Arbeitsbereiche des Projekts "Protestantische Hagiographie und Türkenpredigt"
Arbeitsbereich A
NEUE HEILIGKEITSMUSTER UND DIE NARRATIVEN TRANSFORMATIONEN HAGIOGRAPHISCHEN ERZÄHLENS
Antje Sablotny analysiert die Transformationen legendarischen Erzählens auf protestantischer Seite unter dem Aspekt von Invektivität und Neu-Durchsetzung von Heiligkeitsansprüchen, die in den nun als ‚Märtyrer- und Bekennerhistorien‘ bezeichneten Erzählungen gestellt und verbreitet werden. Anhand der umfangreichen Sammlung Ludwig Rabus’ (1552–58; 1571/72) und der Kalendarien Caspar Goltwurms (1554; 1559) und Andreas Hondorffs (1573) soll gezeigt werden, wie die lutherischen Historien von den katholischen Legenden abgegrenzt werden, mit welchen Mitteln die lutherischen Hagiographen aus der Abgrenzungsbewegung gegenüber den ‚Lügenden‘ die Legitimität einer eigenen Tradition von Märtyrern und Bekennern zu etablieren versuchen und welche Auswirkungen das sowohl für die lutherischen Erzählmuster als auch insgesamt für die Transformation der Gattung der Legende hat. Dabei legt Sablotny insbesondere Wert auf die Bekennerhistorien, die nach der Abwertung der Legende als ‚Lügende‘ ein sehr viel größeres Problem für die Begründung einer eigenständigen Hagiographie bilden als die Martyriumserzählungen. Eine Synthese der Ergebnisse aus diesem Arbeitsbereich soll ihre Habilitationsschrift „Nach der lutherischen Zertrümmerung der Hagiographie – ‚Lebendige Predigten‘ alter und neuer Heiliger“ leisten.
Arbeitsbereich B
DIE TÜRKENPREDIGTEN IM RAHMEN DER REFORMATORISCHEN UND KONFESSIONELLEN AUSEINANDERSETZUNGEN
In ihrem Dissertationsprojekt untersucht Theresa Beckert evangelische und katholische Türkenpredigten im Zeitraum von 1527 bis 1572. Im Zentrum steht die Frage, wie das Othering ‚der Türken‘ als außerchristlichem Gegner mit dem Othering des innerchristlichen Gegners verbunden wird, um die Identität der christlichen Eigengruppe zu profilieren und sich vom innerchristlichen Gegner abzugrenzen. Es wird einerseits nach den rhetorischen Strategien des Otherings, andererseits nach den dafür aufgegriffenen Semantiken, Topoi und Narrativen gefragt. Beckert will gleichsam zeigen, wie sich tradierte Semantiken des Türkendiskurses verschieben, wenn sie in den Kontext der innerchristlichen Auseinandersetzungen eintreten. Ein besonderer Fokus liegt auf sekundärstigmatisierenden Bezugsetzungen (Lobenstein-Reichmann) und dem polemischen Vergleich (Brauner/Steckel) zwischen ‚Türken‘ und innerchristlichem Gegner. Im Vergleich mit weiteren Turcica des religiösen Diskurses sollen die spezifischen Affordanzen der Predigt für Prozesse des Otherings herausgearbeitet werden. In gattungsgeschichtlicher Perspektive untersucht Beckert in diesem Arbeitsbereich, wie sich die Türkenpredigt im Verlauf des 16. Jahrhunderts verändert und welche Rolle die innerchristlichen Abgrenzungsprozesse und -versuche dabei spielen.
Arbeitsbereich C1
ANTILEGENDEN ÜBER LUTHER AM BEISPIEL VON JOHANNES NAS
In diesem Arbeitsbereich wird die protestantische Stilisierung Luthers, die im Arbeitsbereich A untersucht wird, durch die Fragestellung ergänzt, welche Anknüpfungspunkte die ‚Heiligung‘ Luthers für katholische ‚Antilegenden‘ (Brückner) bietet, welcher invektiver sprachlicher Mittel und narrativer Muster sie sich bedienen und in welcher Weise dies auf das hagiographische Erzählen im Katholizismus zurückwirkt. Marina Münkler wird sich bei den gegen Luthers ‚Heiligung‘ gerichteten Invektiven insbesondere auf die „Centurien“ (1565–1570) des Kontroverstheologen Johannes Nas konzentrieren, der auch mit Türkenpredigten in Erscheinung getreten ist, und fragen, welche hagiographischen Erzählungen über Luther ihnen zugrunde liegen, mit welchen polemischen Sprachgebrauchsmustern, Sprichwörtern und Topoi sie arbeiten und in welcher Weise sie auf Luthers eigene Schriften rekurrieren. Bild-Quelle und Lizenz
Arbeitsbereich C2
VOM FEIND LERNEN: LUTHERS BEARBEITUNG DER ALCORAN-SCHRIFT RICOLDS VON MONTECROCE
Albrecht Dröse wird Luthers 1542 in Wittenberg in den Druck gegangene Edition und Kommentierung der „Alcoran“-Schrift Ricolds de Montecroce von 1300 im Hinblick auf ihre invektiven sprachlichen Mittel sowohl gegen die Altgläubigen als auch den Islam untersuchen und analysieren, welche Überschneidungen sich etwa durch das Mittel des polemischen Vergleichs (Brauner/Steckel) ergeben. In diesem Arbeitsbereich wird auch danach gefragt, welche rhetorischen und semantischen Mittel eingesetzt werden, um die Übernahme der Darstellung eines Mitglieds des Predigerordens zu legitimieren, welche Widersprüche sich hierbei gegenüber den Türkenpredigten ergeben und welche Transformationen in der Beschreibung des Islam in der hypertextuellen Bearbeitung von Ricolds Text erfolgen. Bild-Quelle und Lizenz