Sommerkurs Dubrovnik 2014
Krisendiagnosen und Zukunftsperspektiven der Demokratie
Mit den jüngsten Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg zog die Alternative fürDeutschland (AfD) mit insgesamt 36 Abgeordneten in drei ostdeutsche Parlamente ein. Gleichzeitigerreichte die Wahlbeteiligung historische Tiefstände – so gingen beispielsweise in Brandenburg nur47,9 Prozent der Wahlberechtigen zur Urne. Und nicht nur die Wahlergebnisse signalisieren einenenormen Vertrauensverlust in die demokratischen Institutionen. Geben uns diese Krisenphänomene aber Anlass, bereits von einem „postdemokratischen“ Zeitalter zu sprechen? Um diese Fragen in ihrem umfangreichen Spektrum zu diskutieren, trafen sich in diesem Sommer Wissenschaftler und Studierende aus den Fachrichtungen Politikwissenschaft, Rechtswissenschaft, Linguistik und Philosophie aus Deutschland, Kroatien und der Schweiz für eine Woche im „kroatischen Athen“ Dubrovnik. Schon seit fast20 Jahren ist das dortige Inter-University Centre Gastgeber desinterdisziplinären Sommerkurses Politische Theorie unter Leitung von Prof. Hans Vorländer (Inhaber des Lehrstuhls für Politische Theorie und Ideengeschichte an der Technischen Universität Dresden), Prof. Nenad Zakošek (Dekan der Politikwissenschaftlichen Fakultät an der Universität Zagreb) und Prof. Dr. Davor Rodin (Professor für Politische Philosophie an der Universität Zagreb).
Dass die Krisendiagnosen von der Demokratie so alt sind wie diese selbst, arbeitete Prof. Hans Vorländer in seinem Vortrag heraus und bot gleichzeitig eine umfassende Einführung in aktuelle Krisenphänomene der Demokratie, um aufgrund der verschiedenen Fachrichtungen den Teilnehmenden des Kurses eine fundierte theoretische Grundlage zu schaffen. Ebenfalls aus Dresden angereist war Prof. Mark Arenhövel, der auf die Problematik des Krisenbegriffes aufmerksam machte und die Verantwortung des Bürgers als Teil der politischen Gemeinschaft betonte. Prof. Nenad Zakošek nannte autoritäre Prozesse in neu-demokratisierten Staaten als große Herausforderung und wies auf die Ambivalenz der schnellen Transformation autoritärer Regime zu westlich-liberalen Demokratien hin.
Prof. Günter Frankenberg (Frankfurt am Main) erweiterte dieDiskussion anschließend um einerechtliche Dimension. Aus einer Typologie juristischer Entscheidungen zum Tragen des moslemischen Schleiers in Europa leitete er seine These ab, dass der hoch normative Diskurs über den Schleier selbst ein Symptom der Krise sei. Als Koordinator des Graduiertenkollegs „Text und Normativität“ unter Führung der Universität Luzern ging Franc Wagner auf die politische Funktion sprachlicher Diskriminierung ein. Der Philosoph Theodoros Konstantakopoulos (Luzern) zeigte, dass Aristoteles noch immer Aktualität besitzt und führte am Beispiel der demagogischen Meinungsbildung in der attischen Demokratie vor, dass die „Krise der Demokratie“ keineswegs ein neues Phänomen ist und die Demokratie schon immer nur ein wünschenswerter Idealzustand war.
Schon von Anfang an bereicherte Prof. Davor Rodin (Zagreb) die Kursreihe und hat in diesem Jahr betont, dass die moderne Massengesellschaft die Freiheit des Handelns gefährde. Vor allem aber war sein Vortrag ein Plädoyer an die Studierenden, mehr philosophische Klassiker zu lesen. Einen Einblick in die Denkkonzeption eines ausgewählten Theoretikers lieferte die Dresdner Studentin Katharina Klappheck am Beispiel des umstrittenen slowenischen Philosophen Slavoj Žižek. Kontrovers diskutiert wurde auch der Vortrag von Prof. Goran Gretić (Zagreb), in welchem er Hegels Gedanken eines Endes der Geschichte in die heutige Zeit übertrug und eine Krisenlösung in Form eines südeuropäischen Länderzusammenschlusses vorschlug. Prof. Zoran Kurelić (Zagreb) bot sodann mit seiner multiperspektivischen Untersuchung des filmischen Schaffens von David Lynch einen Exkurs.
Kimberly Gabriel und Karin Maier (Dresden) eröffneten mit den empirischen Befunden von Franz Walter zu Protestbewegungen in Deutschland eine praktisch orientierte Debatte. Auf das Demokratiedefizit in supranationalen Systemen wie der EU gingen daraufhin Felix Danowski und Jörn Spindeldreher (Dresden) näher ein. Prof. André Brodocz (Erfurt) wagte einen Blick in die Zukunft und untersuchte in seinem Vortrag die Vor- und Nachteile der deliberativen Demokratie, um mangelnder Responsivität, Effektivität und Rationalität in politischen Systemen entgegenzuwirken. Auf die exkludierende Wirkung dieses Ansatzes wies Tilman Schächtele (Dresden) hin und forderte die Institutionalisierung alternativer Beteiligungsformen, um das Versprechen der politischen Gleichheit und die Normen einer sozialen Demokratie zu erfüllen. Leonie Hoh und Laura Kauczynski (Dresden) stellten mit dem Betzavta-Projekt in Israel ein konkretes Programm zur demokratischen Konfliktbewältigung vor, dass wir interaktiv und pädagogisch aufbereitet kennenlernen durften.
Durch die vielfältigen Schwerpunktsetzungen, sowohl in Form von ideengeschichtlichen Reflexionen als auch anhand von empirisch orientierten Arbeiten konnten die Teilnehmenden in umfassenden Diskussionen neue Anregungen mitnehmen. Besonders für die Studierenden war dies eine einmalige Möglichkeit, eine solche Expertise geboten zu bekommen. Dafür möchten wir uns bei Prof. Vorländer und Christian Wöhst vom Lehrstuhl für Politische Theorie und Ideengeschichte bedanken, sowie außerdem für die großzügige finanzielle Unterstützung seitens der Philosophischen Fakultät und der Gesellschaft von Freunden und Förderern der TU Dresden.
Katharina Klappheck, Tilman Schächtele