13.07.2023
Studentisches Ehrenamt – Ben Balsmeier von Zeugen der Flucht im Interview
Die Initiative Zeugen der Flucht Dresden e.V. setzt sich für antirassistische Bildungsarbeit ein. Bei Workshops können die Teilnehmer:innen mehr über das Thema Flucht erfahren und persönliche Geschichten hören. Durch den Austausch und die Begegnung zwischen Menschen mit und ohne Fluchterfahrung, möchten die Mitglieder junge Menschen zusammenbringen. Ben Balsmeier ist studentischer Ehrenamtlicher und aktiver Teil der Hochschulgruppe Dresden. Mit seiner Tätigkeit will er interkulturellen Austausch ermöglichen und so einen Beitrag zu einer offeneren und demokratischen Gesellschaft ohne Rassismus leisten. Im Interview erzählt der TUD-Student mehr über seine Auszeichnung durch die Studienstiftung und warum er wohl für immer ein Ehrenamtlicher sein wird.
Wer seid ihr und was macht ihr bei Zeugen der Flucht e.V.?
Wir sind Zeugen der Flucht Dresden e.V. und veranstalten Workshops in Schulen im Sinne der antirassistischen Bildungsarbeit, um Menschen mit und ohne Fluchterfahrung zusammenzubringen. Seit der Flüchtlingskrise 2015 gab und gibt sehr viele Vorurteile gegen Menschen, die Fluchterfahrung haben oder Menschen mit Migrationshintergrund allgemein. Diesen Vorurteilen möchten wir durch den persönlichen Austausch entgegenwirken, damit die Menschen miteinander und nicht übereinander sprechen. Es soll eine differenziertere Sichtweise auf das Thema Flucht geschaffen werden.
Wie sieht eure Arbeit konkret aus?
In den Medien wird sehr oft über Menschen geredet, aber nicht mit ihnen. Wir möchten eben diese persönliche Ebene mit in die Debatte einfließen lassen und auch in die Köpfe der Menschen bringen. Dafür haben wir ein Konzept entwickelt, das zuerst faktisch über dieses sehr emotional aufgeladene Thema berichtet, d.h. es gibt ein Quiz, wo die Teilnehmer:innen testen können, was sie schon über das Thema Flucht wissen. Dazu gibt es eine Präsentation, um dann die Fragen, die vielleicht beim Quiz aufgekommen sind, zu klären und generell ein bisschen zu informieren – z. B. wie funktioniert das Asylsystem in Deutschland, was sind Hauptaufnahme- und Herkunftsländer von Flüchtlingen, wie hängt das zusammen, was sind Fluchtursachen und Ähnliches. Im zweiten Teil kommt der Part, der uns besonders macht. Eine Person erzählt persönlich seine oder ihre Fluchtgeschichte und die Schüler:innen können dann Fragen stellen, um Vorurteile loszuwerden, aber auch um Interesse, was im ersten Teil aufgekommen ist, zu vertiefen.
Für welche Arten von Schulen bietet ihr diese Workshops an?
Für Schulformen von Klasse 3 bis 13 – da ist eigentlich immer alles dabei. Wir waren in Berufsschulen, Gymnasien, Oberschulen und haben jetzt ein Grundschul-Konzept entwickelt, d.h. wir gehen auch in Grundschulen. Da wird das natürlich alles ein bisschen kindgerechter, interaktiver und pädagogischer vermittelt und auch nicht so detailliert in Bezug auf Krieg oder Gewalt. Wir passen unseren Workshop immer extrem an das Publikum an, d.h. wenn wir jetzt bei der Grünen Jugend einen Workshop machen, dann hat das Publikum natürlich einen anderen Hintergrund, als wenn wir jetzt in eine Grundschule gehen.
Du engagierst dich seit 2019 bei Zeugen der Flucht. Wie bist du damals auf die Hochschulgruppe aufmerksam geworden?
Der Verein kommt eigentlich aus Freiburg und die Idee in Dresden hatte sich dann 2022 offiziell gegründet. Vorher war es eher eine Untergruppe von Freiburg. Es lief also schon was, war aber noch nicht so groß. Als ich angefangen habe Internationale Beziehungen zu studieren, gab es in der Ersti-Woche einen Tag, wo sich alle Initiativen vorgestellt haben. Und da hat ein mittlerweile guter Freund von mir, der Zeugen der Flucht in Dresden viel mit aufgebaut hat, das Projekt vorgestellt und ich hatte direkt Bock. Dann wächst man da natürlich so rein, was glaube ich die Stärke des Vereins ist. Wir versuchen immer den persönlichen Kontakt sehr zu pushen. Ich mochte einfach die Leute, man hat sich besser kennengelernt und dann ist es auch irgendwie eine Herzensangelegenheit geworden. Als mein Freund dann aus Dresden weggezogen ist, habe ich es das dann so ein bisschen übernommen und dann wurde auch alles ein bisschen ernster und größer, weil wir uns von Freiburg unabhängig gemacht haben.
