Einige Fragen an den ehemaligen PHler
(porträtiert im Jahr 2014)
Susann Mayer
Jahrelang managte Andreas Edhofer als Selbstständiger erfolgreich Bildungsprojekte verschiedenster Art. Heute leitet er als angestellter Geschäftsführer die Opferhilfe Sachsen e.V. und wirkt nebenberuflich in der Partnerschaftsgesellschaft „Edhofer & Partner, Medien- und Sozialpädagogen“ mit.
Diese kümmert sich u.a. um die sächsischen Film- und Mediencamps und um die Leitung verschiedener Schülercamps, die sich mit beruflicher Orientierung und Verbesserung des schulischen Erfolgs befasst. Sein Studium begann 1990 an der damaligen Pädagogischen Hochschule (PH) und endete Mitte der 90er-Jahre an der Fakultät Erziehungswissenschaften der TU Dresden (TUD). So erlebte er den „pädagogischen Umbruch“ hautnah mit…
Kontakt sprach mit Andreas Edhofer über seine Erinnerungen an diese Zeit.
Herr Edhofer – was bewog Sie, Pädagogik zu studieren?
Es wirkt für mich schon wie ein Wunder, dass ich 1990 zur Pädagogik kam. Das hatte viel mit meiner Sozialisation und dem Umbruch in der DDR zu tun. Früh schon hatte ich den Berufswunsch, Lehrer oder Krankenpfleger zu werden – also irgendwie etwas mit Menschen zu tun zu haben. Aufgrund meiner eigenen Schwierigkeiten in der Institution Schule, mit den starren staatlichen Vorgaben und meiner oft empfundenen Orientierungslosigkeit, was meinen Lebensweg angeht, gab es für mich damals kaum jedoch eine Chance, gerade in einen pädagogischen Beruf zu kommen. Somit machte ich erst einmal das, was mein Vater mir vorgab (Werkzeugmacher), versuchte mich dann als Einrichter, Haushandwerker usw. Ich hatte dann auch kurz vor und während der politischen Wende die Idee, das Land gestalten, die Dinge positiv beeinflussen zu können, merkte aber bald, dass ich nicht zum politischen Kader geboren bin. Dazu bin ich zu authentisch, konnte mich schlecht unterordnen und meine Klappe nicht halten. Im Jahr 1989 bekam ich die Chance, über das Studium an der Fachschule Meißen-Siebeneichen Klubhausleiter zu werden. Endlich konnte ich mich mitten in der politischen Umbruchphase intensiv mit kultur- und gesellschaftswissenschaftlichen, somit auch pädagogischen Fragestellungen beschäftigen. Schnell jedoch wurde mir klar, dass mit dem Abschluss dieser Bildungseinrichtung im vereinten Deutschland nur ein eingeschränkter beruflicher Werdegang möglich war.
Irgendwie hatte ich aber das Abitur geschafft. Berufsausbildung mit Abitur hieß für mich die Zauberformel in der DDR – heute übrigens als „neue“ Idee oft im Gespräch. Für alle, die an der Fachschule in Meißen das Abitur hatten, gab es somit die Möglichkeit, aus dem Fachschulstudium in ein pädagogisches Hochschulstudium zu wechseln. Einige gingen in den Westen, ich nahm das Angebot der Kulturpädagogik an der PH Dresden an. Hier konnten wir uns z.B. über das damalige audio-visuelle Zentrum praktisch mit medienpädagogischen Projekten beschäftigen. So kam ich früh zur Medienpädagogik.
Schnell hatte sich dieser Studiengang aber an der Elbe ausgeträumt. Aus meinen Erinnerungen galt wohl Hildesheim als Standort als ausreichend, und bildungspolitisch war ein pädagogischer Studiengang mit den meisten der „alten, systemnahen“ Hochschullehrer nicht gewollt. Deshalb zerbröselte die Kulturpädagogik nach kurzer Zeit und wir Studenten bekamen die neue Chance, unser Studium an der Erziehungswissenschaft mit Schwerpunkt Sozialpädagogik an der TUD fortzuführen.
