03.11.2022
Atom für Atom die Zukunft designen
Dagmar Möbius
Quantenphysik ist komplex und abstrakt. Was ein topologischer Kaffeetisch, ein Keksdosengleichnis, gekämmte Donuts und eine halbtote Katze damit zu tun haben? Sie ermöglichen Laien einen Einblick in die Grundlagenforschung für Quantentechnologien, die im Exzellenzcluster ct.qmat durchgeführt wird.
ct.qmat steht für Komplexität und Topologie in Quantenmaterialien. Exzellenzcluster-Sprecher Professor Matthias Vojta kann nachvollziehen, dass sich Laien mit dem Verständnis für die Phänomene schwertun. „Wir machen physikalische Grundlagenforschung“, sagt er. „Das ist sehr abstrakt, deshalb müssen wir ein bisschen weiter ausholen.“ Es geht um Materialforschung für übermorgen. „Wir reden über einen technischen Fortschritt auf einer Zeitskala von etwa zehn Jahren. Dabei geht es zum Beispiel um sparsame Elektronik, um Sensorik oder Medizintechnik. Wir haben nicht die eine konkrete Anwendung im Kopf, uns treibt die Neugier an.“
Bei ct.qmat arbeiten rund 400 Fachleute aus der Physik, Chemie und Materialforschung der TU Dresden und der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Das einzige bundeslandübergreifende Cluster in Deutschland forscht mit Verbundpartnern aus dem Bayerischen Zentrum für Angewandte Energieforschung (ZAE Bayern), dem Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR), dem Leibniz-Institut für Festkörper- und Werkstoffforschung (IFW), dem Max-Planck-Institut für Physik komplexer Systeme (MPI-PKS) und dem Max-Planck-Institut für Chemische Physik fester Stoffe (MPI-CPfS).
Einfache und verständliche Bilder
„Die Topologie ist ein Teilgebiet der Mathematik. In den letzten 15 Jahren hat sie revolutionäre Anwendungen in der Physik gefunden, es gab mehrere Nobelpreise dafür“, erklärt Prof. Vojta. „Aber fangen wir mit einfachen Bildern an.“ Auf dem topologischen Kaffeetisch stehen Objekte mit Eigenschaften, die bei Verformung erhalten bleiben: „Eine Tasse mit Henkel und ein Ring haben ein Loch. Das ist eine topologische Eigenschaft. Das Tasseninnere ist dagegen kein Loch.“ Quantenphysikerinnen und -physiker betrachten Materialeigenschaften. „Traditionell werden in der Physik lokale Eigenschaften gemessen. Man muss also lokale von globalen Eigenschaften unterscheiden.“, erklärt der Cluster-Sprecher. „Das zeigt, dass sich das Denken in der Physik völlig geändert hat."
Gekämmte Donuts, magnetische Wirbel und das Keksdosengleichnis
„Eine Kugel kann man nicht wirbelfrei kämmen“, demonstriert Prof. Vojta, während er über eine haarige Plüschkugel bürstet. „Aber einen Donut kann ich wirbelfrei kämmen.“ Wir lernen: Topologie hat auch mit Wirbeln zu tun. In der Physik spielen verschiedene Wirbel eine Rolle. So sind magnetische Wirbel wichtig für die Informationsspeicherung. Gelingt es, Wirbel aus sehr kleinen Atomen zu bauen, sind diese sehr stabil und „könnten für die vielleicht in zehn Jahren anwendungsreif sein“.
Ein topologischer Isolator lässt sich mit einer Keksdose aus Metall vergleichen, innen gefüllt mit isolierenden Keksen (ersatzweise sind auch Gummibärchen okay). Elektrischer Strom kann nur außen auf der metallischen Dose fließen. Dieser Effekt wurde vor 15 Jahren von einem Würzburger Forscher erstmals nachgewiesen. Zukünftig kann er dazu beitragen, dass Chips weniger Strom brauchen. Stichwort verlustarme Elektronik. „Das funktioniert auch mit Licht“, sagt Prof. Vojta. Licht um die Ecke zu lenken, ist keine Spielerei, sondern kann sich auf die Datenverarbeitung der nächsten 20, 30 Jahre auswirken. Kleine leistungsstarke Laser zu bauen ist zum Beispiel nicht einfach. Hier gelang vor etwa anderthalb Jahren ein technologischer Durchbruch im Labor. Eine für viele Stellen relevante Anwendung in fünf Jahren hält Prof. Vojta für machbar.
Die Quantenkatze, die Kinder ab 11 Jahren cool finden
Über ein Jahr lang haben Fachleute aus dem Exzellenzcluster ct.qmat das Spiel „Katze Q“ entwickelt. Es ist für Kinder ab elf Jahren gedacht und sollte keine Lernsoftware werden. „Wir haben in dem Abenteuer 20 wissenschaftliche Fakten über die faszinierende Quantenwelt kindgerecht untergebracht. Man muss dafür aber gar nichts von Physik verstehen“, sagt Prof. Vojta. Zeigen, dass Physik cool sein kann und Spaß haben ohne mit wahnsinnig schwierigen Dingen konfrontiert zu werden, war das Ziel des kostenlosen, vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen der Initiative „Research in Germany“ geförderten, Spiels. Matthias Vojta freut sich mit seinen Kolleginnen und Kollegen über mehrere bereits erhaltene Preise für „Katze Q – ein Quanten-Adventure“, am meisten über den „Goldenen Spatz“ in der Kategorie Wettbewerb Digital, da er von einer Kinderjury vergeben wurde.
Nächster Wurf ist nicht planbar
Der nächste große Wurf in puncto Quantenmaterialien, die ihre exotischen Phänomene unter extremen Bedingungen wie ultratiefen Temperaturen, extrem hohem Druck oder superstarken Magnetfeldern offenbaren, ist nicht planbar. Das macht den Reiz für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus. ct.qmat ist immer auch auf der Suche nach guten Köpfen. Dafür bringt die Quantum Matter Academy jährlich einmal Doktoranden und Postdoktoranden, auch Masterstudierende, von allen Forschungsinstituten für drei Tage zusammen. „Sie präsentieren ihre Forschungsergebnisse, erzählen sich auch, wie sich Wissenschaft und Leben unter einen Hut bringen lassen“, sagt Koordinatorin Dr. Kerstin Brankatschk. „Und sie lernen, miteinander zu kommunizieren und manche auch wie man eine Tagung organisiert.“ Junge Forschende erhalten Informationen über Rechte und Pflichten, über Sprachkurse oder über die Graduiertenakademie. ct.qmat designt Atom für Atom die Zukunft.
Kontakt:
Cluster of Excellence ct.qmat – Complexity and Topology in Quantum Matter
TU Dresden
Institut für Theoretische Physik
Prof. Matthias Vojta
Tel.: +49 351 463-34135