Nachbau einer reliefperspektivischen Modells von Ludwig Burmester
Kann man seinen Augen trauen? Angesichts der Bogenhalle des Ludwig Burmester stellt sich diese Frage unwillkürlich. Man glaubt im ersten Moment, das Modell einer Kleinarchitektur über rechteckigem Grundriss zu sehen. Nur aus der Nähe und von der Seite erkennt man, dass es sich um ein merkwürdig verzerrtes Objekt handelt, eine sogenannte Reliefperspektive.
Seit der Renaissance werden in Reliefs Architekturelemente und andere Objekte perspektivisch verzerrt dargestellt. Das Relief wird dabei so kunstvoll auf einen Augpunkt hin konstruiert, dass die Objekte - aus dem Augpunkt betrachtet - unverzerrt erscheinen. Der Eindruck entsteht zum Teil dadurch, dass wir aufgrund unserer Seherfahrung die wahre Gestalt der Objekte in das Relief hineininterpretieren. Anwender der Reliefperspektive sind Bildhauer und Bühnenbildner. Um diesen die geometrischen Grundlagen der Reliefperspektive nahe zu bringen, hat Ludwig Burmester 1883 speziell für die Lehre an Kunstakademien und Kunstgewerbeschulen den Text "Grundzüge der Reliefperpective nebst Anwendungen zur Herstellung reliefperspectivischer Modelle" verfasst. Burmester war der erste Professor für Darstellende Geometrie an der Technischen Universität Dresden, die damals noch Königlich-Sächsisches Polytechnikum hieß.
Mit Zeichnungen und ausführlichen Beschreibungen erläutert Burmester alle Tricks und Kniffe, mit denen sich reliefperspektivische Modelle aus Gips herstellen lassen. Auf ergänzenden Fotos kann man ein Modell mit Grundkörpern erkennen, sowie die hier gezeigte Bogenhalle und ein weiteres Modell, das den Innenraum einer Basilika im Relief darstellt. Leider ist in Dresden keines der Modelle erhalten geblieben. Vermutlich wurden sie, wie der Rest der historischen Sammlung mathematischer Modelle, bei der Bombardierung im Februar 1945 vernichtet. An der TU Wien existieren jedoch noch einzelne Exemplare.
Heute beherbergt das Institut für Geometrie der TU Dresden wieder eine beachtliche Sammlung mathematischer Modelle. Der Wunsch, die Modelle Burmesters an ihrem Ursprungsort zu präsentieren, führte zu Überlegungen, wie man die Modelle nachbauen könne. Der traditionelle Modellbau scheidet dabei aus finanziellen Gründen und wegen mangelnder Kapazitäten aus. Außerdem sollte man die Warnungen Burmesters, selbst gelernter Feinmechaniker, ernst nehmen: »Die Mannigfaltigen Schwierigkeiten, die bei der hier kurz beschriebenen praktischen Herstellung der beiden Reliefmodelle der Halle und der Basilika auftraten, kann nur der Eingeweihte ermessen; und die Besiegung dieser Schwierigkeiten erfordert Geschicklichkeit und Geduld im allerhöchsten Masse.« Statt die handwerkliche Herausforderung anzunehmen, hat der Autor die Bogenhalle zeitgemäß im virtuellen Raum des Computers konstruiert.
Die perspektive Verzerrung leistet ein speziell hierfür entwickelter Algorithmus. Für den eigentlichen Modellbau kommt dann ein Rapid Prototyping System zum Einsatz, ein sogenannter 3D-Drucker, der am Institut für Geometrie zur Verfügung steht. Der 3D-Drucker interpretiert die 3D-Daten und druckt Schicht für Schicht einen wässrigen Binder in ein beständig nachgefülltes Bett aus feinem Gipspulver, bis das Modell fertig aufgebaut ist. Das Foto zeigt die Bogenhalle während der Bergung aus dem 3D-Drucker. Zuletzt wird das Modell mit Epoxidharz infiltriert, um es haltbar zu machen. Weil der Bauraum des 3D-Druckers nur 20 x 25 x 20 cm fasst, wurde die Bogenhalle auf 80% der Originalgröße skaliert. Das Modell steht auf einem Sockel, dessen geneigte Standfläche dem reliefperspekivischen Bild einer horizontalen Ebene entspricht. Ein Exemplar des Modells ist nun Teil der ständigen Ausstellung der Kustodie.
Dr. Daniel Lordick
Institut für Geometrie
TU Dresden
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