Lange wehrte ich mich gegen die Eingliederung in die sozialpädagogische Richtung, da ich das alles immer mit einem hohen Helfersyndrom verband. Dann wurden es jedoch sehr konstruktive Jahre und ich startete direkt in die Hochschulkarriere. Gut, dass ich das dann später abgebrochen habe. Ich erkannte, dass ich gut planen, strukturieren und führen kann, aber ein Wissenschaftler bin ich dann eher nicht. Und mit der Erkenntnis, kein Politiker und kein Wissenschaftler zu sein, ist man in der derzeitigen Hochschullandschaft absolut fehl am Platze.
Ein Studium an der PH – wodurch zeichnete es sich aus?
Damals wirkte alles wie ein Aufbruch. Endlich studieren zu können, was man wollte, sich mit sämtlichen Fragestellungen auseinanderzusetzen, eine Menge Impulse von erfahrenen und klugen Köpfen zu bekommen und vieles vom Kopf auf die Füße stellen zu können – das war prächtig. Ich erinnere mich gern an die vielen Möglichkeiten, sich neben dem Studium praktisch austesten zu können, z.B. in der Bearbeitung von Themen in der Gruppe, in der Präsentation von eigenen Gedanken und der Konzeption und Umsetzung von Projekten mit Schülern. Selbst die Nebenjobs brachten ja unheimlich viele neue Lebenserfahrungen. Ich hatte trotz der vielen Kapriolen und Unsicherheiten in Bezug auf die Rahmenbedingungen immer das Gefühl, nicht fallen gelassen zu werden, neue Optionen angeboten zu bekommen. Wir hatten immer die Chance, mitwirken zu können, ernst genommen zu werden, Fehler machen zu können. Selbstverständlich empfanden wir damals als Studenten sehr viel Kraft, einige der Kommilitonen hatten ja – wie ich bereits schon – ein bisschen selbstständiges Leben gelebt.
Ich kann mich auch noch gut an die Möglichkeiten erinnern, unkompliziert mit anderen interessierten Kommilitonen ins Ausland zu reisen. So hatte damals ein Uni-Gastprofessor aus Norwegen mal flugs eine Reise nach Oslo organisiert – einfach, aber intensiv. Andere sind dann später in die USA gegangen …
Sie arbeiten heute u.a. mit Kindern und Jugendlichen auf medienpädagogischem Gebiet – wie profitieren Sie dabei von Ihrem Studium?
Während meines Studiums habe ich etwas Wesentliches für mich gelernt. Ich muss mich für etwas interessieren – dann kann ich Höchstleistungen vollbringen, schwierigste Probleme lösen und neue Tore aufstoßen. Wie oft hatte ich das in der Schule erlebt, dass mich etwas interessierte? Wie oft stand ich in der Schule ohne Antwort da, wenn ich fragte, wozu ich das im Leben brauche? Wie oft ging etwas nicht in den Kopf hinein, zu dem ich keinerlei Beziehung hatte? Nun lernte ich in Projekten, wie den Filmcamps, junge Menschen kennen, die genau solche Probleme bewältigen mussten, wie ich sie gehabt hatte. Ich konnte mein Wissen anwenden, z.B. um lebenswirkliche Projektkonzepte zu entwickeln, um geeignete Lernumgebungen zu schaffen, um das Verhältnis zwischen Lernenden und Lehrenden kameradschaftlich zu gestalten. Daneben konnte ich mit einem Graduiertenstipendium an meine Promotionsarbeit in der Historischen Sozialpädagogik gehen. In den Archiven zu stöbern, Zusammenhänge in den Materialien selbst zu entdecken und dann in Texten anderen darzubieten, machte mich ebenso froh. Aber ich wollte Hochschullehrer werden und kein Hochschulexperte für Drittmittel. Ich wollte mit Menschen arbeiten und nicht in einem illustren Kreis von Eingeweihten die Erkenntnis beschwören. Ich wollte nicht abhängig sein von Dingen, die mich nicht interessieren. Deshalb dann später mein Weggang von der Uni.
