27.03.2019
Profitfeld für Unternehmen, stärkeres Sicherheitsgefühl für den Einzelnen - TUD-Experten befragt
Was der Ingenieurpsychologe und Kognitionsforscher Prof. Sebastian Pannasch vom autonomen Fahren denkt
Ist das sogenannte autonome Fahren ein profitables Zukunftsfeld für die Unternehmen oder Sicherheitsfaktor für den Einzelnen in einer angstgeprägten Gesellschaft – oder beides? Das UJ befragte Sebastian Pannasch, Professor für Ingenieurpsychologie und angewandte Kognitionsforschung der TU Dresden.
UJ: Die Idee des autonomen Fahrens wird derzeit viel diskutiert. Wann und warum eigentlich ist sie, historisch gesehen, entstanden? Autofahren macht den meisten Menschen Spaß. Auf die Idee, diesem Spaß freiwillig zu entsagen, muss man ja erstmal kommen …
Prof. Sebastian Pannasch: Sicherlich kann man annehmen, dass viele Menschen Freude daran haben, mit dem Auto zu fahren. Ein bekannter Werbeslogan besagte einmal: »aus Freude am Fahren«. Allerdings gibt es zahlreiche Faktoren, die den Fahrspaß mindern: Beispielsweise hat die Verkehrsdichte deutlich zugenommen, es befinden sich also stetig mehr Fahrzeuge auf der Straße. Darüber hinaus reicht die Idee des fahrerlosen Fahrens, also dass wir in ein Auto einsteigen und uns das Auto von selbst zum gewünschten Zielort bringt, mindestens bis in die 1950er Jahre zurück. Die Idee ist so gesehen nicht neu, neu sind hingegen die technischen Möglichkeiten, die uns diesem Traum deutlich näherkommen lassen. Dazu kommt natürlich noch der Aspekt, die Sicherheit zu verbessern – also den fehlerbehafteten Menschen aus dem Fahrprozess herauszulösen und diesen an eine sichere Automatik zu übergeben.
Welche Grundidee scheint sich durchzusetzen – der Einsatz von Technik, um den Fahrer vom Führen des Fahrzeuges möglichst weitgehend zu entlasten, oder der Einsatz von Technik bei Beibehaltung der Verantwortung des menschlichen Fahrers, um bei Fahrfehlern einzugreifen, also eine Art Sicherheitsassistenz?
Wenn Sie sich die aktuellen Fahrzeuge anschauen, dann nimmt die Zahl der Assistenzsysteme im Fahrzeug kontinuierlich zu. Es gibt unterschiedliche Systeme, die Teilaufgaben übernehmen und uns auf diese Weise entlasten sollen. Am bekanntesten sind hier sicher Fahrzeuge der Marke Tesla, bei denen die Fahraufgabe teilweise komplett vom Fahrzeug übernommen werden kann. Das bedeutet, das Auto kann auf bestimmten Straßen, wie z. B. Autobahnen oder Highways die Spurhaltung, Geschwindigkeit und den Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug übernehmen – das sind die Hauptaufgaben des Autofahrers. Allerdings müssen Sie als Autofahrer die Hände am Lenkrad behalten und im Notfall – wenn das Auto die Steuerung nicht mehr leisten kann – wieder die Fahrzeugführung übernehmen. Was bedeutet das für den Autofahrer? Ich fahre nicht mehr selbst, sondern schaue meinem Auto beim Fahren zu, muss aber aufmerksam sein, damit ich bei Bedarf – also in schwierigen Situationen — eingreifen kann. Wir werden auf diese Weise vom aktiven Autofahrer zum passiven Systemüberwacher degradiert – eine äußerst langweilige Aufgabe, die für uns Menschen sehr schwierig ist. Bei dieser Art von Aufgabe haben wir sehr große Probleme, aufmerksam und wach zu bleiben. Die eigentliche Idee der Unterstützung und Entlastung des Fahrers ist hier ins Gegenteil verkehrt.
Worin liegt der kulturelle Wert der Entwicklung hin zum autonomen Fahren? Wird der Mensch damit nicht »unmündiger« gemacht?
Da gilt es zu bedenken, dass erschwerend hinzukommt, dass wir als Fahrer, egal ob uns das Auto herumfährt oder wir selbst steuern, verantwortlich sind für mögliche Fehler oder Unfälle. Das wird auch so bleiben, solange wir im Notfall noch eingreifen müssen. Erst auf der Stufe des vollständig autonomen bzw. fahrerlosen Fahrens, wenn sich also auch kein Lenkrad mehr im Auto befindet, werden wir komplett von der Aufgabe und der Verantwortung entbunden. Bis dahin ist es aber ganz sicher noch ein sehr langer Weg.
Wer profitiert von der Entwicklung des autonomen Fahrens? Der Fahrer? Die Hersteller? Die Allgemeinheit?
