Sommerkurs Dubrovnik 2013
Auf der Suche nach dem Bürger in der Demokratie / Der Bürger in der Demokratie: Kreuzchenmacher oder politischer Akteur?
Erst kürzlich trat er wieder in Erscheinung: Bei den jüngsten Bundestagswahlen förderte die Entscheidung des Bürgers Ergebnisse zutage, die nicht nur im politischen Berlin für einige Überraschungen gesorgt haben. Ist der Bürger in unserer heutigen Massendemokratie doch nicht nur eine durch demoskopische Umfragen berechnende Variable? Verbirgt sich hinter ihm nicht offensichtlich mehr als ein bloßer Kreuzchenmacher? Aber wer oder was ist der Bürger in der Demokratie dann? Welche Erwartungen werden an ihn gerichtet und welche hat er selbst?
Diese Fragen beschäftigten auch die kroatischen und deutschen Teilnehmer beim diesjährigen Sommerkurs ‚Politische Theorie‘, der Anfang September in Dubrovnik stattfand.
Als frühere Stadtrepublik bot Dubrovnik, wo der Sommerkurs nunmehr seit über 15 Jahren und seit 1997 unter Leitung von Prof. Hans Vorländer (Inhaber des Lehrstuhls für Politische Theorie und Ideengeschichte an der TU Dresden) stattfindet, erneut einen idealen Ort, um sich dem Thema ‚Der Bürger in der Demokratie‘ zu widmen.
Hierzu präsentierten Nicole Alt, Felix Wiedemann und Niklas Lange (Studierende der Politikwissenschaft an der TU Dresden) zunächst die Geschichte des Dubrovniker Bürgers, der angelehnt an attische Ideale bereits seit dem 14. Jahrhundert eine zentrale Rolle im politischen Geschehen des neuzeitlichen Dubrovnik spielte. Doch wie ist es heute um den Bürger in der Demokratie bestellt?
Sein Zustand ist kritisch, wie folgende Positionen annehmen lassen: Prof. Nenad Zakošek (Zagreb) wies auf die spürbare Erosion des Einflusses von Bürgern hin, Prof. Davor Rodin (Zagreb) warnte vor der Verdrängung des bürgerlichen Willens durch politische Institutionen und Dr. Domagoj Vujeva (Zagreb) verortete seine Krisendiagnose in der parlamentarischen Ausprägung heutiger Demokratien. Prof. Goran Gretić (Zagreb) sieht das demokratisch-kollektive Selbstbestimmungsrecht und damit auch die Rolle des Bürgers vor allem auf Grund militärischer humanitärer Interventionen ohne UNO-Mandat weltweit in Gefahr und Prof. Zoran Kurelić beschrieb den Zustand der Demokratie und ihrer Bürger am Beispiel Kroatiens als äußerst problematisch.
Im gleichen Zuge suchten die Teilnehmer des Sommerkurses jedoch auch nach Lösungsansätzen zur Bewältigung der Defizite und aktuellen Herausforderungen der Demokratie. Prof. Mark Arenhövel (Dresden) hob die Bedeutung einer gelebten Verantwortlichkeit füreinander hervor, die nicht durch Institution vorgegeben wird, sondern Bestandteil des Bürgerseins auf Grund des Zusammenlebens als politische Gemeinschaft ist. Weiterhin könne man, bemerkte Prof. Tine Stein (Kiel), Faktoren wie die abnehmende Wahlbeteiligung nicht mit einer geringeren Bürgeraktivität gleichsetzen. Vielmehr verlagere sich Engagement in neue, unkonventionelle, themenspezifische und punktuelle Formen, wie Bürgerinitiativen, ökologische Projekte, gemeinsames Urban Gardening usw.
Das Phänomen des Wutbürgers zeige außerdem, so Prof. Günter Frankenberg (Frankfurt), die Entschlossenheit des Bürgers, seine Rolle als Souverän zu revitalisieren. In diesem Zusammenhang plädierte Prof. Emanuel Richter (Aachen) auch dafür, politische Kompetenz nicht an Fachwissen und Qualifizierung einer Person festzumachen, sondern alle demokratisch orientierten Beiträge seitens des Bürgers gleichermaßen als Bereicherung des politischen Gemeinwesens zu werten.
All dies kommt der Vorstellung John Deweys von einer Demokratie als Lebensform sehr nahe. Das heißt jedoch auch, wie Timo Kaeßner und Marlen Gnerlich (beide Dresden) betonten, dass sich demokratische Gesellschaften, ebenso wie die Disziplin der Politischen Theorie, kontinuierlich mit Fragen eines bürgerlichen Ethos‘ und erzieherischen Handelns im Kontext von Pluralität und Individualität auseinandersetzen müssen.
Auch wenn keine abschließende Antwort nach der Zukunft des Bürgers gefunden wurde, so schloss der Sommerkurs doch mit einer optimistischen Haltung: „Der Bürger ist und bleibt essentieller Bestandteil jeglichen demokratischen Selbstverständnisses und gerade deswegen haben Demokratien durchaus das Potenzial, sich den Anforderungen der Gegenwart, beispielsweise durch partizipative, transparente und lokal ausgerichtete Verfahren, anzupassen.“, bilanzierte Hans Vorländer am Ende des Sommerkurses. Mit dieser Quintessenz im Gepäck ist es nun an daran, sich weiter mit der konkreten Ausgestaltung von Demokratie und Bürger in der Zukunft zu befassen.
Dass daran auch wieder Dresdner Studierende teilhaben und eine intensive, erfahrungsreiche Woche Sommerkurs Politische Theorie miterleben konnten, wurde durch die finanzielle Unterstützung der Philosophischen Fakultät sowie der Gesellschaft von Freunden und Förderern der TU Dresden e. V. ermöglicht, für die ein herzlicher Dank gilt!