30.09.2024 - 24.01.2025 GROUND TRUTH - Lena von Goedeke
Ausstellung GROUND TRUTH von Lena von Goedeke, Schaufler Residency@TU Dresden 2024
30. September 2024 bis 24. Januar 2025
Galerie der Kustodie im Görges-Bau, Helmholtzstraße 9, 01069 Dresden
Eröffnung:
27. September 2024, 19:30 Uhr, in der Galerie der Kustodie im Görges-Bau
Kuratorisches Team:
Gwendolin Kremer, Pauline Hohn und Andreas Kempe
Die international erfolgreiche und preisgekrönte Bildhauerin und Konzeptkünstlerin Lena von Goedeke (*1983 in Duisburg, lebt in Berlin und Longyearbyen, Spitzbergen) ist von Mai bis Oktober 2024 als Artist in Residence am Schaufler Lab@TU Dresden zu Gast. Die Ausstellung GROUND TRUTH mit rund 15 Werken und Serien der Künstlerin, die in den vergangenen vier Jahren entstanden sind, vermittelt einen Einblick in ihre kollaborative Forschung.
In den vergangenen Jahren hat die Künstlerin an einem der nördlichsten Punkte der Erde die Arbeit der dort forschenden Wissenschaftler:innen beobachtet und begleitet. Die Fernerkundung durch Satelliten, im englischen Remote Sensing, ist dabei das Mittel der Wahl, um umfassende Informationen über die riesigen Gebiete der Arktis zu sammeln, die Aufschluss über Bewegungen oder Schwankungen von Meereisflächen usw. geben können. Diese Daten aus dem Weltall helfen dabei, fortschreitende Klimaprozesse in der Polarregion besser verstehen zu können.
An der Technischen Universität Dresden hat Lena von Goedeke sich mit Kultur- und Geisteswissenschaftler:innen, Geologen, Geodäten und Geoinformatikern über die ethischen und technologischen Begleiterscheinungen dieser Generierung von Welt-Bildern intensiv ausgetauscht. Unsere Vorstellung des arktischen Eismeeres und Ökosystems wird von ebendiesen digitalen Bildern aus der Luft, den Aufnahmen von Sensoren oder durch Mikroskope geformt und zu einer zweiten medialen Bildrealität überformt.
Die Künstlerin erlebt die verschwindende Landschaft unmittelbar, die Erosionen der Küste, die einen ganzen Lebensraum nicht nur bedrohen, sondern vernichten. Die Diskrepanz zwischen unaufhaltsam wachsenden Datenmengen und -bildern der Arktis und dem gleichzeitigen Verschwinden der physischen Landschaft fasst sie wie folgt zusammen:
"Es braucht ein Verständnis von Verantwortung: eine Möglichkeit für jeden, sich selbst ein Bild zu machen, um sich zu verorten. Ohne Orientierung kann es keine Verbindung zum eigenen Habitat geben, ohne ein Gefühl des Eingebundenseins in ein System keine Sorge darum. Eine Google Earth ist kein bewohnbarer Ort. Wenn auch der Blick hinaus in das All verstellt wird, und der Blick aus dem All zu künstlich: was brauchen wir, um uns für unseren Planeten verantwortlich zu fühlen?"
Im Schaufler Lab@TU Dresden hat sich Lena von Goedeke intensiv mit der Fragilität und Flüchtigkeit von materialisierten Datenspeichern wie Gestein, Fossilien und Permafrost beschäftigt. Der Titel der Ausstellung, GROUND TRUTH, ist demnach nicht nur in seiner Bedeutung als unumstößliche Wahrheit, also als „fundamental truth“, zu verstehen, sondern verweist als Fachbegriff im Feld Remote Sensing auch auf die Notwendigkeit, Fernerkundungsdaten mit Daten aus der Geländeerkundung (Bodenproben, Fotos, Vegetationsbestimmung etc.) abzugleichen.
Im Zentrum der Schau steht die 2023/24 entstandene Werkgruppe „Trümmer“: Vier an Äste erinnernde Skulpturen liegen auf Displays, ihre Oberfläche ist fein gemasert, wir erkennen Poren, Astlöcher, Jahresringe. Verweilt unser Blick länger, stellen wir fest, dass sich die Beschaffenheit des Geästs verändert. „Trümmer“ besteht aus Permafrost, also gefrorenem Erdboden, dessen Struktur sich über Stunden auflöst und zu Schlamm wird, der wieder gesammelt wird. Zu dem Setting gehört ein imposanter Eisschrank, in welchem das feuchte Bodenmaterial in Gussformen gefriert und dann wieder dem Prozess des Schmelzens ausgesetzt ist. In dem von Goedeke konzipierten Szenario beobachten wir einen physikalischen Kreislauf, einzig und allein garantiert durch den mit Strom betriebenen Froster. Aber wie stabil ist der Aggregatzustand der Arktis?
Mit der langzeitbelichteten Fotografie „Mouches Volantes“ (2023), aufgenommen im Tal Adventdalen auf Spitzbergen, lenkt Lena von Goedeke unseren Blick vom Erdboden zum Firmament, das im Winter nicht nur den Sternenhimmel zeigt, sondern pro Nacht auch rund 800 Satelliten, die den Himmel in ein geometrisches Raster zerschneiden und ihre Daten zu der Radaranlage auf dem 78. Breitengrad, nahe dem Ort der Aufnahme, senden. Die Fernerkundungssatelliten sammeln unablässig Daten einer fragilen Erdoberfläche, die sie an Hochleistungsrechenstationen übermitteln, und verhindern mit ihrem dichten künstlichen Netz am Himmel den Blick in die Weiten des Alls.
"Was geschieht mit unserem planetaren Selbstverständnis, wenn der einzelne sich nicht mehr durch einen wunderbaren Sternenhimmel im Universum verorten kann? Ist es das wert?"
Die poetischen und zugleich analytischen Skulpturen, Installationen sowie filmischen und fotografischen Arbeiten der Künstlerin machen die materielle und haptische Dimension und Bildgewalt des Nordpolargebiets anschaulich und vor allem unmittelbar körperlich erfahrbar. Die Bild-Welten zwischen Remote Sensing-Technologien und Permafrostmatsch könnten kaum gegensätzlicher sein. Lena von Goedeke zeigt, dass wir diese Weltbilder zusammenführen müssen, um den „extremen Zukünften“ (Orit Halpern) mit der Dualität von Daten und Material zu begegnen.
Zur Künstlerin
Lena von Goedeke wurde 1983 in Duisburg geboren, sie lebt und arbeitet heute in Berlin und Spitzbergen. Ihre Installationen und Objekte waren u. a. im Museum Marta Herford, dem Museum August Macke Haus in Bonn, der Kunsthalle Münster und in zahlreichen Galerieausstellungen zu sehen. Von Goedeke wurde bereits mit verschiedenen Preisen wie dem Kallmann-Preis des Kallmann Museums Ismaning und dem DEW21-Kunstpreis Dortmund sowie dem Jahresstipendium der Stiftung Kunstfonds ausgezeichnet.