Mittlerweile bist du seit April 2022 als Vorstandsvorsitzender tätig. Erzähle uns bitte mehr über deine Aufgaben!
Das sieht immer unterschiedlich aus. Natürlich gibt es Kernaufgaben, die sich durchziehen wie Vereinstreffen vorbereiten und durchführen, viele Rechnungen schreiben für Workshops und Ähnliches oder das Konto verwalten. Aber auch eben Veranstaltungen und Workshops organisieren, mit den Schulen kommunizieren und dann die Vereinsmitglieder fragen, wann sie Zeit haben und deren Ideen und Nöte umsetzen – also ein bisschen Mädchen für alles, wenn man das noch so sagt.
Du wurdest kürzlich von der Studienstiftung als Finalist des Engagementpreises ausgezeichnet, herzlichen Glückwunsch! Wie ist es dazu gekommen?
Es gibt diesen Engagementpreis seit zehn Jahren Als wir uns beworben haben war gerade eine Phase, wo wir dringend Geld brauchten. Uns war vor allem auch die finanzielle Unterstützung und der Spendenaufruf, den wir darüber bekommen, sehr wichtig. Es ist sehr schwer als kleiner, neugegründeter Verein in Dresden erstmal Fuß zu fassen, vor allem wenn man etwas mit Flucht und Migration macht. Es war eine Zeit, wo es sehr auf der Kippe stand, ob wir diese Vereinsarbeit überhaupt finanziell weitermachen und da hat uns der Preis selber, aber auch das Preisgeld und das Coaching sehr geehrt und geholfen. Ich bin sehr dankbar für die gesamte Förderung. Auch die Leute, die auch im Finale waren – das waren sehr coole Projekte, mit denen wir uns ebenfalls vernetzt haben.
Warum ist aus deiner Sicht so wichtig, sich ehrenamtlich zu engagieren?
Allgemein ist es glaube ich so, dass es in der Gesellschaft viele Probleme und Aufgaben gibt, die nicht gelöst werden oder die von den eigentlichen Akteuren nicht umgesetzt werden, wo dann ehrenamtliche Personen einspringen müssen. Bei uns ist das der Fall mit Integration und gegen Rassismus sowie Rechtsradikalismus zu arbeiten. Meiner Meinung nach wird nicht genug gegen extremistische, rechte Tendenzen getan und dann muss man eben als Person ehrenamtlich einspringen, um diese Lücke zu füllen. Das heißt, es ist teilweise einfach eine Notwendigkeit, das zu tun. Da gibt es natürlich auch viele andere Bereiche. Für mich ist es persönlich so, dass ich viele Menschen mit Migrationshintergrund oder Fluchterfahrungen kenne und kennengelernt habe und das natürlich so eine Herzensangelegenheit ist. Man weiß, was sie durchlebt haben. Diesen Menschen ein bisschen mehr Bühne zu bieten und dabei zu helfen, sich auszudrücken oder das in die Gesamtgesellschaft zu tragen und den Hass gegen die Personen, der wirklich existiert, abzubauen – das ist dann die persönliche Komponente, die sich während der Vereinsarbeit sehr stark vertieft hat.
Wenn du zurückblickst: Welche Erfahrungen nimmst du als Vereinsvorsitzender mit? Hat deine Tätigkeit hat auch einen Einfluss auf deine persönliche Entwicklung gehabt?
Ich bin auf jeden Fall sehr gewachsen an dieser Aufgabe. Als Bachelorstudent einen Verein zu gründen – das war alles irgendwie so learning by doing. Ich habe extrem gelernt das ganze Organisatorische auf die Reihe zu bekommen. Aber natürlich auch, wie man ein Team führt und leitet, worauf man achten muss. Was ist gut für den Teamzusammenhalt und wie strukturiert man das? Welche Aufgaben bespricht man in der großen Runde und welche in der kleinen? Welche persönlichen Befindlichkeiten von Personen spielen da rein? Einmal natürlich die administrative Ebene und dann natürlich das Teamleading – das nehme ich als Stärke mit. Der interkulturelle Austausch, der bei uns stattfindet, ist natürlich eine große Bereicherung und auch die Menschen, die ich kennengelernt habe.
Was wünschst du dir für die Zukunft eurer Initiative?
