende kurz auf:
Zur Bedeutungsebene des “Krisenschooling”
Alle Beteiligten sollten die aktuelle, besondere soziale Situation mitbedenken und das eigene System (Schule) in den Zusammenhang mit anderen systemischen Herausforderungen (z.B. Erwerbsarbeit, Gesundheit, Pflege-und Fürsorge etc.) stellen. Dazu gehört auch, im Blick zu behalten, dass es für manche Schüler*innengruppen zunächst darauf ankommt, sicherzustellen, dass sie überhaupt an den gewählten (digitalen) Formaten partizipieren können. Hier geht es auch um basale Fragen, wie viele Computer in einem Haushalt, für wie viele Menschen und mit welcher Bandbreite zur Verfügung stehen.
Zielebene des “Krisenschooling”
Die Zeit des “Krisenschoolings” sollte aus unserer Sicht dazu dienen, Anregungen zur Eigeninitiative zu geben (Allerdings nicht mit der ständig wiederkehrenden Aufforderung “Recherchiere!”). Sie sollte die Selbstkompetenz fördern sich mit Gegenständen zu beschäftigen. Das alles bedeutet, sich viel stärker als bisher auf die individuellen Lernanlässe und Bedürfnisse der Lernenden einzulassen. In dieser Weise stellen die Förderung der Freude am Lernen und an der Erschließung neuen Wissen wichtige Ziele für die Planungsprozesse dar. Kleine Forschungs- und Beobachtungsaufgaben sind hier gut geeignet. Es bedeutet auch die Situation als Chance für neue Lernerfahrungen zu sehen und nutzen zu wollen, statt den Wissenserwerbsdruck in die Familien zu verlagern.
Prinzipien des physisch distanzierten Lernens
Die sozialen Aspekte des Lernens müssen einbezogen werden. Wenn Dinge erarbeitet, Poster gestaltet, Interviews geführt werden, müssen die Ergebnisse irgendjemandem präsentiert werden, sonst fehlt ein entscheidender sozialer Aspekt des Bildungsprozesses. Dieses Erfordernis wird auch nicht durch das Abgeben von Aufgaben eingelöst. Hier sind tatsächlich digitale Formate vonnöten, in denen man anderen Lernenden selbst begegnet und einen Austausch ermöglicht. Eine solche punktuelle Vernetzung ist im übrigen nicht zu verwechseln mit einer ständigen Präsenzpflicht in “virtuellen Klassenzimmern” analog zur bisherigen Unterrichtszeit.
Qualität der Arbeitsaufträge/Lernanlässe/Medien und Methoden
Lernaufgaben, die gestellt werden, sollten nicht als Abarbeitungsliste verteilt sondern kontextualisiert werden (Wozu dienen sie? Warum werden sie gestellt?). Hierfür bieten klassische Lehrbuch- und Arbeitsblatt-Aufgaben, die sonst im Klassenunterricht genutzt werden, nicht die optimalen Bedingungen. Stattdessen sind Aufgabentypen zu wählen, die handlungs- und schülerorientiert zugleich sind. Das bedeutet etwa produktives Gestalten, Kreativität und kognitive Problemlöseanstrengung sollten möglichst zusammenfallen und an den Fähigkeiten und Interessen der jeweiligen Zielgruppe ausgerichtet sein. Dabei sollten Anteile von Wahl- und Differenzierungsaspekten sowie Anregungen zur freiwilligen Beschäftigung enthalten sein. Darüber hinaus ist die Einbindung entsprechender Feedbacks und die Ermöglichung eines wechselseitigen Austauschs zu den Aufgaben und deren Bewältigung unbedingt mitzudenken.
Zurück zur Hoffnung
Zurück zur formulierten Hoffnung vom Anfang des Artikels. Noch haben wir sie nicht aufgegeben. Es gibt immer mehr Beispiele für einzelne Lehrer*innen, die auf individuellen Wegen Pionierarbeit leisten, sei es auf Youtube oder mit projektorientierten Selbstlern-Modulen. Auf der anderen Seite schleifen sich auch negative Routinen schnell ein. Deshalb bleibt eine vielfältige Rückmeldung an Lehrkräfte in dieser Situation wichtig, die sich nicht nur darauf bezieht, ob zu wenig oder zuviel Aufgaben gegeben wurden, sondern auch zum Lernen in der Krise selbst. Wann, wenn nicht jetzt, entsteht Bewegungsfreiheit? Server sind überlastet, Zeiträume der Einschränkungen unklar und neue Wege werden täglich gegangen und entdeckt. Vielleicht ja auch der Mut zur Lücke, um neue Potenziale des Lehren und Lernens zu erschließen.
