01.06.2021
Ausstellung zum Artensterben im Institut für Biologie mit Herbarbelegen aus dem Herbarium Dresdense
Eine Ausstellung im Biologie-Bau der TUD widmet sich ausgestorbenen und aussterbenden Pflanzen in Sachsen
Was haben das Duftende Mariengras, die Schwarze Binse und das Langblättrige Laichkraut gemeinsam? Diese Pflanzen starben in Sachsen zwischen 1911 und 1913 aus. Ihnen und vielen weiteren widmet sich seit einigen Tagen eine Ausstellung im Foyer des Biologie-Baus der TU Dresden. UJ sprach mit der wissenschaftlichen Betreuerin der Exposition, Dr. Thea Lautenschläger, TUD-Fakultät Biologie.
UJ: Das Thema der Ausstellung lautet »Die verschwindende Vielfalt. Ausgestorbene und aussterbende Pflanzen in Sachsen«. Von welcher Größenordnung ausgestorbener oder aussterbender Pflanzen reden wir?
Dr. Lautenschläger: Aktuell gelten in Sachsen laut Roter Liste 178 Farn- und Samenpflanzen als ausgestorben – Algen, Moose und Flechten sind hier also noch nicht mit eingerechnet. Hier kommen nochmal etwa 400 Arten hinzu. Hunderte sind zudem akut vom Aussterben bedroht. Wann genau eine Pflanze ausstirbt, lässt sich im Nachhinein kaum ermitteln, da erst etliche Jahre ohne Fund vergehen müssen, bis sie als »ausgestorben« gilt.
Was genau können die Besucher in der Ausstellung sehen?
Herzstück der Ausstellung ist ein zehn Meter langer Zeitstrahl, beginnend im Jahr 1800, der zeigt, wann die Art das letzte Mal in Sachsen nachgewiesen wurde. Zur Illustration haben wir hier historische Herbarbelege aus unserem Herbarium verwendet. Originale davon zeigen wir außerdem in Vitrinen, gemeinsam mit Buchausschnitten und Karten, welche die ursprünglichen Verbreitungsgebiete der Arten verdeutlichen. Dank der Erhaltungskulturen des Botanischen Gartens können wir in einigen Kübeln in Sachsen »ausgestorbene« und stark bedrohte Pflanzenarten lebend zeigen. Zahlreiche Informationstafeln, welche von Valeria Bobke im Rahmen ihrer Bachelorarbeit erstellt wurden, erklären Ursachen des Verschwindens in den jeweiligen Habitaten und weisen auf die nächsten Kandidaten hin, die wohl bald verschwinden werden.
Weswegen sterben Pflanzen aus? Ist die Pflanzenwelt, abgesehen vielleicht von Farnen oder Schachtelhalmen, die es seit Urzeiten gibt, nicht stets einem ständigen Wandel unterworfen?
Natürlich gab es über die Evolution hinweg eine stetige Veränderung der Arten. Die Gründe der aktuellen Entwicklung sind jedoch andere und sehr vielfältig, denn hier stehen keine natürlichen Artentstehungsprozesse im Vordergrund, sondern das Tun des Menschen. Pflanzen in Feuchtgebieten beispielsweise sind durch massiven Nährstoffeintrag oder Flussbegradigungen gefährdet. Oft ist es aber auch die Zerstörung der natürlichen Standorte beispielsweise durch Versiegelung von Flächen – und aktuell auch der Klimawandel. Übrigens, ähnlich wie bei bekannten Tierarten, wurden einige wenige Arten auch durch starkes Absammeln für Herbarien, deren Herstellung zeitweise Mode war, ausgerottet.
Ja, und außerdem sterben auch Farne und Schachtelhalme aus – wir haben es heute nicht mit den gleichen Arten zu tun, wie »zu Urzeiten«.
Welchen Einfluss hat die »moderne« Landwirtschaft, haben Überdüngung und Monokulturen auf das Pflanzen(aus)sterben?
