Sommerkurs Dubrovnik 2012
Die Herrschaft der Experten? Europa und die demokratische Frage
Ein Wirtschaftswissenschaftler als italienischer Ministerpräsident; eine Troika, bestehend aus Experten dreier Institutionen, die die Sparfortschritte in Griechenland begutachten; der Vorstoß der Bundesregierung, ein finanzpolitisches Neuner-Elitegremium für die Eurorettung im Haushaltsausschuss des Bundestages zu konstituieren: Quo vadis Europa? Wozu führen die Maßnahmen, mit denen auf die Euroschuldenkrise reagiert wird? Wie sieht es mit der demokratischen Legitimation aus, wenn europäische Entscheidungen nur noch topdown organisiert werden und der Bevölkerung als „alternativlos“ präsentiert werden? Sind Entscheidungen angesichts von Expertise mehr gerechtfertigt als die Meinungen anderer? Und ab wann gelten Personen eigentlich als Experten? Die Suche nach Antworten auf diese Fragen, die die aktuelle europäische Krisenpolitik beschäftigen, war Thema und Ziel des diesjährigen Sommerkurses Politische Theorie im dalmatinischen Dubrovnik unter dem Titel
„Die Herrschaft der Experten – Europa und die demokratische Frage“. Wie bereits seit 1997 fand der Sommerkurs im 1972 zwecks internationalen wissenschaftlichen Austauschs gegründeten Inter University Centre (IUC) statt, das in diesem Jahr nunmehr sein 40-jähriges Bestehen feiert.
Die mehr als 20 Teilnehmer aus den Fachgebieten Politikwissenschaft, Philosophie und
Rechtswissenschaften reisten aus Deutschland, Kroatien und Brasilien zum Sommerkurs an, der von Prof. Hans Prof. Vorländer, Inhaber des Lehrstuhls für Politische Theorie und Ideengeschichte an der Technischen Universität Dresden, von Prof. Nenad Zakošek, Dekan der Politikwissenschaftlichen Fakultät der Universität Zagreb, und von Prof. Davor Rodin, emeritierter Professor an der Fakultät für politische Wissenschaften Zagreb, geleitet wurde.
Um thematisch einzuführen sowie einen Eindruck des unterschiedlich belegten Begriffs des Technizismus zu vermitteln, hielt Hans Vorländer den ersten Vortrag: Im Zentrum stand die Frage, ob Technizismus als neue Gesetzlichkeit, „als neuer Nomos der Erde“ (Carl Schmitt), anzusehen sei. Die Politik scheine immer mehr „zu einem Konzept“ zu werden, das der Krise hinterherläuft, jedoch nicht in der Lage ist, sie zu entschärfen oder gar zu lösen.
Ob Platons Theorie der Philosophenkönige in der Gegenwart Aktualität besitzt, erläuterte Prof. Enno Rudolph aus Heidelberg in seinem Beitrag. Da nach Platon Philosophen – verstanden als nach ganzheitlichem, „produktivem Wissen“ strebende Gebildete – am besten für die Herrschaft geeignet sind, stellt sich die Frage, ob unsere gegenwärtige Demokratie nicht eine Verwirklichung dieser Idee darstellt.
Prof. Günter Frankenberg, Frankfurt am Main, sieht eine neue Charakteristik des Politiker-Rollentypus, nämlich den des „Staatstechnikers“. Dieser zeichne sich durch rational-sachliches Denken und Entscheiden aus, agiere jedoch stets unter der Prämisse des Machterhalts.
Inwiefern dieser These zuzustimmen sei, mussten alle Teilnehmer nach einer spannenden Diskussion für sich entscheiden. Hierbei motivierten vor allem die Kursleiter die anfangs noch zurückhaltenden Studenten, sich an der Diskussion zu beteiligen, so dass das Eis zwischen schon eingefleischten und Nachwuchswissenschaftlern nach und nach schmolz und in zuweilen hitzigem Dissens mündete.
In Abwechslung zu den komplexen Themen der einzelnen Vorträge und ihren spannenden Debatten stand den Teilnehmern der Nachmittag frei zur Verfügung, in der das Gehörte und Gedachte reflektiert oder sich in Cafés miteinander ausgetauscht werden konnte.