Noch ist es dafür nicht zu spät!
Die Autoren:
Prof. Dr. Rico Behrens, Peter Birkenhauer und Stefan Breuer forschen und lehren im Bereich Politischer Bildung an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt und der Technischen Universität Dresden.
Der Beginn - Hoffnung auf Neues
Als uns vor 10 Tagen die Nachricht der bevorstehenden Schulschließungen erreichte, mischte sich unter die Befürchtungen hinsichtlich der anstehenden Herausforderung auch Hoffnung. Hoffnung, die Krisensituation würde dem System Schule einen Schub geben, digitale und moderne Lernmethoden würden Einzug erhalten, das Primat des strengen Lehrplanbezugs sich zugunsten offener, mit Blick auf die Situation, anwendungsbezogener Aufgaben verschieben. Von unterschiedlichen Seiten wurden wir mit tollen Lernplattformen, kostenlosen Verlagsangeboten, täglichen Maussendungen und Politikstunden überschüttet. Leider fehlt aktuell, man möchte es kaum glauben, häufig die Zeit, all diese Angebote mit den eigenen Kindern zu erforschen.
Unsere im Folgenden dargelegten Beobachtungen und Einschätzungen basieren, neben Gesprächen mit Lehrer*innen und Eltern, auf unseren Erfahrungen mit derzeit sechs eigenen schulpflichtigen Kindern im Homeschooling-Betrieb. Unsere Kinder besuchen staatliche und nichtstaatliche Grund- und Oberschulen. Die Aufgaben, die ihre Lehrer*innen nach Hause übermitteln, unterscheiden sich von unstrukturierten Stapeln mit Kopiervorlagen, über klare Pläne bis hin zu sehr freien, individuell zugeschnittenen Aufgaben. Öffentliche Lernplattformen kommen genauso zur Anwendung, wie eigene Schul-Clouds oder einfache E-Mailanhänge. Bereits hier wird die Vielgestalt der aktuellen Situation deutlich.
Die gegenwärtige Situation ist darüber hinaus für alle eine besondere, in der jede und jeder mit sehr unterschiedlichen Voraussetzungen nach Wegen zur Bewältigung sucht. Wir wollen ausdrücklich weder Lehrer*innenbeschimpfung betreiben, noch in den vielerorts erklingenden Abgesang auf die mangelnden Fähigkeiten digitaler Lehre des Schulsystems einstimmen. Mit dem vorliegenden Text möchten wir nach einer guten Woche Homeschooling, die gemeinsam geteilten Erfahrungen kondensieren und diese allgemeinen didaktischen Überlegungen zuführen. Er ist als eine Momentaufnahme zu verstehen, in der wir erste Gedanken und Rückschlüsse skizzieren, die durchaus der Doppelrolle als Väter und wissenschaftlich-pädagogisch Forschende entspringen. Dabei sind wir uns unserer privilegierten Situation bewusst, in der wir dank flexibler Home-Office-Zeiten unsere Kinder gut betreuen können.
Wer hat der kann, aber alle müssen!
Mit der zeitweisen Außerkraftsetzung der Schulbesuchspflicht in Deutschland hat der Hausunterricht Einzug in die Familien aller Milieus gehalten. Homeschooling ist in aller Munde und hat doch nur wenig mit dem Heimunterricht vergangener Zeiten gemein. Wenngleich es vielerorts nicht an Aufgaben mangelt, so ersetzen Eltern den Hauslehrer in all seiner Aufgabenvielfalt, oder werden zumindest zu Hilfslehrer*innen, die die schulischen Aufgaben verwalten und strukturieren müssen. Vor dem Hintergrund bildungsnaher und -ferner Milieus entfaltet die ohnehin bestehende Bildungsungerechtigkeit im deutschen Schulsystem eine unheilvolle Wirkung, die sich in der aktuellen Situation noch verschärft.