Nun habe ich seit 1991 etliche Projekte mit mittlerweile mehreren Tausend Kindern, Jugendlichen und jungen Heranwachsenden überaus erfolgreich gestaltet – meistens als Camp- oder Projektleiter. Ich habe Fachtagungen auf verschiedenen Gebieten konzipiert und ebenso mit großem Erfolg durchgeführt. Ich war von 2004 bis 2011 selbstständig tätig, entwickle seit über zehn Jahren an vorderster Stelle einen Verein in der Opferhilfe mit, arbeite für verschiedene Anbieter an Konzepten und Durchführungen von Bildungsprojekten tatkräftig mit und hoffe, dass auch in den nächsten Jahren von mir dieser Weg gesund weitergegangen werden kann.
Das alles hätte ich ohne das Studium und die teilweise krummen Wege während meiner Zeit an der TUD nicht erreicht. Dieses Selbstbewusstsein, das ich täglich benötige, diese Authentizität, ohne die man nicht so lange erfolgreich sein kann, sind aus dem Humus meiner Hochschulzeit hervorgegangen. Immer wieder kam ich danach an Grenzen oder musste tiefe emotionale Täler durchschreiten, aber die Lust, Neues kennenzulernen und auszuprobieren, ist geblieben.
Eine jahrzehntealte PH-Ära ging 1993 zu Ende; wie würden Sie die damalige Grundstimmung beschreiben?
Als die oben beschriebene Aufbruch-Stimmung. Mein Weg lag vor mir und ich konnte ihn maßgeblich selbst gestalten, wurde ermutigt und immer wieder unterstützt. Dazu kam, dass ich eine junge Familie hatte und meine damalige Frau ebenfalls an der Uni war. Das Leben drehte sich ganz um Dresden und das Studium. Heute lebe ich weit weg von der Großstadt, brauche viel Weite, Ruhe und Natur, um den Arbeitsstress, dieses tägliche „Hamster-Laufrad“ zu ertragen. Wenn man mit Menschen arbeitet, braucht es eine innere Ruhe oder eine Geborgenheit in der Familie, mit Freunden und guten Kollegen – sonst kann man den Job nicht ohne gesundheitliche Schäden machen.
Was waren die größten Erfolge dieser Umbruchs-Zeit?
Ich habe mein Abitur gerade so geschafft. Mein Abschluss beim Grundstudium in Psychologie war auch nicht so gut, aber dann war ich am Ende unter den Besten und bekam das Graduiertenstipendium – heute profitiere ich von diesem Weg. Leider ist der Blick auf die Zeit auch etwas getrübt. Für mich ging vieles einfach nicht richtig vorwärts. Die Aufbruchsstimmung der Wende wurde schnell weggedrängt. Vieles erinnerte mich wieder an den Mief der DDR. Wirkliche Arbeits- und Lebensperspektiven für Absolventen an der Hochschule wurden kaum angeboten, die Qualität des Studiums nahm ab – zu viele Studenten, die scheinbare Verschlechterung der Rahmenbedingungen und die mangelnde Motivation der Studierenden, sich einzusetzen, nahm zu. Ich war vor einem Jahr an der Uni zu einem Vortrag und hatte den Eindruck, dass sich in all den Jahren nichts verändert hat. Wenn der Eindruck objektiv nicht stimmen sollte, so vermittelt mir diese subjektive Sicht – alles richtig gemacht zu haben.
Was würden Sie den Lesern gern noch mitteilen?
Meiner großen Tochter sage ich das immer wieder (ohne Erfolg): Ich finde es günstig, wenn grundsätzlich vor dem Studium ein Beruf gelernt oder alternativ im Ehrenamt, in der Freiwilligkeit oder über Auslandsaufenthalte der Blick auf das selbstständige Leben erweitert wird. Ausnahmen bestätigen das Leben. Deshalb denke ich, o.k., dann ist sie (meine Tochter) eben mit 23 Jahren Diplom-Psychologin ... Ich habe meine Bedenken oft genug geäußert. Diese müssen für sie nicht gelten. Ich werde ihr niemals einen Vorwurf machen, wenn sie ebenfalls – wenn auch später – zu dieser Erkenntnis kommen sollte. Auch meinen drei jüngeren Töchtern werde ich den eigenen Weg nicht dirigieren…
Danke für den detailreichen und sehr persönlichen Rückblick, Herr Edhofer!
Kontaktdaten:
Edhofer & Partner, Medien- und Sozialpädagogen
Andreas Edhofer
E-Mail: Andreas Edhofer