Glücklich mit Papier und Stift
(porträtiert im Jahr 2008, mit Update 2021)
Dagmar Möbius
Im März kommenden Jahres (2009 - d.R.) wird Yadegar Asisi sein neues monumentales 360°-Panoramaprojekt „AMAZONIEN“ im Leipziger Asisi Panometer eröffnen. Wochenlang recherchierte er dazu in Brasilien. Der Zeitplan bis zur Einweihung ist straff bemessen, ein Gespräch mit ihm ist momentan nur im Berliner Atelier realisierbar: „Weil ich dabei zeichnen kann.“
Gern gezeichnet hat der 1955 in Wien Geborene, so lange er sich erinnern kann. Um zu verstehen, warum er ausgerechnet in Österreich zur Welt kam, muss man sich ein wenig mit der Geschichte des Iran befassen. Sein Vater war Mitglied der iranischen kommunistischen Partei und ging mit ihr in den 1940er-Jahren in die Illegalität. Als einer von 40 Offizieren, die einer Geheimzelle in der iranischen Armee angehörten, wurde er vom letzten Schah zum Tode verurteilt und hingerichtet.
„Meine Mutter stand mit fünf Kindern allein da und war mit mir schwanger, ich bin auf der Flucht geboren“, erzählt Asisi. Von Wien aus ging es über Warschau in die DDR, nach Halle. So richtig wusste man dort nicht, wie man mit den persischen Immigranten umgehen sollte, und quartierte Frauen und Kinder in eine Villa ein. „Zwei Zimmer für sechs Kinder und wir hatten sogar eine Köchin für alle, das muss man sich mal vorstellen!“, wundert sich Asisi noch heute. Später bekam jede Familie ihre eigene Wohnung: Für Asisis Familie bedeutete das: Umzug nach Leipzig. Dort ging er bis zum Abitur zur Schule.
Am liebsten wäre er sofort Künstler geworden. „Doch ich hatte so eine Hochachtung vor der Kunst, dass mir der Mut dazu fehlte“, erinnert er sich. Weil seine Schwester an der TU Dresden Architektur studierte, dachte er sich, die Mischung aus Zeichnung und Malerei könnte ein Ersatz sein und kam 1973 nach Dresden. „In den ersten zwei Jahren habe ich gar nichts gemacht, ich hatte es nicht begriffen und mehr gefeiert. Erst danach legte ich richtig los“, gibt er zu. Das dann allerdings so intensiv, dass sein damaliger Eifer einigen ehemaligen Kommilitonen zum jüngst gefeierten 30. Diplom-Jahrestag immer noch im Gedächtnis war.
Er selbst fühlte sich mit dem Ingenieurszeugnis in der Tasche nicht als selbstbewusster Architekt und beschloss: „Ich werde nie Architektur machen, bevor ich nicht weiß, was gute Architektur ist“. Im Rückblick empfindet er die 1970er-Jahre als architekturfeindlich, was für ihn kein DDR-Phänomen war. „Wenn man Häuser in Mittelgangbauweise bauen lässt, wo 1000 Leute leben, vereinsamen sie“, meint er. Das an der TU Dresden erhaltene Rüstzeug schätzt er trotzdem als gute Basis, weil es sehr fachbezogen war.
Nach Beendigung seines Studiums 1978 wurde er aufgefordert, binnen eines Monats aus der DDR auszureisen. „Das ist der Sinn der Immigration, eine Ausbildung zu machen und anschließend in die Heimat zurückzukehren“, erklärt er. In den Iran durfte er jedoch auch nicht einreisen und wollte deshalb nach West-Berlin. An der Grenze kam es zu einem Zwischenfall. Man inhaftierte ihn und warf ihm die illegale Einreise mit persischem Pass vor. Bleiben dürfe er nur, wenn er studiere, sagte man ihm. „Aber ich habe doch gerade studiert“, wandte Asisi ein, bis er die Situation als Wink des Schicksals verstand. Bis 1984 absolvierte er als Meisterschüler ein Malereistudium an der Hochschule der Künste in Berlin.
Parallel dazu arbeitete er im renommierten Architektur-Büro Brandt-Asisi-Böttcher. „Sich mit Inhalt und Form auseinanderzusetzen, erweiterte den Horizont und machte gelassener gegenüber gesellschaftlichen Verhältnissen“, sagt Asisi, der zwischendurch auch ein Jahr im Iran lebte. Die Liste seiner Projekte und Auszeichnungen ist lang: Bühnenbilder, Installationen, architektonische Projekte und ab 1994 erste Panoramen. Mit seinen Partnern konnte er zahlreiche Preise wie beispielsweise den Mies-van-der-Rohe-Preis für den Endbahnhof der Berliner Magnetbahn entgegen nehmen. Die Eindrücke aus Ost, West und Nahost empfindet er als interessante Kombination: „Als Deutscher habe ich trotzdem den Blick von außen.“
Ein Revoluzzer sei er nie gewesen, habe seine Meinung aber immer gesagt. Als er vor Kurzem seine Professur für Freie Darstellung am Fachbereich Architektur der Technischen Fachhochschule Berlin kündigte, die er seit 1996 inne hatte, löste er regional übergreifende Debatten in der Hochschulszene aus. „Bildung ist für mich Persönlichkeitsbildung, ich kann nicht aushalten, wenn es nur um das Auswendiglernen geht“, begründet er. „Ich bin Vollblutlehrer, aber die Hochschule zwingt mich in administrativen Unsinn.“ Dass 90 bis 95 Prozent der Studenten machen, was der Professor will, regt den Künstler Asisi auf. „Ich bin euer Sparringpartner, ihr könnt doch keine kleinen Asisis werden“, sagt er zu ihnen und ermuntert sie, zu opponieren und sich mit ihm zu streiten. Im Bildungswesen müsse viel passieren, denn erfolgreich im Beruf werde nur, wem man vertrauen kann, wer sozial kompetent sei. Gute Fachleute setze man voraus. Was er nach seiner Abschiedsvorlesung Mitte Januar in Berlin neben seiner künstlerischen Arbeit tun wird, ist noch offen. Fakt ist: „Dresden wird noch einiges von mir hören.“ Workshops und Vorträge kann er sich vorstellen. Konkret ist noch nichts.