Bereits die voraussetzungsreichen Forderungen von Bildungspolitiker*innen, die Schulen mögen jetzt den Unterricht in den digitalen Raum verlagern, verweisen auf die strukturelle Missachtung der ungleichen Chancenverteilung. Wie Unterricht in einer Klasse organisiert werden soll, in der es Schüler*innen gibt, die außer einem Smartphone mit sehr beschränktem Datentarif kaum Möglichkeiten haben auf Lernplattformen zuzugreifen, ganz zu schweigen von nicht vorhandenen Druck- und Kopiermöglichkeiten, wird dabei kaum thematisiert. Aus Elternsicht werden eigene Privilegien dann deutlich, wenn man sich die Grundlagen des schriftlichen Dividierens mit Hilfe des Schulbuchs und einem Erklärvideo selbst erschließt, um dem eigenen Kind die bisher fehlenden Grundlagen zur Bewältigung der gestellten Aufgaben didaktisch angemessen zu vermitteln und nebenher die gestellten Aufgaben in Schulbuch und Aufgabenheft in curricular logische Reihenfolgen bringt.
Gemeinsam ist den vielen kleinen Hausschulen hingegen, die stark reduzierten sozialen und physischen Kontakte außerhalb der eigenen Familie. Der tägliche, direkte Austausch mit anderen Kindern, das gemeinsame Spielen auf dem Pausenhof, die Auseinandersetzung mit verschiedenen Lehrer*innentypen und der motivierende Moment des gemeinsamen Arbeitens sind vorläufig ersatzlos gestrichen. Eingetauscht gegen die Enge der eigenen vier Wände, dem ständigen Kontakt mit Eltern und Geschwistern, verschärft sich diese Form der Isolation zusätzlich durch den vielerorts entstehenden ökonomischen Druck auf die eigenen Eltern. So ist auch die familiäre Verbundenheit einem pädagogisch sinnvollen Vorgehen nicht immer dienlich und trägt nicht zur Entspannung problematischer Lehr-Lern-Situationen bei. In dieser Situation eines allgemein erhöhten Stresslevels sollen die Schüler*innen und Eltern mit bisher weitestgehend unbekannten und nicht betreuten Lernformen vorgegebene Inhalte bearbeiten. Homeschooling im Krisenmodus.
Was kommt zu Hause an? Einige Beobachtungen
Wie bereits formuliert, sind die Erfahrungen der ersten Tage im neuen Modus sicherlich unterschiedlich - auch unter uns. Lehrer*innen waren selbst von den Ereignissen überrascht oder gar überrollt. Unsere Erfahrungen reichen von einfühlsamen persönlichen Briefen und guten Wünschen an die Schüler*innen bis zu schroffen ersten Mitteilungen, in denen angekündigt wird, dass Aufgaben bewertet werden und Klausuren und Tests in der ersten Nach-Corona-Woche folgen.
Beginnen wir mit den hoffnungsvollen Erfahrungen.
In mehreren Fällen wurde den Kindern Zeit gegeben, in dieser herausfordernden Situation anzukommen. Die Lehrer*innen haben sich bewusst ein paar Tage Zeit genommen, um gemeinsam einen probaten Weg für die Gestaltung der Homeschooling-Zeit zu beraten und fächerübergreifend zu koordinieren. Den Schüler*innen wurde dies in einem entsprechenden Lehrer*innenbrief auch transparent gemacht. Dementsprechend war eine erste Aufgabe zunächst das Verfassen eines kurzen Briefes, in dem die Schüler*innen die Möglichkeit hatten, ihren Gefühlen und Erlebnissen in der aktuellen Situation Ausdruck zu verleihen.
Darüber hinaus betonen die Pädagog*innen in diesen Fällen häufiger das Bestreben, sozial miteinander in Kontakt zu bleiben - nicht nur als funktionalistisches Nachfragesetting in einer stereotypen Lehrer*innen-Schüler*innen-Hierarchie, sondern als ernst gemeintes Kommunikationsangebot zur Aufrechterhaltung der pädagogischen Beziehung.
Eine weitere wichtige Beobachtung betrifft die Gestaltung der gestellten Lernaufgaben. Neben den üblichen Arbeitsblättern für unterschiedliche Themenbereiche, gibt es vor allem projektorientierte Aufgabenstellungen, die zu Selbsttätigkeit animieren. So verlangt etwa eine Aufgabe, dass sich die Schüler*innen in Wohnortnähe ein Pflanze aussuchen, sie zeichnerisch erfassen und ein Beobachtungsprotokoll darüber anlegen, wie sich die Pflanze im Zuge des Frühlings verändert. Bei einer anderen Aufgabe soll herausgefunden werden, wo sich im häuslichen Umfeld überall Mathematik verbirgt. Am Ende sollen die Ergebnisse in Form eines Plakats festgehalten werden, wobei die Bearbeitungswege und zu nutzenden Materialien bewusst offen gehalten werden. Eine andere Kolleg*in ändert den Stoffplan in Englisch dahingehend, dass Sie ein spannendes Buch aussuchte, dass die Schüler*innen in selbst gewählten Portionen lesen sollen.
