19.12.2019
Wissenschaftler entdecken erstes antiferromagnetisches topologisches Quantenmaterial
Ein Zusammenschluss von internationalen und interdisziplinären Forscherteams unter Beteiligung der TU Dresden hat eine neue Art von Quantenmaterial mit intrinsisch magnetischen und topologischen Eigenschaften entdeckt. Das Material heißt Mangan-Bismut Tellurid (MnBi2Te4) und ist äußerst vielversprechend für die Anwendung in antiferromagnetischer Spintronik und Quantentechnologien. Die Ergebnisse der Forschungsarbeit werden in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht.
Quantenmaterialien stehen weltweit im Fokus von Wissenschaftlern unterschiedlicher naturwissenschaftlicher Disziplinen. Die Materialklasse erweist sich als äußerst komplex und besonders reichhaltig an physikalischen Phänomenen wie Magnetismus, Supraleitung oder Topologie. Sie ist daher extrem vielversprechend im Hinblick auf neue Technologien, unter anderen in der Kommunikation, Sensorik, Computing und vielen mehr. Auch an der TU Dresden stellt die Quantenmaterialforschung einen wichtigen Forschungsschwerpunkt dar, der durch die Einrichtung des Verbund-Exzellenzclusters ct.qmat – Komplexität und Topologie in Quantenmaterialien der TU Dresden mit der Julius-Maximilians-Universität Würzburg an Bedeutung gewonnen hat.
Um die außergewöhnlichen Eigenschaften in Quantenmaterialien zu beobachten, bedarf es in der Regel besonderer, häufig schwierig herzustellender Bedingungen, wie tiefen Temperaturen, extrem starken Magnetfeldern oder Hochdruck. Die Wissenschaftler suchen daher nach Materialien, die auch bei Raumtemperatur, ohne externe Magnetfelder und unter normalen Luftdruck ihre exotischen Eigenschaften zeigen.
Besonders vielversprechend sind die sogenannten magnetischen topologischen Isolatoren (MTI). Sie werden als Quelle für neuartige Quasipartikel und exotische Quantenphänomene gehandelt. Ihre experimentelle Umsetzung gilt allerdings als sehr schwierig.
Jun.-Prof. Dr. Anna Isaeva ist assoziiertes Mitglied im Exzellenzcluster ct.qmat und hat die gemeinsame Juniorprofessur für Synthese und Kristallzüchtung von Quantenmaterialien der TU Dresden und des Leibniz-Instituts für Festkörper- und Werkstoffforschung Dresden inne. Zusammen mit ihrer Arbeitsgruppe forscht sie an der Schnittstelle von Chemie, Physik und Kristallografie an der Entschlüsselung neuer Quantenmaterialien.
In einer großen internationalen Kooperation von über 40 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus über 20 Forschungseinrichtungen ist Dr. Isaevas Team maßgeblich an der Entdeckung eines neuen, vielversprechenden Quantenmaterials beteiligt. Die Wissenschaftler der TU Dresden haben zusammen mit ihren Kollegen vom Leibniz-Institut für Festkörper- und Werkstoffforschung Dresden die erste Kristallzuchttechnik für das intrinsisch magnetische topologische Material Mangan-Bismut Tellurid MnBi2Te4 entwickelt und die physikalischen Eigenschaften der Kristalle charakterisiert. Dr. Alexander Zeugner von der TU Dresden hat maßgeblich zur Syntheseoptimierung beigetragen. Die Forschungskooperation konnte sowohl in der Theorie, federführend durch das Donostia International Physics Center in Spanien, als auch experimentell spektroskopisch, maßgeblich an der Universität Würzburg, nachweisen, dass MnBi2Te4 der erste antiferromagnetische topologische Isolator (AFMTI) unterhalb seiner Ordnungstemperatur ist.
Die Bedeutung dieser Entdeckung für die Fachwelt ist enorm: Ein MTI-Kristall verfügt über einen Kantenzustand an seiner Oberfläche, der eine quantisierte Hall-Leitfähigkeit auch ohne magnetisches Außenfeld realisieren kann. Zudem leistet die Herstellung eines AFMTI einen wichtigen Beitrag für das boomende Feld der antiferromagnetischen Spintronik. Darüber hinaus könnte auch das neue Forschungsgebiet von magnetischen van der Waals-Materialien von den neuartigen zweidimensionalen Ferromagneten profitieren.
Dr. Isaevas Team hat das Syntheseprotokoll für das neue Material bereits weiter optimiert, so dass MnBi2Te4 Einzelkristalle leichter herzustellen sind. Forscherteams weltweit haben sich der Untersuchung des Zusammenspiels von Magnetismus und Topologie in MnBi2Te4 angeschlossen. Neueste Erkenntnisse zeigen, dass es noch mehr strukturelle Derivate von MnBi2Te4 gibt, die im Kontext von MTI relevant sind.
"Wir erleben derzeit die Entstehung einer neuen Familie von magnetischen topologischen Isolatoren, die mehr auf intrinsische Magnetisierung, als auf den magnetischen Dotierungsansatz setzen. Die Konkurrenz unter den Teams ist groß. Das hat weltweit eine Flut an neuen Publikationen zu dem Thema ausgelöst", sagt Jun.-Prof. Dr. Anna Isaeva und weist auf bereits drei eigene Folgepublikationen hin.
Die Arbeitsgruppe Synthese und Kristallzüchtung von Quantenmaterialien
Die Professur „Synthese und Kristallzüchtung von Quantenmaterialien“ wurde 2019 als gemeinsame Berufung der Technischen Universität Dresden mit dem Leibniz-Institut für Festkörper- und Werkstoffforschung Dresden gegründet. Die Professur wird von Jun.-Prof. Dr. Dr. Anna Isaeva geleitet. Die Forschungsgruppe ist im Bereich der anorganischen Materialchemie tätig und befasst sich vor allem mit der explorativen Erforschung neuer topologisch nicht-trivialer Phasen. Die Arbeiten werden zum großen Teil im Rahmen des Sonderforschungsbereich 1143, des Exzellenzclusters ct.qmat, des Schwerpunktprogramms 1666 und dem Graduiertenkolleg 1621 durchgeführt.
Originalveröffentlichung:
M. M. Otrokov, I. I. Klimovskikh, H. Bentmann, D. Estyunin, A. Zeugner, Z. S. Aliev, S. Gaß, A. U. B. Wolter, A. V. Koroleva, A. M. Shikin, M. Blanco-Rey, M. Hoffmann, I. Rusinov, A. Yu. Vyazovskaya, S. V. Eremeev, Yu. M. Koroteev, V. Kuznetsov, F. Freyse, J. Sanchez-Barriga, I. R. Amiraslanov, M. B. Babanly, N. T. Mamedov, N. A. Abdullayev, V. N. Zverev, A. Alfonsov, V. Kataev, B. Büchner, E. Schwier, S. Kumar, A. Kimura, L. Petaccia, G. Di Santo, R. C. Vidal, S. Schatz, K. Kißner, M. Ünzelmann, C.-H. Min, S. K. Moser, T. R. F. Peixoto, F. Reinert, A. Ernst, P. M. Echenique, A. Isaeva, E. V. Chulkov. Prediction and observation of the first antiferromagnetic topological insulator. Nature (2019). arxiv.org: 1809.07389.
Informationen für Journalisten:
Jun.-Prof. Anna Isaeva
TU Dresden
Institut für Festkörper- und Materialphysik
IFW Dresden
Tel.: 0351 463-40541