19.03.2019
„Ich weiß, wie du dich fühlst“
Neurowissenschaftler der TU Dresden und der Universität Lübeck zeigen die Bedeutung der Unterscheidung von Empathie und Perpektivenübernahme auf
Gelingendes menschliches Zusammenleben hängt maßgeblich davon ab, dass wir die Gefühlszustände unserer Mitmenschen nachempfinden und uns in deren Sichtweise hineinversetzen können. Was genau uns hierzu befähigt, stellt für die psychologisch-neurowissenschaftliche Erforschung des „sozialen Gehirns“ eine spannende Frage dar. In einer neuen Übersichtsarbeit in der Fachzeitschrift Frontiers in Psychiatry beschreiben ein Forscherteam der Professur für Klinische Psychologie und Behaviorale Neurowissenschaft der TU Dresden unter der Leitung von Prof. Philipp Kanske in Zusammenarbeit mit dem Social Neuroscience Lab der Universität Lübeck, dass zum Verständnis dieser Prozesse, zwischen den Fähigkeiten Empathie und Perspektivenwechsel unterschieden werden muss.
Empathie ist die Fähigkeit, die Gefühlszustände anderer – wie zum Beispiel Freude oder auch Traurigkeit – zu teilen. Empathie entwickelt sich in der Lebensspanne sehr früh und bleibt uns bis ins hohe Alter erhalten. Interessanterweise zeigt neurowissenschaftliche Forschung zu Empathie, dass wir bei empathischen Reaktionen die gleichen Netzwerke im Gehirn aktivieren, die auch dann aktiv sind, wenn wir die entsprechenden Emotionen selbst erfahren. Empathisches Einfühlen ist also ein tatsächliches Miterleben der Gefühlszustände anderer. Dieses Miterleben ist in manchen Situationen stärker ausgeprägt als in anderen, und auch zwischen Personen gibt es bedeutsame Unterschiede.
Die Fähigkeit zur Perspektivenübernahme, im Sinne eines gedanklichen Nachvollziehens der mentalen Zustände anderer Menschen, entwickelt sich hingegen vergleichsweise später (ungefähr um das Alter von vier Jahren) und bildet sich im hohen Alter wieder zurück. Unser Gehirn setzt zur Perspektivenübernahme Netzwerke ein, die an unterschiedlichen Aspekten von Informationsverarbeitung und mentaler Simulation beteiligt sind. In welchem Ausmaß wir die Perspektive anderer übernehmen, hängt neben dem Vorhandensein kognitiver Ressourcen von unserer Motivation ab, und kann sich zwischen unterschiedlichen Menschen ebenfalls unterscheiden.
Die neu erschienene Arbeit zeigt, wie wichtig es für die weitere Forschung und auch deren praktische Anwendung ist, zwischen Empathie und Perspektivenübernahme zu unterscheiden. „Bei vielen psychischen Störungen ist veränderte Emotionalität ein kritisches Problem, gerade auch für gute Interaktionen mit anderen. Was mich immer wieder motiviert ist, dass grundlagenwissenschaftliche Verständnis langfristig zu nutzen, um Interventionen zu entwickeln, die diesen Problemen entgegenwirken“, beschreibt Prof. Philipp Kanske die Bedeutung seiner Arbeit.
Originalveröffentlichung:
Julia Stietz, Emanuel Jauk, Sören Krach and Philipp Kanske: “Dissociating Empathy From Perspective-Taking: Evidence From Intra- and Inter-Individual Differences Research”. https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fpsyt.2019.00126/full
Kontakt:
Prof. Philipp Kanske
Professor für Klinische Psychologie und Behaviorale Neurowissenschaft
Tel. +49 351 463-42225
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