Die Aufgaben zeichnen sich zudem durch einen hohen Grad an Differenzierung aus. Sie sind zum einen in einen kleineren obligatorischen Teil und einen breiten Pool an fakultativen Aufgaben und weiterführenden Angeboten aufgeteilt, sodass die Schwerpunktlegung den Interessen der Schüler*innen entspricht. Zum anderen sind die gesamten Aufgabenpakete individuell auf einzelne Kinder und ihren jeweiligen Lernstand angelegt.
Eine abschließende Beobachtung bezieht sich auf die (selbstständige) Durchführung der Aufgaben. Durch den beschriebenen Charakter wird spürbar eine Last von den Schüler*innen genommen und die Beschäftigung mit “schulischen Themen” wird keine Bearbeitung um der Aufgaben willen, sondern eine tiefgründige Beschäftigung mit der jeweiligen Thematik.
Leider gibt es auch die vielen weniger positiven Beispiele, die wir im Folgenden verallgemeinernd zusammengefasst haben. Die Gespräche in Bekannten-, Freundes- und Kolleg*innenkreisen zeigen häufig, dass zwar einzelne Fächer Pläne entwickelt haben, es aber kein gemeinsames Ziel gibt, wie man diese Zeit produktiv nutzen kann, ohne dass beispielsweise Schüler*innen, die Lernschwierigkeiten haben, auf der Strecke bleiben. Viele Pädagog*innen halten in einem ersten Reflex an ihren Fachstrukturen und Stoffverteilungsplänen fest und delegieren dadurch automatisch die Wissensvermittlung an die Eltern. So erleben wir diese Phase als eine Verschiebung der Aufgabe der Didaktisierung des zu lernenden Stoffs von der Schule in die Elternhäuser. Wenn etwa Aufgabenpläne schon in ihrer Formatierung dem Lehrplan gleichen, wird klar, dass das Erlernen neuen Wissens, gerade in den unteren Grundschulklassen begleitet werden muss. Auch in der weiterführenden Schule machen wir in Gesprächen die Erfahrungen, dass eine sehr engmaschige Betreuung, nebst viel Motivation und erklärender Aufbereitung geleistet werden muss. Geschieht dies nicht, findet zunehmend ein Ausweichen statt. Zu einer wirklich selbstständigen Bearbeitung der Lernpläne kommt es nur bei wenigen.
Diese Form der Aufgabenbeschulung, führt zu einem erhöhten Stresslevel in vielen Haushalten. Kinder und vor allem Teenager erleben hier ihre Eltern immer häufiger als verlängerten Arm der Schule. Neben den alltäglichen Konflikten dieser sozialen Sondersituation, treten nun noch schulischer Druck, der von den Eltern überwacht und aufrechterhalten werden muss. Unmittelbar negative Auswirkungen auf die Eltern-Kind-Beziehung können eine Folge sein. Aus einer sinnvollen Beschäftigung, die zur Überbrückung dient, wird so schnell das Abarbeiten von losen Aufgabenlisten, deren motivationale Antreiber*innenrolle die Eltern zwangsläufig übernehmen müssen. Und uns dämmert schon, dass es bei “Motivation” in vielen Haushalten nicht bleiben wird, sondern auch der Weg zu “Sanktionen und Strafen” in dieser Vorgehensweise schon angelegt ist. Die ersten Berührungspunkte der neuen Lernsituation für Schüler*innen unter einen Abgabe- oder Benotungsdruck zu stellen oder gar für die erste Präsenzwoche nach der Corona-Zeit Kontroll- und Klausurtermine in Aussicht stellen, ist wirklich deplaziert.
Die aktuelle Situation offenbart strukturelle Probleme
Auch wenn die beschriebenen Erfahrungen zunächst nur aus zahlenmäßig wenigen Beobachtungsfällen entstanden sind, lassen sich einige Kernelemente zusammenfassen. Beginnen wir mit dem, was in der momentanen Ausnahmesituation eine der größten Herausforderungen darstellt. Nicht die Frage, was Schüler*innen in vier Wochen oder gar bis zu den Sommerferien an Wissen und Kenntnissen “verpassen” könnten, sollte hier die Hauptrolle spielen, sondern die Frage, was in der gleichen Zeit im sozialen Gesamtsystem des Miteinander-Lebens-und-Lernens passiert.
