Sommerkurs Dubrovnik 2016
Der diesjährige Sommerkurs „Politische Theorie“ setzte sich mit der Europäischen Migrationsdebatte auseinander, dessen vielschichtige Problematiken aus interdisziplinärer Perspektive analysiert und diskutiert wurden. Die Zuwanderung von Flüchtlingen und Asylsuchenden hat in den vergangenen Monaten wie kaum ein anderes Thema den politischen Diskurs in Europa beherrscht und stellt die sozialwissenschaftliche Forschung vor neue Herausforderungen. Die hierbei aufgeworfenen Fragen nach den Anforderungen gesellschaftlicher Integrationsprozesse, der normativen Ausgestaltung des Asylrechts und dem richtigen Umgang mit ethnischer, religiöser und kultureller Diversität standen im Zentrum des Kurses, der vom 5. bis zum 9 September 2016 in Dubrovnik stattfand.
Eine Einführung in die Thematik bot der Vortrag des Kursleiters Prof. Dr. Hans Vorländer (Dresden), der den Verlauf der migrationspolitischen Maßnahmen während der vergangenen Monate anhand empirischer Eckdaten rekonstruierte und zugleich den Wandel des öffentlichen Meinungsklimas anhand der medialen Berichterstattung nachzeichnete. Diese Systematisierung der empirischen Datenlage bot eine Grundlage für die anschließenden Vorträge und Diskussionen. Als kroatischer Kursleiter fragte Prof. Dr. Nenad Zakošek (Zagreb) in seinem Vortrag nach den Möglichkeiten des Umgangs mit kultureller Vielfalt in modernen Gesellschaften. Hierzu diskutierte er unterschiedliche normative Modelle des Multikulturalismus als Mittel gesellschaftlicher Integration.
Am zweiten Tag des Kurses analysierte der Frankfurter Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Günter Frankenberg die strukturellen Asymmetrien des Flüchtlingsschutzrechts in Europa und problematisierte insbesondere die Heterogenität unterschiedlicher nationaler Rechtsregime. Die vermeintliche Flüchtlingskrise, so Frankenberg, sei angesichts dieses Befundes vielmehr als Krise des Flüchtlingsschutzrechts zu bezeichnen, die nur auf dem Wege der Diskussion um einheitliche rechtliche Standards überwinden werden könne. Der daran anschließende Vortrag von PD Dr. Julia Schulze Wessel (Dresden) befasste sich mit der Frage, ob die im Verlauf der Migrationsdebatte formulierte Forderung nach Obergrenzen mit dem Selbstverständnis einer Demokratie zu vereinbaren ist. Anhand einer ideengeschichtlichen Herleitung des Verhältnisses zwischen Fremdheit und Ordnung formulierte Schulze-Wessel die These, dass Demokratien stets von Grenzüberschreitungen leben und das Konzept der Staatsbürgerschaft zugleich der Ermöglichung von Grenzziehungskämpfen dient.
Der dritte Tag des Sommerkurses begann mit einem Vortrag des Münchner Politikwissenschaftlers PD Dr. Daniel Schulz, der die Anforderungen an die Integration von Flüchtlingen in ihrer rechtlichen, ökonomischen und kulturellen Dimension diskutierte. Am Beispiel Frankreichs argumentierte Schulz, dass die Migrationsdebatte eine vormals invisibilisierte kulturelle Codierung der politischen Ordnung sichtbar machte. Das hiermit verbundene und schon seit Rousseau formulierte Homogenitätspostulat des französischen Republikanismus sei als nicht zu unterschätzendes Integrationshindernis einzuordnen, dem mit einer differenzierten Abstufung unterschiedlicher Integrationsgrade zu begegnen sei. An diese ideengeschichtlichen und begrifflich-systematischen Überlegungen knüpfte der Vortrag des Dresdner Studenten Steffen Behme an, der eine vergleichende Bestandsaufnahme der Chancen und Risiken nationaler und europäischer Maßnahmen der Migrationspolitik präsentierte und für eine gesamteuropäische Solidarität plädierte.
Die Dresdner Studierenden Luisa Wagner, Felix Meyerhoff und Till Uebealacker diskutierten am vierten Tag des Kurses die Frage, mit welchen normativen Argumenten sich ein Recht auf offene Grenzen herleiten lasse. Unterschiedliche Legitimationsstrategien des nationalen Grenzschutzes wurden hierbei kritisch betrachtet und einem Recht auf globale Bewegungsfreiheit gegenübergestellt. Der daran anschließende studentische Vortrag von Nelly Saibel, Martin Fischer und Tim Siedentop (Dresden) suchte nach Erklärungen für die zunehmende Polarisierung der Zivilgesellschaft, die sich insbesondere in der Dresdner Stadtgesellschaft zeigte. Sie arbeiteten hierbei die Gruppenidentität als maßgebenden Faktor bei der Gruppenpolarisierung heraus und ergänzten ihre Argumentation mit Beispielen aus der empirischen Deliberationsforschung.
Am letzten Tag schloss der Sommerkurs mit einem Vortrag des kroatischen Politikwissenschaftlers Prof. Dr. Zoran Kurelić (Zagreb), der das Phänomen des Flüchtlingslagers im Anschluss an Überlegungen Hannah Arendts einer politiktheoretischen Deutung zuführte. In der nachfolgenden Abschlussdiskussion wurden die zentralen Erkenntnisgewinne der Diskussionen und Vorträge gesammelt und auf Forschungsperspektiven aufmerksam gemacht.
Der diesjährige Sommerkurs zeichnete sich durch eine Dichte anspruchsvoller Vorträge aus, die stets engagierte und vielseitige Diskussionen hervorriefen. Der Kurs profitierte insbesondere von dem Austausch zwischen den deutschen und den kroatischen Teilnehmern, deren unterschiedliche wissenschaftsdisziplinäre Schwerpunkte die akademische Diskussion stets bereichert haben. Ein besonderer Dank gilt der Philosophischen Fakultät sowie der Gesellschaft von Freunden und Förderern der TU Dresden für eine großzügige finanzielle Unterstützung der Studierenden.