Die Gegenwart empfindet er als spannend. „Eine Krise ist doch besser als ein Krieg“, ist er mit Blick auf das aktuelle Wirtschaftsgeschehen überzeugt. Asisi weiß, wovon er spricht. Nach seinem „Everest“-Panorama war er krank und bankrott. „Aber zum Glück habe ich Kinder und sobald ich ein Stück Papier und einen Bleistift habe, geht es mir gut, bin ich glücklich.“ Das Gefühl, arbeiten zu müssen, hat der Wenigschläfer nie. „Alles ist ein Fließen“, auch wenn er zeitweise 14 bis 16 Stunden täglich malt. Einen Trick hat ihm ein bulgarischer Kommilitone im Studium in Dresden beigebracht. „Überall, wo ich arbeite, muss eine Liege stehen, ich mache ein kurzes Nickerchen am Tag und bin nach fünf Minuten wieder fit. Heutzutage heißt das Power nap“, lacht der Spezialist für räumliche Simulationen.
In der Endphase der Fertigstellung seines Amazonas-Panoramas schwört er auf sein Team. „Das sind gute Leute, die brauchen wie ich eine Sinnhaftigkeit in der Arbeit“, schwärmt der häufig als „Architekt der Illusionen“ bezeichnete Asisi. Ein Absolvent der Dresdner TU arbeitet derzeit nicht in seinem Unternehmen, aber das könne sich schnell ändern. „Wer hier arbeitet, ist glücklich, täglich mit schönen Impulsen nach Hause zu gehen“, behauptet ihr künstlerischer Leiter. „Abarbeiten ist nicht mein Ding“, sagt er abschließend. Und hat während des Gesprächs gezeichnet.
Yadedar Asisi ist immer noch glücklich mit Papier und Stift. Das überträgt sich auf die Besucher seiner Panoramen und fasziniert beim Anblick von Rom, dem mittelalterlichen Dresden oder bald dem Amazonas-Regenwald.
Update 2021:
Nach dem großen Erfolg von AMAZONIEN im Panometer Leipzig wurde es bei weitem nicht still um den Künstler. Zahlreiche weitere Werke folgten und ermöglichten dem Wahlberliner seinen Traum von der Verwirklichung zahlreicher Panoramaideen Realität werden zu lassen. Aus der kleinen Künstlerwerkstatt wurde ein europaweit agierendes Studio, das Yadegar Asisis Panoramen an nunmehr acht Standorten in Deutschland und Frankreich zeigt. So beherbergt auch die Stadt Dresden im Panometer seit 2015 zwei Werke Asisis: Zusätzlich zur barocken Stadtansicht wird das Anti-Kriegs-Projekt DRESDEN 1945 gezeigt, das die Stadt zur Stunde Null, also direkt nach der schicksalshaften Bombardierung im Februar 1945 zeigt. Das Thema Krieg, und wie wir Menschen damit umgehen, beschäftigt ihn auch heute noch. Im kommenden Projekt NEW YORK 9/11 widmet er sich daher einem der prägendsten Gewaltmomente unserer Gegenwart. Das Panorama bildet jedoch nicht die tragischen Ereignisse des Terroranschlags auf das World Trade Center selbst ab, sondern präsentiert die Silhouette von Manhattan mit den weltbekannten Twin Towers unmittelbar vor den Terrorangriffen. Gezeigt wird ein typischer Morgen im Großstadt-Rhythmus der multikulturellen Metropole New York. Im Kontrast hierzu führt der Weg in das Panorama durch die globalen Folgen dieses Schicksaltages.
Das aktuelle Projekt im Panometer Leipzig widmet sich jedoch einem auf den ersten Blick lokalen Thema: CAROLAS GARTEN zeigt die Natur von unserer Haustür. Ein vermeintlich banaler Ort wie ein typischer deutscher Kleingarten wird im Ausstellungsrundgang zu einem exotischen Biotop mit faszinierenden Pflanzen und Tieren, die in ihrer überdimensionalen Darstellung den Betrachter auf einmal winzig klein erscheinen lassen. Neben dem Panorama, das den heimischen Garten hundertfach vergrößert darstellt, wird in der Begleitausstellung das weitere künstlerische Schaffen Asisis in Form von rund 100 Aquarellen, Skizzen, Acrylmalerei und Fotografien sichtbar.
Doch neben den großen Panorama-Projekten bleibt auch noch Zeit für seine größte Leidenschaft: Das Zeichnen. So findet man ihn inzwischen auch als etablierten Zeichenlehrer auf YouTube, wo er in seiner Videoreihe "sehen&gestalten" Wissbegierigen das Zeichnen und dabei insbesondere die Perspektive näher bringt. Das Glück mit Papier und Stift hat Yadegar Asisi also nicht ausschließlich für sich selbst gepachtet, sondern ist gern bereit, jede Menge davon abzugeben.
Kontaktdaten:
Asisi Visual Culture GmbH
Prof. Yadegar Asisi
Oranienplatz 2
10999 Berlin
Tel: 030 6958086-0
E-Mail: Yadegar Asisi
Web: Asisi