Inwieweit Autofahrer von diesen Entwicklungen profitieren, habe ich ja bereits versucht darzustellen. Um dies vielleicht noch etwas zuzuspitzen – wir langweilen uns im Auto bei der Fahrzeugüberwachung, wenn Sie aber plötzlich eingreifen müssen, führt das zu extremen Stress. Insofern sehe ich die Vorteile dieser Entwicklung klar bei den Herstellern. Bei der aktuellen Entwicklung lassen sich stets neue Modelle mit verbesserten Assistenzfunktionen verkaufen – andererseits dienen wir als Kunden und Nutzer gleichzeitig als Testpersonen. Wir probieren bei unseren Fahrten aus, wie gut diese Systeme funktionieren.
Mehr Sicherheit dürfte damit nicht entstehen, oder?
Das würde ich so nicht unbedingt sagen, die Assistenzsysteme sind ja nicht schlecht – diese tragen auf jeden Fall zu größerer Sicherheit bei – solange alles gut funktioniert.
Welche Stufen des autonomen Fahrens gibt es?
Nach der Society of Automotive Engineers (SAE) gibt es fünf Stufen des autonomen Fahrens. Aktuell befinden wir uns auf Stufe 1 bzw. 2, dies entspricht assistiertem oder teilautomatisiertem Fahren, bei dem der Fahrer ständig die Fahraufgabe ausführen muss. Erst ab Stufe 3 soll das oben skizzierte Szenario Realität werden; wir als Fahrzeugführer müssen nicht mehr permanent das System überwachen, sondern nur noch im Notfall eingreifen. Vollständig fahrerloses Fahren soll es ab Stufe 5 geben.
Je »autonomer« das Fahren wird, desto mehr wird dem Fahrer die reale Fähigkeit, Auto zu fahren, abgewöhnt – mit welchen rechtlichen und welchen sicherheitsbezogenen Konsequenzen?
Das ist in der Tat spannend. Aktuell sind wir ja – selbst beim teilautomatisierten Fahren – die gesamte Fahrzeit in den Fahrprozess aktiv eingebunden. Erst beim hochautomatisierten Fahren, wenn wir uns größtenteils anderen Aufgaben zuwenden können, wird es interessant: Wir üben die Fahrtätigkeit nicht mehr aus und verlieren damit zunehmend unsere Fertigkeiten. Fraglich ist für mich auch, was mit Fahranfängern passieren wird. Diese werden vermutlich noch weniger Möglichkeiten haben, gute Fertigkeiten im Umgang mit dem Auto zu entwickeln, sollen aber ebenfalls im Notfall sehr schnell und kompetent eingreifen können.
Autonomes Fahren bedeutet ja nicht nur mehr und komplexere Technik im Fahrzeug, sondern auch in der Infrastruktur – an Straßenführungen, auf Kreuzungen, riesige webbasierte Datenbanken … Die Systeme werden immer komplexer. Der private Käufer zahlt ein solches Hochrüsten beim Kauf seines Fahrzeuges – wer aber zahlt die hochgerüstete Infrastruktur?
Die Finanzierung dieser Infrastruktur ist sicher nicht unerheblich – auf welche Weise die erfolgt, da könnte ich nur spekulieren. Da wissen die Kolleginnen und Kollegen aus den Verkehrswissenschaften mehr.
Technikphilosophen haben immer wieder hervorgehoben, dass es für hochkomplexe, selbstorganisierende Systeme – und die Vernetzung von Abertausenden von Fahrzeugen und Straßen ist ein solches hochkomplexes, selbstorganisierendes System – unmöglich ist, mithilfe bestimmter Steuereingriffe bestimmte, erwünschte Systemzustände und »Ausgangsgrößen« zu erreichen. Ist deshalb die Idee vom autonomen Fahren eine zwar auf den Einzelnen bezogen verlockende, aber angesichts der Komplexität der Verkehrssysteme systemisch in der Gesamtheit unrealisierbare Vorstellung?
Auch das ist eine Frage, die über meine eigentliche Expertise hinausgeht. Bei Psychologen steht das Individuum im Mittelpunkt, bei mir als Ingenieurpsychologen geht es darum, wie wir mit technischen Systemen umgehen, welche Probleme es gibt und worin Verbesserungspotenziale aus der Perspektive des Menschen bestehen könnten. Die angesprochene Komplexität der zukünftigen Systeme und die Möglichkeit, diese zu kontrollieren, geht ganz sicher weit über menschliche Fähigkeiten hinaus. Andererseits haben wir bereits heute Systeme wie Flugzeuge oder Kraftwerksanlagen, die für den Einzelnen nur sehr schwer versteh- und beherrschbar sind. Hier gibt es bereits große Herausforderungen, das Systemverständnis und die Kontroll- bzw. Eingriffsmöglichkeiten entsprechend abzubilden. Diese Herausforderungen werden in Zukunft ganz sicher nicht geringer werden.
Es fragte Mathias Bäumel.
Dieser Artikel ist im Dresdner Universitätsjournal 06/2019 vom 26. März 2019 erschienen. Die komplette Ausgabe ist hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei doreen.liesch@tu-dresden.de bestellt werden. Mehr Informationen unter universitaetsjournal.de.