Die Landwirtschaft stellt aufgrund ihrer Intensivierung aktuell die größte Bedrohung für Wildpflanzenbestände in Deutschland dar. Alte Nutzungsformen wie die extensive Beweidung von sehr artenreichen Magerwiesen wurden aufgegeben, Ackerrandstreifen mit vielen Ackerwildkräutern sind nahezu verschwunden, Dünger und Pestizide werden verstärkt eingesetzt – und nicht zuletzt spielt die moderne Saatgutreinigung eine große Rolle. Verlieren wir die Pflanzenarten, dann folgerichtig auch die Insekten – und damit auch die Vögel.
Kann die Wissenschaft Pflanzensterben kompensieren? Ich las kürzlich von einer weltweiten Saatgutbank in Norwegen. Aber die dient wohl nur dem Erhalt von Saatgut der Nutzpflanzen?
Nie kann ein Artensterben ausgeglichen werden. Was ausgestorben ist, bleibt dies auch – und damit geht auch die genetische Ressource sowie die oft unerforschte Nutzungsvielfalt für den Menschen, aber auch fürs Ökosystem, verloren. Saatgutbanken sind ein Tropfen auf den heißen Stein, noch dazu extrem teuer und keineswegs langfristig ein sicheres Unterfangen. Auch botanische Gärten weltweit versuchen, eine gewisse Vielfalt zu erhalten – stehen aber den immensen Habitatverlusten hilflos gegenüber, da für den Erhalt einer Art eine bestimmte Populationsgröße und genetische Variabilität vonnöten ist, dafür aber die Ressourcen in den Gärten nicht vorhanden sind.
Was kann »Otto Normalverbraucher« tun, damit Pflanzendiversität möglichst erhalten bleibt? Kann er überhaupt etwas tun?
Ich könnte jetzt eine lange Liste aufführen, denn der Erhalt der Arten in ihrem natürlichen Lebensraum hängt mit unserer tagtäglichen Ressourcennutzung zusammen – mit unserem Einkaufverhalten oder unserer Mobilität. Die grundsätzliche Wertschätzung gegenüber der Natur und damit eine Sensibilität gegenüber der Wirkung des eigenen Tuns sind verschwunden. Gesunde Bäume werden gefällt, Wiesen als Stellplätze missbraucht, Vorgärten zu Golfrasen oder Steinwüsten umfunktioniert. Wir müssen der Natur wieder mehr Freiraum lassen, in dem sie sich selbst entwickeln kann. Sie gehört uns nicht. Im Gegenteil, wir überleben in ihr.
Die Ausstellung findet im Rahmen des 200. Gründungsjubiläums des Botanischen Gartens der TU Dresden statt. Welche Rolle messen Sie als Biologin dem Botanischen Garten als wissenschaftliche Einrichtung im Ausstellungskontext bei?
Der Botanische Garten der TU Dresden beherbergt etwa 10 000 Pflanzenarten. Wir nutzen diese Vielfalt für Lehre und Forschung. Die Fülle an Arten spricht aber auch viele Besucher an, so dass wir mithilfe von Informationstafeln Problematiken wie das Artensterben vor Ort thematisieren können. Gleichzeitig unterhält der Garten Erhaltungskulturen – hier werden also bestimmte Arten vermehrt und an bestimmten Standorten wieder in die Natur ausgebracht.
Mit Dr. Thea Lautenschläger sprach Karsten Eckold.
Ausstellung »Die verschwindende Vielfalt« im Foyer des Biologie-Baus der TUD am Zelleschen Weg seit 18. Mai bis zum 28. September 2021. Sie findet unter den ausgehängten Hygienemaßnahmen statt. Der Besuch der Ausstellung ist kostenlos. Anmeldung unter
Dieser Artikel ist im Dresdner Universitätsjournal 10/2021 vom 1. Juni 2021 erschienen. Die komplette Ausgabe ist im Online-Auftritt des UJ unter https://tu-dresden.de/uj oder hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei bestellt werden.