Von Abschlussklassen abgesehen, für die gesonderte Maßnahmen erforderlich sind, entscheidet sich der Lernerfolg von Schüler*innen nicht in wenigen Wochen eines Ausnahmezustandes. Und gerade aus diesem Grund lassen sich aus unserer Sicht neben einigen guten Beispielen auch besorgniserregende Tendenzen absehen.
So steht durch die “Torschlusspanik” (durchaus auch auf Elternseite) Schüler*innen würden nicht recht vorankommen und der an manchen Orten unkoordinierten Aufgabenverteilung ein erheblicher Einfluss auf die gesamte Familienatmosphäre zu befürchten. Unserer Beobachtung nach geht es hier auch nicht darum, dass Kinder und Jugendliche grundsätzlich zu Hause stören und ihre Eltern vom “Homeoffice” abhalten, es ist vielmehr die unangepasste Lernsituation, die den Stress maximiert.
Es scheinen aber auch schon weitere Aspekte auf.
Eine Beschulungskultur, die das analoge Lernen lediglich in die Küchen und Wohnzimmer nach Hause verlegt und dabei vernachlässigt, dass Lernen immer auch ein sozialer Prozess ist, zeigt, dass unser Bildungssystem im Bereich der Digitalisierung, des intelligenten und differenzierten Lernens nicht nur nicht auf eine solche Situationen vorbereitet ist, sondern in der Fläche auch im normalen Schulbetrieb zu wenig mitgedacht wird. Dieser Einschätzung gilt es selbstverständlich auch die positiven Beispiele entgegenzuhalten, auf die wir ja hingewiesen haben. Und nichts würde uns mehr freuen, als dass als Reaktion auf diesen Artikel von positiven Beispielen berichtet würde, damit sie in die Fläche wirken können. Bis dahin wird allerdings aus unserer Sicht auch deutlich, dass Kinder und Jugendliche es eben in der Präsensschulzeit auch wenig gewohnt sind, ihre Zeit selbstständig einzuteilen, Aufgaben selbstständig zu wählen und zu bearbeiten und zu kontrollieren, sonst müssten Eltern nicht in dieser Weise Betreuungsarbeit leisten. Insofern führt die jetzige Situation auch manch methodisches Defizit der Schüler*innen schmerzlich vor Augen, wie etwa die Fähigkeit angemessen zu recherchieren, digitale Medien kritisch und sinnvoll einzusetzen oder mit jetzt vorgegebenen Plänen selbstverantwortlich zu arbeiten.
Diese Probleme verweisen selbstverständlich auch auf Defizite und Reserven unser eigenen Profession. Als diejenigen, die für die universitäre Lehrer*innenausbildung mitverantwortlich sind, gibt uns die aktuelle Entwicklung ebenfalls Hausaufgaben auf den Weg. Wie können wir noch stärker als bisher eine fachbezogene Lehr-Lernkulturfördern, die Selbstkompetenz der Schüler*innen nicht nur auf den Umgang mit Medien, politischen Urteilen und simulativen Handeln bezieht, sondern die Wahl der Inhalte und Methoden selbstverständlich mit einbezieht.
Das Gute behalten - Chancen und Wege
Wie wir anfangs betonten geht es hier nicht darum Lehrer*innen dafür zu schelten, dass sie sich selbstständig oder nach Plan von Schulleitungen darum bemühen, Schüler*innen das Weiterlernen in schwierigen Zeiten zu ermöglichen. Wir befinden uns in der ersten Phase dieser Entwicklung. Viele Kolleg*innen und auch Familien mussten sich zunächst um basale (auch eigene) Dinge kümmern. Da ist es völlig normal, dass sich Vieles erst einspielen muss und das darf es auch. Jenseits dieser Feststellungen lassen sich aber auch grobe Fehler vermeiden und Chancen nutzen. Einige solcher aus unserer Sicht fruchtbaren Wege führen wir hier am Ende kurz auf:
Zur Bedeutungsebene des “Krisenschooling”
Alle Beteiligten sollten die aktuelle, besondere soziale Situation mitbedenken und das eigene System (Schule) in den Zusammenhang mit anderen systemischen Herausforderungen (z.B. Erwerbsarbeit, Gesundheit, Pflege-und Fürsorge etc.) stellen. Dazu gehört auch, im Blick zu behalten, dass es für manche Schüler*innengruppen zunächst darauf ankommt, sicherzustellen, dass sie überhaupt an den gewählten (digitalen) Formaten partizipieren können. Hier geht es auch um basale Fragen, wie viele Computer in einem Haushalt, für wie viele Menschen und mit welcher Bandbreite zur Verfügung stehen.
