04.11.2024
Interview mit Prof.Dr. Dorit Brixius
Hallo Frau Professorin Brixius, bitte stellen Sie sich einmal vor und erzählen Sie etwas über Ihre Forschung.
Ich bin kürzlich als Juniorprofessorin der Geschichte der Botanik und des Gartenbaus, einer neuen Juniorprofessur an der Biologischen Fakultät, berufen worden. Ausgebildet als Kulturhistorikerin der Frühen Neuzeit an der Universität Potsdam, entwickelte ich ein starkes Interesse an Wissens- und Medizingeschichte mit einem besonderen Fokus auf Pflanzen. Für meine Promotion, die ich am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz abschloss, untersuchte ich die Bepflanzung von Mauritius im achtzehnten Jahrhundert, damals eine französische Kolonialinsel im Indischen Ozean. Für meinen Postdoc ging ich nach Paris, um am Deutschen Historischen Institut zu arbeiten. Dort entwickelte ich ein Projekt zur medizinischen Praxis des Pariser Arztes von Noël Vallant im siebzehnten Jahrhundert. Momentan habe ich zwei große Forschungsfelder: Einerseits arbeite ich weiter an Vallants medizinischer Praxis und neuerdings auch in diesem Kontext an Gesichtspflege und Kosmetik. Andererseits – und das ist wichtiger für meine jetzige Stelle – arbeite ich an der Geschichte von Dresdens Botanischem Garten im langen neunzehnten Jahrhundert. Die Idee ist es, eine Biographie des Gartens zu schreiben und dessen Entwicklung von der Gründung bis in die 1930er nachzuzeichnen.
Was ist eine wichtige Erkenntnis, zu der Sie in Ihrer Karriere als Wissenschaftlerin kamen?
Ich war erstaunt zu sehen, dass Primärquellen zu pflanzenbezogenem Wissen in Archiven so viel reicher sind als es aus veröffentlichen Material (der Zeit) zuerst scheint. So viele Informationen und vor allem nicht-europäisches Wissen sind während des Prozesses der Veröffentlichung, in dem Wissen offiziell und „europäisiert“ wurde, verloren gegangen. Die Arbeit mit Archiven zu erlaubt „hinter den Vorhang“ zu blicken. Mit handgeschriebenen Quellen aus der Vergangenheit zu arbeiten, ist ein Privileg, erfordert aber auch viel Zeit und Geduld.
Worauf freuen Sie sich am meisten in Ihrer neuen Position als Juniorprofessorin?
Ich freue mich wirklich darauf interdisziplinäre Forschungsprojekte zu entwickeln. Zum Beispiel mein Interesse an Kosmetik: Ich würde liebend gerne historische Rezepte untersuchen und sie dann im Labor mit den Sachkenntnissen von biomedizinischen WissenschaftlerInnen herstellen (ähnlich dem Renaissance Goo Project)! Davon ausgehend, träume ich einen Kurs mit „hands-on“ Wissen zu entwickeln und Studierende der Geschichte und Biologie zusammen ins Labor zu bringen. Ein fantastisches (und wegweisendes) Projekt wurde 2015 an der Columbia Universität entwickelt und ich durfte als Paläografin daran mitwirken: The Making and Knowing Project. Ein Blick rein lohnt sich!
Was gefällt Ihnen an Ihrem Job am meisten und am wenigsten?
Am meisten gefällt mir, dass ich für meinen neugierigen und kritischen Geist bezahlt werde. Ich werde fürs Nachdenken bezahlt und dafür, den kritischen Geist meiner Studierenden anzuregen und Optimismus, Menschlichkeit und Zivilcourage zu fördern, ist das nicht großartig? Aber ich habe das Gefühl, dass HistorikerInnen (der Frühen Neuzeit) in den Naturwissenschaften oft missverstanden, vielleicht sogar lächerlich gemacht werden und sich wie ein/e AußenseiterIn fühlen können. Wir sprechen verschiedene Sprachen und unsere Qualitäten als AkademikerInnen werden unterschiedlich beurteilt. Glücklicherweise ist das an dieser Fakultät nicht der Fall, wo ich mich sehr willkommen und inspiriert fühle und wo ich Gespräche mit BiologInnen führe, die sich der Tatsache bewusst sind, dass wir eine gemeinsame Sprache finden müssen, um unsere Forschung zu bereichern und wirklich interdisziplinär zu gestalten!
Wie hinterfragt Ihre Forschung traditionelle Narrative in der Geschichte oder Biologie?
In meinem kürzlich erschienenen Buch Creolised Science schreibe ich über interkulturelle Beiträge zu Pflanzenwissen im achtzehnten Jahrhundert, die zeigen, dass es keine Überlegenheit des europäischen Wissens gab und dass ähnliche Methoden unabhängig voneinander in verschiedenen Regionen der Welt entwickelt wurden. Ich glaube, dass es ein wichtiger Beitrag sein kann, das Erbe der kolonialen Botanik neu zu überdenken und vom binären Denken des Pflanzenwissens (wissenschaftlich/nicht-wissenschaftlich) wegzukommen. Mein Buch ist ein Aufruf, historisches Pflanzenwissen in seinen ganz eigenen kulturellen Kontexten zu würdigen und zu untersuchen.
Welches Buch würden Sie jedem empfehlen zu lesen?
Es gibt zwei aktuelle Bücher, die meiner Meinung nach dazu beitragen können, den Dialog zwischen den Disziplinen Geschichte und Biologie zu erleichtern: Zum einen das Handbook of the Historiography of Biology (2021). Zum anderen gibt es Banu Subramaniams jüngstes Buch Botany of Empire. Plant Worlds and the Scientific legacies of colonialism (2024). Letzteres ist eine Pflichtlektüre für kritische Reflexionen über die Disziplin „Botanik“, ihre historische Entwicklung und ihr koloniales Erbe. Und um sich ein wenig in der Poesie und der Schönheit des Lebens zu verlieren, wenn man einen ‚akademischen „Blues“‘ hat, empfehle ich Kahlil Gibrans Der Prophet“, ein Buch voller Lebensweisheiten und wunderschöner Formulierungen!
Vielen Dank, Frau Professorin Brixius, und ein herzliches Willkommen vom Team des BioS Reports!
Ist Ihr Interesse geweckt? Lesen Sie hier mehr über die Juniorprofessur für die Geschichte der Botanik und des Gartenbaus: https://tu-dresden.de/mn/biologie/jprof-geschichte-der-botanik-und-des-gartenbaus