Feb 13, 2021
Gedenken zum 13. Februar: Victor Klemperer, seine Erinnerungen an die Dresdner Bombennacht und das Zeugnis eines Abschieds
Vor 61 Jahren, am 11. Februar 1960, starb der bedeutende jüdische Literaturwissenschaftler und Romanist Victor Klemperer in Dresden. Von 1920 bis zu seiner Entlassung 1935 lehrte er an der TH Dresden. Klemperer war nicht nur Zeitzeuge der „Judenhetze und der Pogromstimmung“[1] im Dritten Reich, sondern auch der Zerstörung Dresdens im Februar 1945. Über die Bombennächte, bei denen seine Frau und er nur leicht verletzt wurden, notierte er in seinem Werk „LTI – Notizbuch eines Philologen“ (1947):
„Am Abend dieses 13. Februar brach die Katastrophe über Dresden herein: die Bomben fielen, die Häuser stürzten, der Phosphor strömte, die brennenden Balken krachten auf arische und nichtarische Köpfe, und derselbe Feuersturm riß Jud und Christ in den Tod; wen aber von den etwa 70 Sternträgern diese Nacht verschonte, dem bedeutete sie Errettung, denn im allgemeinen Chaos konnte er der Gestapo entkommen.“
In den Sammlungen der Kustodie befindet sich ein handschriftliches Zeugnis Klemperers aus dieser Zeit: eine mit Widmung versehene, kostbare Erstausgabe von Georg Wilhelm Friedrich Hegels frühem Hauptwerk „Phänomenologie des Geistes“, die Victor Klemperer 1937 seinem Freund, dem Dresdner Arbeitspsychologen Walter Blumenfeld, zum Abschied ins Exil schenkte. Dass Klemperer ausgerechnet dieses Buch an seinen Freund Blumenfeld verschenkte, ist wohl kein Zufall gewesen. Hegel schreibt in der Vorrede zu seiner „Phänomenologie“:
„Es ist übrigens nicht schwer zu sehen, daß unsere Zeit eine Zeit der Geburt und des Übergangs zu einer neuen Periode ist. Der Geist hat mit der bisherigen Welt seines Daseins und Vorstellens gebrochen ...“
Vielleicht verband Klemperer mit seinem wertvollen Geschenk also den Wunsch eines geistigen Neuanfangs, den Walter Blumenfeld nun in Peru wagte. Diese Absicht würde auch die persönliche Widmung erklären, die Klemperer auf dem Titelblatt seines Exemplars der Phänomenologie oben rechts mit schwarzer Tinte handschriftlich hinzugefügt hatte:
»s. (seinem) l. (lieben) W. (Walter) Blumenfeld. auf Wiedersehen im freien Deutschland! V. (Victor) Klemperer Dresden 12/7 35.«
Leider ist Klemperers Wunsch Utopie geblieben, Blumenfelds kehrten nicht mehr nach Deutschland zurück. Walter Blumenfeld starb nach einer erfolgreichen Wissenschaftlerkarriere an der Universidad Nacional de San Marcos 1967 in Lima.
Es scheint, dass Walter Blumenfeld das wertvolle Geschenk von Victor Klemperer nicht mit in die Emigration genommen hat, sondern es in Dresden zurückließ. Über die Gründe kann man nur spekulieren. Bis in die 1960er-Jahre verliert sich die Spur des Buches, dann fand es ein Student der TU Dresden neben einer Mülltonne liegend. Er verwahrte die kostbare Erstausgabe über die Jahrzehnte in seinem Bücherschrank und übergab sie im Sommer 2017 an die Kustodie der TU Dresden, verbunden mit dem Wunsch, dass dieses geschichtsträchtige Buch wieder an den Ort des Wirkens von Prof. Klemperer zurückkehren möge, um dort an das Schicksal der vertriebenen jüdischen Professoren zu erinnern. Heute ist das Werk in der Dauerausstellung der Kustodie am Zelleschen Weg zu sehen.
[1] Tagebucheintragung vom 21. Juli 1935