Zielebene des “Krisenschooling”
Die Zeit des “Krisenschoolings” sollte aus unserer Sicht dazu dienen, Anregungen zur Eigeninitiative zu geben (Allerdings nicht mit der ständig wiederkehrenden Aufforderung “Recherchiere!”). Sie sollte die Selbstkompetenz fördern sich mit Gegenständen zu beschäftigen. Das alles bedeutet, sich viel stärker als bisher auf die individuellen Lernanlässe und Bedürfnisse der Lernenden einzulassen. In dieser Weise stellen die Förderung der Freude am Lernen und an der Erschließung neuen Wissen wichtige Ziele für die Planungsprozesse dar. Kleine Forschungs- und Beobachtungsaufgaben sind hier gut geeignet. Es bedeutet auch die Situation als Chance für neue Lernerfahrungen zu sehen und nutzen zu wollen, statt den Wissenserwerbsdruck in die Familien zu verlagern.
Prinzipien des physisch distanzierten Lernens
Die sozialen Aspekte des Lernens müssen einbezogen werden. Wenn Dinge erarbeitet, Poster gestaltet, Interviews geführt werden, müssen die Ergebnisse irgendjemandem präsentiert werden, sonst fehlt ein entscheidender sozialer Aspekt des Bildungsprozesses. Dieses Erfordernis wird auch nicht durch das Abgeben von Aufgaben eingelöst. Hier sind tatsächlich digitale Formate vonnöten, in denen man anderen Lernenden selbst begegnet und einen Austausch ermöglicht. Eine solche punktuelle Vernetzung ist im übrigen nicht zu verwechseln mit einer ständigen Präsenzpflicht in “virtuellen Klassenzimmern” analog zur bisherigen Unterrichtszeit.
Qualität der Arbeitsaufträge/Lernanlässe/Medien und Methoden
Lernaufgaben, die gestellt werden, sollten nicht als Abarbeitungsliste verteilt sondern kontextualisiert werden (Wozu dienen sie? Warum werden sie gestellt?). Hierfür bieten klassische Lehrbuch- und Arbeitsblatt-Aufgaben, die sonst im Klassenunterricht genutzt werden, nicht die optimalen Bedingungen. Stattdessen sind Aufgabentypen zu wählen, die handlungs- und schülerorientiert zugleich sind. Das bedeutet etwa produktives Gestalten, Kreativität und kognitive Problemlöseanstrengung sollten möglichst zusammenfallen und an den Fähigkeiten und Interessen der jeweiligen Zielgruppe ausgerichtet sein. Dabei sollten Anteile von Wahl- und Differenzierungsaspekten sowie Anregungen zur freiwilligen Beschäftigung enthalten sein. Darüber hinaus ist die Einbindung entsprechender Feedbacks und die Ermöglichung eines wechselseitigen Austauschs zu den Aufgaben und deren Bewältigung unbedingt mitzudenken.
Zurück zur Hoffnung
Zurück zur formulierten Hoffnung vom Anfang des Artikels. Noch haben wir sie nicht aufgegeben. Es gibt immer mehr Beispiele für einzelne Lehrer*innen, die auf individuellen Wegen Pionierarbeit leisten, sei es auf Youtube oder mit projektorientierten Selbstlern-Modulen. Auf der anderen Seite schleifen sich auch negative Routinen schnell ein. Deshalb bleibt eine vielfältige Rückmeldung an Lehrkräfte in dieser Situation wichtig, die sich nicht nur darauf bezieht, ob zu wenig oder zuviel Aufgaben gegeben wurden, sondern auch zum Lernen in der Krise selbst. Wann, wenn nicht jetzt, entsteht Bewegungsfreiheit? Server sind überlastet, Zeiträume der Einschränkungen unklar und neue Wege werden täglich gegangen und entdeckt. Vielleicht ja auch der Mut zur Lücke, um neue Potenziale des Lehren und Lernens zu erschließen.
Noch ist es dafür nicht zu spät!
Die Autoren:
Prof. Dr. Rico Behrens, Peter Birkenhauer und Stefan Breuer forschen und lehren im Bereich Politischer Bildung an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt und der Technischen Universität Dresden.