Erstmal möchte ich natürlich, dass es so gut weiterläuft wie jetzt und weiterhin die sehr coolen und interessanten Leute, die dabei sind, auch dabeibleiben. Wenn man jetzt mal größenwahnsinnig werden darf, soll es natürlich noch größer werden. Also mehr Schulen erreichen, mehr Menschen erreichen und sich vielleicht auch geografisch ausweiten. Wir haben im Mai in Leipzig und Berlin Workshops gemacht. Dass man sich als Verein einfach breiter aufstellt und noch mehr politische Arbeit macht. Wir gehen jetzt schon auf Demos, sind bei Podiumsdiskussionen, halten Vorträge oder Reden wie zum Beispiel bei der Tolerave. Mit „größer“ meine ich, Reichweite ausweiten und breiter von den Personen. Also noch mehr Länder, mehr individuelle Fluchtgeschichten und dass es einfach fest als ehrenamtliche, antirassistische Bildungsarbeit in Dresden und Umgebung verankert wird. Das würde ich mir sehr wünschen.
Angenommen ich möchte mich auch bei Zeugen der Flucht e.V. engagieren: Welche Voraussetzungen muss ich mitbringen?
Vieles hat sich bei uns so entwickelt, dass irgendwer einen Kumpel oder eine Freundin mitgebracht hat. Ich glaube man sollte interessiert am Thema Flucht sein und interessiert zuhören – das sollte man schon mitbringen. Man sollte jetzt nicht erwarten, dass wir mega strukturierte Vereinstreffen haben, wo mit Anträgen gearbeitet wird. Wenn man sich irgendwie ein bisschen engagieren, was tun und auch schnell was machen möchte, dann gerne. Aber es ist alles ein bisschen entspannter, weil die Leute natürlich auch Spaß haben sollen, wenn sie ihre Freizeit damit verbringen.
Seid ihr aktuell auch auf der Suche nach neuen Mitgliedern?
Auf jeden Fall! Besondern suchen wir Menschen, die ihre Geschichte bei uns erzählen. Wir versuchen natürlich auch mehr Diversität reinzubringen und haben jetzt zum Beispiel auch eine Person aus der Ukraine – unsere erste weibliche Erzählerin. Wir wollen immer noch mehr Länder, mehr individuelle Fluchtgeschichten und natürlich auch Leute, die uns bei der Organisation unterstützen. Es ist auch viel Fluktuation im Verein. Manche Leute kommen, gehen dann wieder oder gehen ins Auslandssemester.
Auf welche Veranstaltungen können sich Interessierte in nächster Zeit freuen?
Wir machen öfter Spiel- und Spaßtreffen, um die Verbindung im Verein zu stärken, das Teamwork auszuweiten und Ähnliches. Es ist alles ein bisschen freundschaftlich und man verbringt seine Freizeit zusammen. Wenn es interessierte Leute gibt, können sie gerne am 23. Juli um 15Uhr zu unserem Workshop im Büro des Bundestagsabgeordneten Kassem Taher Saleh in der August-Bebel-Straße 33 vorbeikommen. Außerdem haben wir noch am 20. August einen weiteren Workshop. Infos hierfür folgen auf unserer Instagram-Seite @zeugenderflucht_dresden.
Wenn du heute noch einmal vor der Entscheidung stehen würdest, ein Ehrenamt zu übernehmen: Würdest du es wieder tun?
Ich glaube, ich werde mich immer ehrenamtlich engagieren, weil mir das einfach sehr wichtig ist. Es ist ein guter Ausgleich zum Studium oder dann später auch zum Beruf. Es ist immer extrem wertvoll, verschiedene Dinge zu tun, damit man nicht zu engstirnig auf eine Sache fokussiert ist. Alleine deswegen möchte ich es immer machen. Die Probleme in Deutschland in Bezug auf Flucht und Migration sind ja nicht gelöst, sondern verschlimmern sich eher gerade wieder in der Debatte. Deswegen würde ich mich auf jeden Fall wieder engagieren. Aber ich weiß nicht, ob ich mich nochmal so intensiv wie in den letzten zwei Jahren engagieren würde, weil mir das persönlich schon sehr viel abverlangt hat.
Was würdest du abschließend anderen Studierenden mitgeben, die sich auch ehrenamtlich engagieren möchten?
Ihr müsst auf jeden Fall überlegen, wofür ihr so ein bisschen brennt, was euch wichtig ist. Nicht einfach irgendwo hingehen, weil man denkt: „Cool sich jetzt ehrenamtlich zu engagieren“. Erstmal am besten in sich gehen, um zu ermitteln, welche gesellschaftlichen, politischen oder sozialen Themen einem überhaupt wichtig sind. Und dann vorher auch mal abchecken, wieviel Kapazitäten habe ich eigentlich. Kann ich eine Sache machen, kann ich zwei Sachen machen? Und dann auch schon mal mit einer groben Vorstellung reingehen. Es gibt ja genug Möglichkeiten. Informiert euch, dann sollte das Ganze gut laufen!
Das Interview führte Lu Ann Bahmann, studentische Mitarbeiterin in der Pressestelle.