Einen weiterführenden Einblick in die Debatten um Technokratie leistete anderntags der
Vortrag Prof. Alessandro Pinzanis, Florianopolis, der die „Produktion des technokratischen Diskurses“, so das Vortragsthema, illustrierte. Nach Pinzani werde dieser Diskurs seit den 1960ern geführt, der eine „wissenschaftlich-rationale Weltanschauung“, also eine de facto geschlossene Ideologie herausgebildet hat. Dadurch, so Pinzani, verlagern Entscheidungsträger ihre Verantwortlichkeit: Die Technik sei verantwortlich für die „richtigen“ Entscheidungen. Ein Gefahrenpotential bestehe in der Tendenz, dass Parlamente sich selbst entmächtigen und nur „legitimierende Feigenblätter“ werden. Zuvor gab Fanziska Wenk, Politikwissenschaftsstudentin aus Dresden, einen eingängigen Überblick über die Entwicklung jener Technokratie-Ideologie in den 1950er und 60er Jahren. Weitere Tiefe bot der Vortrag von Prof. Mark Arenhövel, Dresden, zu Rawls Theorie der Gerechtigkeit, die - aus technizistischer Perspektive gelesen - mehr mit Technokratie zu tun hat, als mancher im ersten Moment vielleicht dachte.
Für die deutschen Studenten besonders interessant, weil den meisten unbekannt, war die These des slowenischen Philosophen Žižek über die Notwendigkeit von Gewalt, die von Prof. Zoran Kurelić, Zagreb, leidenschaftlich kritisiert wurde. Von den Vortragenden aus Zagreb wurden weitere philosophische Themen im Kontext von Technokratie dargelegt, wie der Zusammenhang zwischen Ethik, Moral und Krieg von Prof. Goran Gretić, die Frage nach dem Mensch- und Bürgerdasein, von Prof. Davor Rodin, sowie Vorträge über den Zusammenhang zwischen Expertokratie und Kapitalismus von Prof. Tomislav Jantol und Prof. Nenad Zakošek. Dr. Domagoj Vujeva bereicherte das Seminar schließlich mit einem Vortrag zu Hegel und dessen Plädoyer für eine demokratische Interessen-Vertretung als Modell für die politische Gegenwart.
Zusammen unternahm die Kursgruppe ebenfalls Ausflüge und es wurde sich abends zum gemeinsamen Essen in einem der vielen Restaurants am Meer oder in der Altstadt verabredet.
Kroatiens Küste hat nach Angaben des Auswärtigen Amts mehr als 1.100 Inseln. Eine
Ahnung von der Vielfalt an Inseln vermittelte ein besonders idyllischer Bootsausflug zu einer nahegelegenen Insel, an dessen Strand Studenten und Professoren gemeinsam einige Stunden verbrachten.
Ein Resümee nach einer Woche Nachdenken über Technokratie: Die Argumentation mit
alternativlosen Sachzwängen hat nicht erst seit der Finanzkrise Konjunktur. Nach einer
Vielzahl anregender Gespräche mit anderen Studenten, mit und zwischen Professoren,
innerhalb der Tagung sowie in der Freizeit, bleibt zu sagen: Der Sommerkurs Politische
Theorie war eine äußerst lohnenswerte Reise, die mehr als nur Vertiefung bisheriger Theorie, sondern auch Anwendung und schlussendlich Aufforderung zur eigenen Positionierung ist.
Großer Dank gilt Hans Vorländer, Nenad Zakošek und Davor Rodin, die als Kursleiter die
Diskussionen im Anschluss an Referate offen und unterhaltsam moderierten, studentischen Wortmeldungen stets Vorrang vor denen der Professoren gewährten und eine spannende Tagungsatmosphäre schufen. Dank ist an dieser Stelle zudem Dr. Oliviero Angeli und Marlen Gnerlich geboten, die den Sommerkurs organisatorisch und inhaltlich mitgestalteten und die Studierenden bereits im Vorfeld thematisch begleiteten.
Schließlich sei an dieser Stelle auch der Gesellschaft von Freunden und Förderern der TU Dresden e.V. sowie der Philosophischen Fakultät ganz herzlich für die Unterstützung gedankt, mit der die Teilnahme der Dresdner Studierenden am Sommerkurs ermöglicht wurde!
Sabine Eva Adrian und Alexander Roßbach